#Wiegehtesuns? | Schwarze Berlinerin
Marly Borges de Albuquerque ist schwarz und lebt seit vielen Jahren in Berlin. Sie erlebt regelmäßig rassistische Übergriffe. Fast nie hilft ihr jemand. So wie vor einem Monat am Kottbusser Tor. Das belastet sie sehr.
In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Marly Borges de Albuquerque ist Sozialarbeiterin und Theaterpädagogin und lebt seit 26 Jahren in Berlin – in der afrikanischen Diaspora, wie sie selbst sagt. Marly ist schwarz und erlebt immer wieder rassistische Attacken, die sie inzwischen auch protokolliert.
Als ich am 26. Februar von einem Workshop kam und nach Hause fahren wollte, habe ich – einmal mehr – einen Übergriff auf mich erlebt. Ich bin am Kottbusser Tor in den Fahrstuhl eingestiegen und habe einen alten Mann mit einer Gehhilfe, der schon drin war, gebeten, für mich und mein Rad und eine Frau mit Kinderwagen, die noch hinter mir war, etwas zur Seite zu rücken. Der Mann hat sofort sehr aggressiv reagiert und auch keinen Platz gemacht. Die Fahrstuhltür ging dann zu und er hat sofort angefangen, mich zu schubsen und mich als "Schlampe" und mit dem N-Wort zu beschimpfen und gerufen, ich solle "nach Hause" gehen. Er schlug dann im geschlossenen Fahrstuhl auch mit seinem Gehstock auf mich ein und traf mich mehrmals am Arm. Ich habe versucht, mich wegzuducken, da trat er mir ans Bein und beschimpfte mich weiter. Auch als "Prostituierte".
Ich habe ihn aufgefordert, damit aufzuhören. Aber er hörte nicht auf. Als wir oben ankamen schubste er mich, weiter Schimpfwörter schreiend, aus dem Fahrstuhl heraus, so dass ich fast über mein Fahrrad auf den Bahnsteig der U1 fiel. Da standen ganz viele Leute. Doch niemand hat mir geholfen. Erst ganz am Schluss kam ein Mann zu mir und bot sich als Zeuge an, falls ich den Vorfall anzeigen würde.
Der Mann war wirklich alt. Ich hätte leicht auch zurückschlagen können. Aber er tat mir fast leid. Im Endeffekt war das aber wirklich ein durch und durch rassistischer Typ.
Ich habe noch am gleichen Tag mit der Hilfe von Freunden online Anzeige bei der Polizei gestellt. Der Sachbearbeiter hat mich noch in der gleichen Woche zurückgerufen und mich für eine Zeugenaussage vorgeladen. Das Material des anderen Zeugen – der Mann, der mich angesprochen hatte, hatte ein Video und Fotos von dem Vorfall - hatte er schon. Und auch das Video von der BVG lag vor.
Das Gespräch dort, zu dem ich mir, weil ich Angst hatte, zwei Freunde mitgebracht hatte, hat dann ungefähr drei Stunden gedauert. Ich musste über 350 Fotos möglicher Täter anschauen. Da war der Mann aber leider nicht dabei. Die Polizei hat mir dann gesagt, dass die Chance, den Angreifer ausfindig zu machen, minimal ist.
Der Vorfall hat mich noch die ganze Woche beschäftigt. Meine Wut und meine Ohnmachtsgefühle sind sehr groß. Ich weiß ja, dass das wieder passieren wird. Die Übergriffe werden nicht aufhören. Auch der Gang zur Polizei war nicht einfach für mich – das alles wieder zu erzählen und aufzuwühlen. Und das, wo die Möglichkeit, dass der Täter gefunden wird, so gering ist. Dennoch finde ich es wichtig, das zu machen, falls der Täter noch einmal auffällig wird.
Ich habe im letzten Jahr angefangen, die Übergriffe die ich erlebe, zu dokumentieren. Denn der Vorfall ist ja beileibe nicht der erste. So etwas passiert immer wieder, seit ich in Berlin lebe. Ich hatte aber das Gefühl, dass die Angriffe zunehmen. Und tatsächlich: von März 2022 bis Januar 2023 habe ich dreizehn Angriffe auf mich dokumentiert. Vier oder fünf davon fanden völlig unvermittelt in den öffentlichen Verkehrsmitteln statt. Und geholfen hat fast nie jemand.
Die Menschen helfen einfach nicht. Sie gehen vorbei. Es interessiert sie nicht. Und mehrere dieser Übergriffe waren auch mit körperlicher Gewalt verbunden. Das belastet mich sehr.
Das ist doch nicht das Leben, dass ich führen möchte. Dass ich Angst habe, U-Bahn zu fahren oder mich Freunde Abends begleiten müssen, weil sie Angst haben, dass mir etwas passieren könnte. Es gibt in Berlin für mich tatsächlich ein paar No-Go-Areas. Auf meiner Arbeit habe ich geklärt, dass ich beispielsweise nicht nach Marzahn, Hellersdorf oder Lichtenberg fahre. Nach Brandenburg fahre ich auch nur in Begleitung und auf gar keinen Fall allein.
Ich würde mir wünschen, dass die Politik mehr Anti-Rassismusprojekte fördert und Menschen darüber aufklärt, wie sie helfen können. Ich kann schon verstehen, dass die Leute auch Angst haben, sich bei solchen Situationen einzumischen. Aber es gibt ja mehrere Formen, zu unterstützen. Vielleicht wären die Menschen mutiger, wenn sie davon wüssten.
Das Gespräch führte Sabine Priess, rbb|24
Sendung: Antenne Brandenburg, 21.03.2023, 10:30 Uhr
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