#Wiegehtesuns? | Orthodoxe Weihnachten
Am 6. Januar beginnt für orthodoxe Christen das Weihnachtsfest. Doch das hat Julia wie viele geflüchtete Ukrainer schon im Dezember gefeiert. Die traditionellen orthodoxen Festtage sind für sie nicht mehr wichtig. Ein Gesprächsprotokoll
In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Julia Olejnikova ist aus der Nähe von Kiew vor dem Krieg geflohen, den Russland gegen die Ukraine führt. Sie kam vor sieben Monaten mit ihrer Freundin nach Berlin. Wie für die meisten Geflüchteten aus der Ukraine, ist es auch für sie der erste Jahreswechsel und das erste Weihnachtsfest in der Fremde. So geht es Julia:
Ich bin 18 Jahre alt und komme aus der kleinen Stadt Fastiv in der Nähe von Kiew, aus einem sehr schönen gemütlichen Ort. Ich bin da zur Schule gegangen, habe mich oft mit meinen Freunden getroffen. Ich habe einfach so gelebt, wie alle Jugendlichen. Ich kam erst ohne Verwandte hierher und eine deutsche Familie hat mich aufgenommen.
Meiner Mutter fiel es sehr schwer, ihr Haus zu verlassen. Doch als klar wurde, dass der Krieg nicht schnell enden wird, hat sie sich dazu entschlossen, nach Deutschland zu kommen, mit meinem jüngeren Bruder. Ich habe hier die Schule beendet und mich danach an einer ukrainischen Universität immatrikuliert. Ich studiere Computer-Wissenschaften und das läuft alles per Online-Unterricht. Die Universität liegt in der West-Ukraine. Im Sommer bin ich sogar hingefahren, um sie mir anzuschauen. Außerdem besuche ich in Berlin einen Deutschkurs. Der Mensch muss auch unter den schwierigsten Bedingungen fleißig sein.
Mein Bruder geht jetzt in die evangelische Schule Frohnau, die ich auch besucht habe. Meine Mutter arbeitet dort, sie unterrichtet ukrainische Kinder in Mathematik. Mein Vater ist in der Ukraine geblieben. Er arbeitet dort im zivilen Bereich. Er ist stolz darauf, der Ukraine in diesen schweren Zeiten zu helfen, dass die Wirtschaft nicht zusammenbricht. Wir halten den Kontakt zu ihm virtuell aufrecht. Leider haben wir uns sehr lange nicht live getroffen.
Weihnachten haben wir in der Familie schon am 24. Dezember gefeiert. Viele Ukrainer, die orthodox sind, haben das in diesem Jahr getan. Dazu muss man wissen, dass die Menschen während der sowjetischen Zeit Weihnachten vergessen sollten. Da wurde in erster Linie das Neujahrsfest gefeiert. Nach der sowjetischen Zeit feierten wir Weihnachten am 6. Januar. Aber aus Protest gegen Russland haben wir beschlossen, Weihnachten am 24. Dezember zu feiern.
Natürlich ist es trotzdem ein orthodoxes, ukrainisches Weihnachtsfest gewesen, so wie wir es immer gefeiert haben. Was ukrainische Traditionen betrifft, so ist das Essen sehr wichtig. Auf dem Tisch müssen immer zwölf Gerichte stehen. Das können irgendwelche Speisen sein, aber unbedingt zwölf. Natürlich war das auch bei uns dieses Mal so. Es sollen auch traditionelle Speisen dabei sein, zum Beispiel gibt es bei uns einen Brei mit Rosinen, Nüssen, Honig und Mohn, er heißt Kutja. Am Anfang isst das Familienoberhaupt etwas davon und später essen dann alle jeweils einen Löffel. Und danach kann man dann alle anderen Speisen essen. Sehr beliebt ist Kohl oder Wareniki, das sind gefüllte Teigtaschen, manchmal mit Kohl, manchmal mit Kartoffelteig oder allen möglichen anderen Füllungen.
Sehr wichtig sind natürlich auch Weihnachtslieder. Vor allem Jugendliche ziehen von Haus zu Haus und singen dabei Weihnachtslieder und sie bekommen von den Leuten dafür zum Beispiel Süßigkeiten. Unsere Weihnachtslieder sind sehr schön. Die ganze Welt kennt das Lied "Schtschedryk" in der Fassung unseres Komponisten Mykola Leontowytsch. Da hat es vier Stimmen für einen Chor. Als "Carol oft he Bells" ist es weltweit bekannt geworden.
Für mich war es das erste Weihnachtsfest, das ich nicht in der Ukraine verbringe. Wir haben mit unseren ukrainischen Freunden gefeiert. Für mich ist es das wichtigste, dass unsere Familie bisher gut durchgekommen ist. Wir leben alle und sind gesund. Ich bin den Deutschen sehr dankbar dafür, wie sie uns aufgenommen haben.
Ich denke, die Deutschen sollten auch wissen, dass wir uns diese Situation nicht ausgesucht haben, das ist sehr belastend für uns. Ich hoffe, dass die Zukunft in der Ukraine nicht durch den Krieg zerstört wird. Natürlich haben sich jetzt alle unsere Pläne ganz grundlegend geändert. Niemand hat mit einem Krieg gerechnet.
Gesprächsprotokoll: Jürgen Buch
Sendung: rbb24 Inforadio, 06.01.2023, 06:55 Uhr
Artikel im mobilen Angebot lesen