Mängel an mehreren Gebäuden - Sanierungsstau an der TU Berlin beeinträchtigt Uni-Betrieb
Um die Gebäudemängel an der TU Berlin zu beseitigen, fordert die Universitätsleitung Geld von der Politik. Die wiederum bittet um Zeit und verweist zurück an die Uni. Die Studierenden müssen sich derweil an Improvisation gewöhnen. Von Simon Wenzel
- Erste Raumnöte an der TU infolge der Sperrung des Mathematikgebäudes
- Bis zu 2,4 Milliarden Euro werden in den nächsten Jahren für Sanierungen benötigt
- Politik stellt vorerst nicht mehr Geld zur Verfügung und sagt, die TU habe selbst "hunderte Millionen Euro"
- Studierende berichtet von chaotischen Situationen vor Klausuren
Zwei Klausuren in einer Woche - das alleine ist ja schon stressig. Für die Biotechnologie-Studentin Shirin wurde das aber noch erschwert: Shirin studiert im siebten Semester an der Technischen Universität Berlin. Als sie am Montag der vergangenen Woche zu ihrem Klausurraum kam, standen sie und ihre Kommilitoninnen erstmal vor verschlossenen Türen - besser gesagt, vor zwei Tutoren, die ihnen erklärten, dass der Raum nicht nutzbar sei. Die Prüfung in physikalischer Chemie sollte nämlich in einem Raum des Mathemathikgebäudes der TU stattfinden. Das ist eigentlich in Folge eines Wasserschadens seit Juni geschlossen.
Was folgte, beschreibt sie als ein minutenlanges Hin-und-Her: Erst hieß es nach einer Weile, der Raum sei nun doch nutzbar, aber die Studierenden müssten über den Hintereingang rein. Und am Hintereingang hieß es dann doch wieder: Betreten verboten. Schließlich habe die Klausur mit rund einer Stunde Verzögerung begonnen - in einem Raum des Architekturgebäudes. Der war ohnehin dafür vorgesehen, allerdings nur für einen Teil der Studentinnen und Studenten. Am Ende saßen sie alle drin und hatten wenig Platz für ihre Unterlagen auf den Tischen.
Wer den Klausurraum finden will, muss regelmäßig seine Mails checken
"Vor so einer Klausur ist es ja immer aufregend, man versucht noch mal die ein oder andere Sache in den Kopf zu bekommen. Wenn man dann stattdessen den Raum wechseln muss und von Gebäude zu Gebäude läuft, kann man sich auch mental nicht so richtig drauf vorbereiten, weil man nur denkt: Findet das jetzt statt oder nicht?", sagt Shirin.
Die Geschichte setzte sich am folgenden Mittwoch fort: Zwei Tage vor der Klausur in Energie-, Impuls- und Stofftransport meldete sich der zuständige Postdoktorand bei seinen Studierenden. In einer E-Mail teilte er ihnen sinngemäß mit, er frage sich genauso wie sie, in welchem Raum die Klausur am Freitag stattfinden werde und bat die Studentinnen und Studenten, regelmäßig ihre Mails zu checken. rbb|24 konnte die betreffende Mail einsehen. Die Klausur fand letztlich in dem Raum des Mathematikgebäudes statt, der bereits am Montag hätte genutzt werden sollen. Er wirkte aber auch diesmal nur bedingt funktionstüchtig.
Kurz vor Klausurbeginn sei den Studierenden noch mitgeteilt worden, dass das Gebäudeteil derzeit kein Notstromaggregat habe, so Shirin. "Im Fall eines Stromausfalls wären also die Lampen ausgefallen, wir hätten es dunkel gehabt und damit mussten wir uns im Prinzip einverstanden geben. Wir wurden nicht gefragt, ob das in Ordnung ist", beschreibt Shirin die Situation. Lediglich die Notausgangsschilder hätten funktioniert, die seien batteriebetrieben, habe es geheißen.
Normalerweise gibt es darüber hinaus noch eine Treppenbeleuchtung, die hätte es an dem Tag im Notfall aber nicht gegeben. Es kam dann während der Klausur zwar zu keinem Stromausfall, ideal wirkt es dennoch nicht.
TU-Präsidentin erneuert Forderung nach mehr Geld für Sanierungen
Die Universitätsleitung der TU hatte bereits mehrfach öffentlich die baulichen Mängel an der Uni beklagt, auch gegenüber dem rbb. Die Präsidentin der Hochschule, Geraldine Rauch, erneuert nun im neuen Semester ihre Forderungen: "Die Lage ist sehr ernst und sie ist auch schon länger sehr ernst. Wir sind mit der Investitionsplanung sehr hinterher", sagte Rauch dem rbb. In den kommenden Jahren müssten pro Jahr rund 100 Millionen Euro investiert werden, um aus dieser Lage heraus zu kommen, so Rauch.
Die TU-Präsidentin hatte deshalb zuletzt ein Schreiben an die Hochschulmitglieder verfasst, was dem rbb vorliegt. Darin heißt es, die Investitionsplanung des Senats für Baumaßnahmen sei "niederschmetternd". Die "Berliner Morgenpost" [Bezahlinhalt] berichtete zuerst darüber. Für zwei Gebäude - unter anderen das derzeit geschlossene, alte Mathematikgebäude - seien die benötigten Investitionsmittel nicht bewilligt worden. Es sei absehbar, dass die TU durch weitere Gebäudeausfälle in den nächsten Jahren "substantielle Einschränkungen erfahren wird", heißt es in dem Schreiben.
Die TU benötigt nach eigenen Angaben in den nächsten Jahren rund 2,4 Milliarden Euro. Dringend sanierungsbedürftig seien derzeit fünf, grundsätzlich aber fast alle Gebäude, sagt Präsidentin Rauch. Für die Sanierung des Mathematikgebäudes seien beispielsweise rund 150 Millionen Euro notwendig, für die Technische Chemie etwa 80 Millionen und die Kosten für das Physikgebäude lägen ebenfalls bei rund 150 Millionen Euro, so Rauch.
Es gebe einen Plan, der baue allerdings aufeinander auf - "das heißt, wenn ein Baustein nicht funktioniert, funktioniert der nächste auch nicht", so Rauch. Und derzeit scheint die TU auf einen Stau zuzusteuern oder schon mittendrin zu stehen. Beispiel: Bevor das dringend sanierungsbedürftige Physikgebäude saniert werden kann, bräuchte es erst einen Neubau, in den die Physik-Kurse während der Sanierung ausweichen könnten.
Mehr als acht Milliarden Euro Investitionsbedarf für Berliner Universitäten
Daran ändern auch die beiden laufenden Neubauprojekte nichts: Im vergangenen Jahr bereits begannen die Arbeiten am neuen Mathematikgebäude in der Fasanenstraße, es soll im Sommer nächsten Jahres fertiggestellt werden und über 110 Millionen Euro kosten. Gleichzeitig entsteht ein interdisziplinäres Zentrum für Modellierung und Simulation (IMoS), welches weitere rund 60 Millionen Euro kosten soll. Finanziert werden die Bauten von der Universität selbst, sowie vom Land und Bund.
Das Problem des Sanierungsstaus betrifft nicht nur die TU. Wie die wissenschaftspolitische Sprecherin der Grünen Laura Neugebauer dem rbb mitteilt, liegt der Gesamtbedarf der Berliner Hochschulen für Investitionen in die Infrastruktur bei rund acht Milliarden Euro. Die Berliner Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) bestätigte diese Zahl gegenüber dem rbb und nannte sie sogar "vielleicht noch niedrig angesetzt", sie verwies allerdings auf ein bundesweites Problem.
Wissenschaftssenatorin nimmt TU in die Verantwortung
Von der TU forderte Czyborra, vorerst eigene Finanzmittel einzusetzen, um die kurzfristigen Raumprobleme zu lösen, zum Beispiel durch Anmietung von Gebäuden oder schnellstmögliche Herrichtung wichtiger Bauteile. Die Uni habe hohe Rücklagen, "die haben mehrere hundert Millionen auf der hohen Kante, die sie auch einsetzen können für kurzfristigen Bauunterhalt und kurzfristige Lösungen", sagt sie, "das müssen sie auch tun, denn diese Rücklagen sind so in der Höhe auch nicht akzeptabel", so die Senatorin. Was das alte Mathematikgebäude angeht, müsse man aber auch schauen, wie sinnvoll es sei, Geld in die Reparatur eines ohnehin schon vor dem Wasserschaden sanierungsfälligen Gebäudes zu stecken.
Die von der TU gewünschten und geplanten Gebäudesanierungen für Physik und Chemie könnten erst in der Haushaltsplanung berücksichtigt werden, wenn es für die jeweiligen Bauvorhaben eine Bauplanung mit reellen Zahlen gebe. Czyborra schlägt außerdem vor, eine Hochschulsanierungsgesellschaft des Landes zu gründen, die die Probleme lösen solle. Unter den Vorgängerregierungen seien andere Großinvestitionen priorisiert worden, wie das Naturkundemuseum und das Herzzentrum.
Chaotische Klausurbedingungen auch in Zukunft nicht auszuschließen
TU-Präsidentin Geraldine Rauch hingegen schlägt vor, über private Investitionen in die Universitäten nachzudenken. Ob man das gut finde oder nicht - wichtig sei, dass Geld komme. Anders sei der stadtweite Sanierungsstau aus ihrer Sicht kaum in den Griff zu kriegen. "Ich erwarte mir schon, dass wir noch ein größeres Augenmerk auf die Dringlichkeit richten. Momentan sagen wir noch: Der aktuelle Haushalt gibt es nicht her, schauen wir mal, was es im nächsten gibt. Wir an der TU sind aber schon in einer Situation, wo wir uns keinen Aufschub mehr leisten können", sagt Rauch.
Kurzfristig kann sie ihren Studentinnen wie Shirin keine großen Hoffnungen machen, dass chaotische Klausurbedingungen wie in der vergangenen Woche ein Einzelfall bleiben. Neben dem Mathematikgebäude sind derzeit wegen eines weiteren Wasserschadens auch über zwei Dutzend Laborräume im Chemiegebäude gesperrt, dazu einige Praktikumsräume. Letztere sollen in den nächsten Tagen sicherheitsüberprüft werden und könnten dann immerhin wieder nutzbar werden, teilte die Uni mit. Dennoch gilt: "In den alten Gebäuden ist es wie eine Lotterie: Wir wissen nie, wo der nächste Ausfall ist", sagt Uni-Präsidentin Rauch dazu. Mit der derzeitigen Gebäudesubstanz sei es absehbar, dass es wieder dazu kommen könnte.
Für die Zukunft zeichnet sie noch düstere Szenarien: Von weiteren Gebäudeschließungen könnten ganze Fachgebiete betroffen sein. Wären die einmal weg, könne man sie auch nicht einfach wieder aufbauen.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels war im oberen Teil von einem Professor die Rede, der die Mail an Shirin und ihre Kommiliton:innen geschrieben habe. Der meldete sich beim rbb und wies darauf hin, dass er Postdoktorand statt Professor sei. Zudem haben wir nach seinem Hinweis nachträglich ergänzt, dass normalerweise im Falle eines Stromausfalls eine Treppenbeleuchtung vorhanden gewesen wäre, die es am betreffenden Tag im Notfall nicht gegeben hätte.
Sendung: rbb24 Abendschau, 04.10.2023, 19:30 Uhr