#Wiegehtesuns? | Berliner trifft jungen Schwarzen aus Ukraine
Am Dresdner Hauptbahnhof lernt Sean-Elias zufällig einen jungen Schwarzen aus der Ukraine kennen. Der Mann sei total verloren gewesen. Sean-Elias fährt mit ihm nach Berlin und erlebt eine Zwei-Klassen-Hilfsbereitschaft. Ein Gesprächsprotokoll
In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, was sie gerade beschäftigt – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Sean-Elias ist 24 Jahre alt und gebürtiger Berliner. Der Stipendiat, der sich auf sein Medizin-Studium vorbereitet, lebt in Kreuzberg.
Ich war vor ein paar Tagen in Dresden. Als ich zurückfahren wollte und mit meiner Hündin am Hauptbahnhof saß, sprach mich ein junger schwarzer Mann etwa meines Alters auf Englisch an. Er fragte mich, ob ich wisse, wo der Zug Richtung Ungarn losfährt. So kamen wir ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass er total übernächtigt und verloren war und nicht einmal so recht wusste, was er in Ungarn tun sollte – weil er dort auch niemanden kannte. Als ich allmählich verstand, dass er aus der Ukraine geflüchtet war und eigentlich nach Berlin wollte, fuhr mein Zug ein. Wir entschieden spontan zusammen, dass er mit nach Berlin fährt. Denn da kannte er auch Menschen, zu denen er hinkonnte.
Der junge Mann erzählte mir, dass er zuvor von der Bundespolizei erkennungsdienstlich behandelt worden war. Außerdem sei ihm gesagt worden, dass er nicht nach Berlin könne, sondern in Leipzig registriert werden müsse. Als er sich dann verzweifelt entschloss, lieber nach Budapest zu fahren, musste er sein Ticket aus eigener Tasche bezahlen. Er wusste gar nicht, das hatte ihm schlicht niemand gesagt, dass er mit ukrainischer ID – auch die auf seinem Studentenausweis reicht da ja - umsonst fahren darf.
Das alles klang für mich total rassistisch. Denn es gibt ja für die aus der Ukraine Geflüchteten meines Wissens die Vorgabe, dass sie 90 Tage Aufenthalt haben und sich an einem Ort ihrer Wahl registrieren lassen können. Das ist dem Mann offensichtlich nicht erlaubt worden. Sondern er wurde, so wie er es erzählte, in Dresden aus der Bahn gezogen - obwohl der Zug, in dem er saß, weiter nach Berlin gefahren wäre.
Die ganze Situation schnell zu erfassen, war für mich gar nicht so leicht, denn wir hatten durchaus eine Sprachbarriere zu überwinden und ich war ganz schön aufgeregt.
Im Zug hatte ich dann erstmal Ärger mit der Schaffnerin, die mich rausschmeißen wollte. Denn ich hatte keinen Maulkorb für meine Hündin dabei. Dabei hatte ich gerade diesen Menschen in meine Obhut genommen, dem ich helfen wollte und der in Not war. Ich habe dann die Schaffnerin angefleht, mich mitfahren zu lassen. Sie ließ mich dann auch im Zug bleiben.
Als wir losfuhren, habe ich versucht, dem jungen Mann einen kleinen Safe Space herzurichten und fing an herumzutelefonieren. Ich habe, weil ich selbst Johanniter bin, dort angerufen und mich mit deren Hilfe über die Situation informiert. Auch mit der Ukraine-Koordination der Viadrina in Frankfurt (Oder) habe ich gesprochen. Da wurde mir bestätigt, dass dem Mann wirklich Unrecht widerfahren ist. Da ist einiges schiefgelaufen. Man hätte ihn auf jeden Fall bis nach Berlin fahren lassen müssen. Den einzigen Ort in Europa, wo es Leute gibt, die ihm helfen würden.
Angekommen in Berlin habe ich dem jungen Mann geholfen, die mehr als 100 Euro für das Ticket nach Budapest zurückzubekommen. Dann sind wir ins Ankunftszentrum im Untergeschoss des Hauptbahnhofs gegangen, wo wir auf Beratung und Hilfe hofften. Aber wirklich helfen konnte man ihm persönlich da nicht. Er wollte auch einfach schnell weiter zu seiner Anlaufstelle im Wedding, weil er total fertig und übernächtigt war. Deshalb haben wir uns da verabschiedet.
Erst einmal konnte ich diese Begegnung gar nicht so richtig einordnen. Ich bin allerdings gleich am Tag darauf zu "Each one teach one" (EOTO) im Wedding gegangen, weil ich dachte, dass er dahingefahren war. Dort hat man mir von so vielen Geschichten dieser Art erzählt. Das und die Systematik, die insbesondere an der ukrainisch-polnischen Grenze dahinter zu stecken scheint, bringen mich dazu mich zu fragen, in welcher Welt einer selektiven Hilfsbereitschaft wir hier eigentlich leben.
Das gilt ja auch für die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze. Da vegetieren noch immer Menschen im Wald vor sich hin. Und parallel werden an der ukrainisch-polnischen Grenze Unmengen von Menschen willkommen geheißen – zumindest sofern sie weiß sind.
Mittlerweile fällt es mir total schwer, bei diesem Aktionismus hier mitzugehen. Sonst mache ich doch da auch mit. Aber ich will nicht nur für manche die Arme aufhalten. Das macht mich echt fertig. Die, die jetzt helfen, sind bestimmt mit dem Herzen dabei. Aber wenn man das große Ganze anschaut, kommt es mir jetzt scheinheilig vor.
Ich würde mir wünschen, dass wir als Gesellschaft weniger rassistisch sozialisiert wären. Und dass es einfach möglich ist, den Menschen Mensch sein zu lassen. Ich habe mir vorgenommen, jetzt auch selbst ein Stück weit aktiv zu werden. Als nächstes mache ich ein Praktikum bei einer Zeitung. Vielleicht kann ich darüber auf diese Ungleichbehandlung hinweisen.
Gesprächsprotokoll: Sabine Priess
Sendung: Abendschau, 19.02.2022, 19:30 Uhr
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