Versammlung in Berlin
Mehrere Hundert Menschen sind am Ostersamstag bei einer Palästinenser-Demo durch Kreuzberg und Neukölln gezogen. Der Verein Democ berichtet von antisemitischen Parolen und hat Videomaterial ins Netz gestellt. Nun ermittelt die Polizei.
Nach einer Palästina-Kundgebung in Berlin ermittelt die Polizei nach eigenen Angaben bislang in einem konkreten Fall.
Das Verfahren richte sich gegen einen unbekannten jungen Mann wegen des Verdachts der Volksverhetzung, teilte eine Polizeisprecherin am Dienstag mit. Der Mann soll kurz nach dem Skandieren eines Liedes, das viele Teilnehmer der Demonstration sangen, laut gegen Juden gehetzt haben.
Bis zu 500 Teilnehmende seien am Samstag vom Rathaus Neukölln zum Kottbusser Tor gezogen. Die Polizei war demnach mit 250 Einsatzkräften vor Ort, darunter auch Dolmetscher. Diese hätten die entsprechenden Parolen jedoch nicht gehört, sagte der Sprecher der Berliner Innenverwaltung, Thilo Cablitz, am Dienstag in der rbb24 Abendschau.
Die Demonstration am vergangenen Samstag hatte bundesweit große Empörung ausgelöst, weil dort nach Angaben von Beobachtern israelfeindliche und antisemitische Parolen gerufen worden sind. Mehrere Menschen erstatteten Anzeige, darunter der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), Volker Beck. Die Demonstration wurde unter dem Titel "Solidarität mit Palästina" von einer Einzelperson angemeldet.
Nach Angaben der Beobachtungsstelle "Democ" wurden bei der Demonstration israelfeindliche und antisemitische Parolen gerufen. Dazu wurde Videomaterial veröffentlicht, auf dem die Demonstration zu sehen sein soll. Laut Democ skandierten die Teilnehmer unter anderem: "Tod den Juden". Das Vorstands- und Gründungsmitglied Grischa Stanjek schilderte am Montag, er habe die gut zweieinhalbstündige Kundgebung gemeinsam mit einem Kollegen begleitet. Anhand der Aufnahmen habe ein Dolmetscher israelfeindliche und antisemitische Parolen übersetzt, die gesungen oder von einem Lautsprecherwagen gerufen worden seien.
Die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) teilte bei Twitter mit: "Ich verurteile jegliche Art von antisemitischen Drohungen und Äußerungen. Hass hat in unserer Gesellschaft nichts zu suchen. Der Staatsschutz hat die Ermittlungen aufgenommen. Erstes Beweismaterial wurde bereits ausgewertet."
Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, sieht durch die Demonstranten "jede mögliche rote Linie" überschritten. Auf Twitter schrieb er, die Teilnehmer hätten die Freiheiten in Deutschland missbraucht, um "zur Vernichtung Israels und der Juden" aufzurufen.
Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) schaltete sich ein. "Wenn Gruppen auf deutschen Straßen 'Tod den Juden' skandieren, dann besteht ein Anfangsverdacht auf Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 StGB", teilte er auf Twitter mit. Er gehe davon aus, dass die Sicherheitsbehörden entsprechend vorgingen.
Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, erklärte am Montag, es sei "völlig unverständlich, wie diese Demonstration in dieser Form stattfinden konnte". Durch die angespannte Lage in den besetzten Gebieten und die bevorstehenden Jahrestage rund um die israelische Staatsgründung sei bis Mai mit weiteren "antisemitischen Hetzveranstaltungen" zu rechnen. Auf Twitter hatte Beck am Montagvormittag angekündigt, ebenfalls Anzeige zu erstatten.
Die Gesellschaft forderte im Zusammenhang mit den Vorwürfen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auf, ein Verbot des israelfeindlichen Netzwerks Samidoun zu prüfen. Es handele sich um eine "Vorfeldorganisation" der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die von der EU als Terrororganisation gelistet werde. Samidoun habe "sichtbaren Anteil an der Mobilisierung für diese Demonstration" gehabt; so seien Samidoun-Fahnen gezeigt worden. In Israel wurde die 2012 gegründete Organisation vor zwei Jahren als terroristisch eingestuft und verboten. Beck äußerte die Hoffnung, dass die Erkenntnisse der israelischen Regierung, die dort zum Verbot von Samidoun geführt hätten, vom Bundesinnenministerium und vom Bundesamt für Verfassungsschutz entsprechend genutzt werden.
Der jüdische Verein "WerteInitiative" kritisierte die Polizei und forderte Aufklärung darüber, warum die Demonstration nicht abgebrochen wurde und warum es keine Festnahmen vor Ort gab. "So geht keine wehrhafte Demokratie", kritisierte Adler. Dies sollte auch der "nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft" Sorge machen. Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, forderte bei "Zeit online" weitere "Schulungen und klare Anweisungen an die Polizei, wie in solchen Fällen zu reagieren ist".
Berlins Bürger- und Polizeibeauftragter, Alexander Oerke, betonte in der rbb24-Abendschau, dass die Polizei hierbei zwei Aufgaben habe: Das Versammlungsrecht zu schützen und bei Straftaten einzuschreiten. Es liege am Ende im Ermessen des Einsatzleiters, wie vorgegangen werde.
Die umstrittene Al-Kuds-Demonstration, die zunächst für den 15. April in Berlin-Charlottenburg angemeldet war, wurde derweil von den Organisatoren abgesagt. In früheren Jahren hatte es bei Al-Kuds-Demonstrationen israelfeindliche und antisemitische Sprechchöre gegeben, Teilnehmer trugen Plakate mit Landkarten des Nahen Ostens ohne den Staat Israel.
Die Lage in Israel wie in den Palästinensergebieten ist derzeit äußerst angespannt. Bei einem israelischen Militäreinsatz im Westjordanland ist am Montag nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums ein 15-Jähriger getötet worden. Am Freitagabend wurde bei einem Anschlag in Tel Aviv ein 36-jähriger italienischer Tourist getötet, sieben weitere Touristen wurden verletzt. Wenige Stunden zuvor waren im Westjordanland zwei britisch-israelische Schwestern aus der Siedlung Efrat getötet worden. Als Reaktion auf die Anschläge verschärfte Israel massiv die Sicherheitsvorkehrungen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 10.04.23, 19:30 Uhr
Artikel im mobilen Angebot lesen