Start für 2025 geplant - E-Akte in Berlin steht nach massiver Kritik auf der Kippe
Ab 2025 sollte die Berliner Verwaltung digitaler werden, um die Mitarbeiter zu entlasten. Nach ersten schlechten Erfahrungen mit der E-Akte ist der Zeitplan ins Wanken geraten. Ein Bezirk hat die Arbeit mit der Software nun untersagt. Von Boris Hermel und Jan Menzel
In Mitte haben sie allmählich die Faxen dicke. Der Bezirk ist eigentlich stolzer Vorreiter bei der Verwaltungsmodernisierung. Doch ausgerechnet die E-Akte, das Herzstück der Digitalisierung, hat sich im Praxistest als großer Reinfall entpuppt. Schnittstellen zu anderen zentralen Programmen der Verwaltung funktionieren nicht. Entlastung und Vereinfachung, wie von vielen Beschäftigen erhofft: Fehlanzeige. Das System, mit dem der Bezirk arbeitet, ist so dysfunktional, dass Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger (B’90/Die Grünen) die Reißleine gezogen hat.
"Im Moment ist es tatsächlich ein so großer Mehraufwand, dass ich im Einvernehmen mit meinen Ämtern gesagt habe, dass sie das nicht benutzen dürfen", sagt die Rathauschefin. Als größten Schwachpunkt haben sie und die Mitarbeiter die Scanner identifiziert. Sie müssten eigentlich mit einer Software laufen, die eingehende Dokumente erkennen und sortieren kann. Das tut sie aber nicht. "Unsere Scan-Software ist leider ein bisschen dumm", stellt Remlinger ganz nüchtern fest. Sie könne nur das Eingangsdatum der Verwaltung lesen, mehr nicht.
Elf Mitarbeiter nur zum Scannen
Weil die Funktionen der Software so eingeschränkt sind, bräuchte sie elf Mitarbeiter, die sich nur um das Einscannen und das Verteilen der Dokumente an die vielen verschiedenen Abteilungen und Ämter kümmern. Dieses Personal habe sie aber nicht, sagt Remlinger. Denn was die Beschäftigten im Bezirksamt zu verarbeiten haben, sind wahre Massen an Formularen, Bescheiden und Postsendungen. 20.000 Blatt, 14.000 Finanzanweisungen – das sind die Dimensionen, mit denen ihr Amt jeden Tag konfrontiert sei, rechnet Remlinger vor.
"Da heißt jeden zusätzlichen Klick, den man machen muss, muss ich 14.000 Mal klicken oder 20.000 Mal einen Vorgang händisch machen", sagt sie. "Und das ist ja nicht nur ein Klick. Das sind jeweils mehrere Klicks." Wie miserabel es bislang mit der Einführung der E-Akte auf Bezirksebene läuft, haben auch die Bürgermeister anderer Bezirke kürzlich im Abgeordnetenhaus deutlich gemacht. Die Kritik kam dabei aus allen Ecken der Stadt, unabhängig von der Parteizugehörigkeit der Bezirksbürgermeister.
Nachweisbare Mängel an der Software
Für die neue Verwaltungsstaatssekretärin Martina Klement sind das verheerenden Signale, nur wenige Wochen nach ihrem Amtsantritt. Sie steht vor einem Scherbenhaufen, den ihre Vorgänger ihr hinterlassen haben. "Nach einer ersten Bewertung gibt es bei der von meinen Vorgängern eingekauften Digitalen Akte eine hohe Unzufriedenheit und auch nachweisbare Mängel am Produkt", erklärte Klement gegenüber dem rbb.
Sie führe daher Gespräche mit dem Vertragspartner, mit dessen Hilfe das Land die Digitalisierung stemmen wollte. "Diese Gespräche werden zeigen, ob unser aktuelles Produkt entsprechend nachgebessert werden kann und wie im Zweifelsfall der weitere Fahrplan hin zu einer funktionierenden E-Akte aussehen kann."
Im Abgeordnetenhaus wachsen – auch nach einer Anhörung mehrerer Bezirksbürgermeister – die Zweifel, dass das Prestigeprojekt "E-Akte", so wie es aufgesetzt wurde, noch eine Zukunft hat. "Die elektronische Akte ist das absolute Basissystem für die Verwaltungsdigitalisierung", sagt der stellvertretende Vorsitzende der Links-Fraktion im Abgeordnetenhaus Tobias Schulze und spricht sich für einen Neustart aus: "Wenn das Basissystem nicht funktioniert, dann muss man die Reißleine ziehen und muss neu ausschreiben."
E-Akte soll Chefsache werden
Lars Rauchfuß, in der SPD-Fraktion für die Bezirke zuständig, will sich noch nicht festlegen, ob bei der E-Akte alles wieder von vorne beginnen muss. Immerhin sind für das Projekt bis 2025 rund 135 Millionen Euro ausgegeben beziehungsweise eingeplant worden. Für Rauchfuß ist aber umso klarer, wer jetzt das Ruder rumreißen muss. "Kai Wegner hat im Parlament angekündigt, bis Ende der Sommerpause will er sich auf den neuesten Stand bringen, will sozusagen den Überblick haben. Dann muss gehandelt werden, dann muss das auch Chefsache werden", verlangt er.
Ein konkreten Tipp, wo der Regierende Bürgermeister eine E-Akte besichtigen kann, die wirklich funktioniert, hat Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger parat. Sie war unlängst im Jobcenter Mitte zu Besuch, wo die E-Akte längst Einzug gehalten hat. Dort gebe es auch eine intelligente Scan-Software, die all das könne, was sie sich für die E-Akte in ihrem Bezirk wünschen würde. "Das heißt: Die haben ungefähr 20 Zwischenschritte weniger als wir", sagt Remlinger.
Sendung: rbb24 Abendschau, 19.07.23, 19:30 Uhr