Flüchtlingsgipfel in Brandenburg
Nach wochenlangen Debatten über den Umgang mit Geflüchteten in Brandenburg lud die Landesregierung zum Gipfeltreffen. Viel Verbindliches konnten Kommunen und Landkreise nicht mitnehmen. Klar aber wurde: Das Limit ist erreicht. Von Hanno Christ
Nach zwei Stunden war der Gipfel in der Staatskanzlei schon Geschichte. Vor der sogenannten "Blauen Wand" der Staatskanzlei sammelten sich die Spitzen der Landesregierung, Landkreise und Kommunen zur Pressekonferenz und gaben sich betont locker. Von "ausgesprochen konstruktiven Gesprächen" war die Rede, aber auch von einem "ersten Schritt", der gegangen worden sei. Die Teilnehmer bemühten sich merklich, das Ergebnis als Erfolg zu verkaufen.
Herausgekommen ist jedoch lediglich ein fünfseitiges Arbeitspapier, keine klaren Entscheidungen. Dass sich Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) schon darüber erleichtert zeigte, machte deutlich, wie angespannt die Lage in den Kommunen zu sein scheint. Die Erwartungen an den Gipfel waren groß. Erstmals hatte Woidke das Thema zur Chefsache gemacht und die Konferenz mit der gesamten Landesregierung in die Staatskanzlei geholt.
Die wohl wichtigste Übereinkunft der Runde: Geflüchtete, die ab 1. Juli nach Brandenburg kommen und keine sichere Bleibeperspektive haben, können fortan bis zu 18 Monate in einem der drei Standorte in Eisenhüttenstadt, Wünsdorf und Frankfurt (Oder) für die Erstaufnahme gehalten werden. Bislang müssen Geflüchtete innerhalb von sechs Monaten aus den Erstaufnahmen auf die Landkreise und Kommunen verteilt werden. Dort wiederum muss sich dann um Unterbringung, Kita- und Schulplätze gekümmert werden, unabhängig von der Bleibeperspektive der Menschen.
Seit Monaten aber signalisieren die Kommunen bereits, dass sie ans Limit kommen. Es fehlt an Sozialarbeitern, Erziehern und Lehrkräften. Die neue Regelung mit 18 Monaten Aufenthalt in der Erstaufnahme gilt nicht für Familien mit Kindern.
Bislang geht das Land in diesem Jahr von rund 26.000 Geflüchteten aus, die nach Brandenburg kommen. Bis Ende Mai wurden etwas mehr als 5.400 Menschen aufgenommen, weniger als erwartet. Von einer Entwarnung wollte beim Gipfeltreffen aber keiner sprechen. Erst über die warmen Sommermonate würden sich Menschen auf den Fluchtweg nach Deutschland machen, so die Annahme. Wie es tatsächlich aussieht, werde man wohl erst im Herbst sehen, so die Einschätzung des Innenministeriums.
Mit der neuen Regelung können künftig bis zu 4.000 Menschen länger in der Erstaufnahme zurückgehalten werden. Dafür werden die Standorte ausgebaut, Ende 2023 sollen weitere 1.500 Plätze an weiteren Standorten geschaffen werden. Welche das sein werden, ließ das zuständige Innenministerium heute offen. Auch eine Verlängerung der Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme um weitere sechs Monate auf 24 Monate steht im Raum. Die CDU mit Innenminister Michael Stübgen hatte sich dafür bereits ausgesprochen, doch in der Koalition stößt das auf den Widerstand der Bündnisgrünen, allen voran Integrationsministerin Ursula Nonnemacher. Allerdings räumte auch Nonnemacher eine "sehr hohe Belastung" ein, die "zahlreiche Probleme mit sich bringt. Die soziale Infrastruktur stoße an ihre Grenzen.
Der Landrat von Elbe-Elster und Vorsitzende des Landkreistages, Siegurd Heinze (parteilos), zeigte sich erleichtert über eine Verlängerung der Aufenthaltsdauer in Erstaufnahmeeinrichtungen, mahnte aber zugleich eine "Rückführungsoffensive ohne Wenn und Aber" an. Der Zustrom von Menschen müsse geringer werden, sonst würde sich die Stimmung vor Ort in den Kommunen verschlechtern. Auch der Bürgermeister von Wittenberge und Präsident des Städte- und Gemeindebundes, Oliver Hermann, begrüßte diese Übereinkunft. Allerdings habe er sich mehr versprochen, etwa eine festgelegte Summe, mit der das Land die Kommunen unterstützen wolle.
Das Treffen lieferte am Ende eine ganze Reihe offener Fragen. So blieb zum Beispiel unklar, woher die zusätzlichen Lehrkräfte und Erzieher kommen sollen, die es für die wachsende Zahl an geflüchteten Kindern braucht. Eine Arbeitsgruppe soll sich nun rasch darum kümmern.
Ministerpräsident Woidke bezeichnete das Arbeitspapier als einen ersten Schritt in einem "dynamischen Prozess". Vom Bund forderte er deutlich mehr finanzielle Unterstützung. Die auf der letzten Ministerpräsidentenkonferenz vereinbarten finanziellen Hilfen von einer Milliarde Euro für alle Länder könnten nicht mehr als ein Anfang sein. Brandenburg erhält davon 30 Millionen Euro. Zu wenig, sagte Woidke: Schon im ersten Quartal habe das Land für die Geflüchteten 170 Millionen Euro ausgegeben.
Linken-Fraktions- und Landechef Sebastian Walter sparte nicht an Kritik am Ergebnis des Gipfels. Es sei viel Absicht und Ausblick präsentiert worden, aber nichts verbindlich sei beschlossen. "Wir hätten schon viel weiter sein können und müssen."
Für Woidke wiederum dürfte nun eine der größten Sorgen vorerst vom Tisch zu sein: Dass einzelne Städte und Landkreise ausscheren und eigene Aufnahmestopps für Geflüchtete verkünden. Der Gipfel in der Staatskanzlei ließ aber auch erkennen, dass die Möglichkeiten der Brandenburger zur Bewältigung der Probleme allmählich ausgeschöpft sind. Die wesentlichen Entscheidungen, so ließen die Teilnehmer erkennen, müssten ein paar Kilometer weiter in Berlin von der Bundesregierung getroffen werden. Die Verschärfung von Grenzkontrollen oder die Erleichterung von Abschiebungen sind letztlich Sache des Bundes.
Sendung: Antenne Brandenburg, 07.06.2023, 08:00 Uhr
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Beitrag von Hanno Christ
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