Kunden sind wie im "Amazon-Fieber"
Die Basisausstattung kommt mit Panzertür und Trockentoilette, aber unter 100.000 Euro geht nichts: Seit Kriegsbeginn in der Ukraine steigt die Nachfrage nach privaten Schutzräumen auch in der Region - öffentliche Bunker gibt es nicht mehr. Von Hasan Gökkaya
Mit jeder abgefeuerten Kugel, mit jeder explodierenden Rakete, mit jedem weiteren Toten: Der militärische Angriff Russlands auf die Ukraine führt die Brutalität des Krieges vor. Anders als bei den bewaffneten Konflikten in Syrien und Afghanistan ist der Ukraine-Krieg aber geografisch viel näher an Deutschland - und das löst offenbar bei vielen Deutschen eine zunehmende Angst um das eigene Leben aus.
Es ist dieses Gefühl, das einigen Herstellern von Panikräumen und Bunkern derzeit neue Kundschaft beschert. Sie profitieren von der Situation aber auch deshalb, weil es in Deutschland keine öffentlichen Schutzbunker mehr gibt.
Wie auf dem Wohnungsmarkt wird auch in der Welt der Bunker-Hersteller in Euro pro Quadratmeter abgerechnet. Bei den Preisen kann aber nicht einmal ein Neubau aus Berlin-Prenzlauer Berg mithalten: Bis zu 5.300 Euro kostet ein Quadratmeter Bunker bei dem Berliner Hersteller Bssd. Allein das 18 Quadratmeter große Modell "Bunker B1" kostet mindestens 95.000 Euro. Immerhin: Panzertür und Trockentoilette sind in der Basisausstattung inklusive. Wer legt sich so etwas zu?
"Viele Menschen haben derzeit einfach Angst. Andere haben sich schon immer für solche Anlagen interessiert, bei den meisten unserer Kunden ist es eine Mischung aus beidem", sagt Mark Schmiechen, Sprecher von Bssd. Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben das erste in Deutschland, das sich auf Bunker und Schutzräume spezialisiert hat, welche "militärisches Niveau" erreichen.
Schmiechen macht kein Geheimnis daraus, weshalb das Geschäft derzeit boomt. Vor dem 24. Februar, dem Tag als Russland in die Ukraine einmarschierte, habe das Unternehmen gut 300 Besucher auf seiner Website gehabt. "Als der Krieg begann, stieg die Zahl auf mehr als 10.000 pro Tag." Ob Panikraum mit schusssicherer Tür, ob Panzerstahl-Garage oder die Verwandlung der Abstellkammer in einen Sprengstoff-sicheren Schutzraum: Beim Einsatz von Panzerstahl gebe es relativ wenige Grenzen, wenn das Budget da ist.
Zumindest Panikräume stellen aber auch andere deutsche Unternehmen her, etwa "Turtle Saferooms" aus Bremen und "Scutum" aus Berlin. Auch das Bremer Unternehmen erklärte rbb|24 auf Nachfrage, dass seit Kriegsbeginn mehr als drei Mal so viele Menschen wie sonst die Webseite besuchten. Einen Panikraum, also einen Schutzraum, den zum Beispiel Einbrecher auf die Schnelle auch nicht mit Waffengewalt öffnen können, ist für einige Zehntausend Euro zu bekommen. Wer einen eigenen Bunker will, muss mehrere Hundertausend Euro mitbringen.
Sprecher Schmiechen nennt es eine Art "Amazon-Fieber", was da gerade passiere: Wer einen Schutzraum wolle, dem könne es nicht schnell genug gehen. "Ein Kunde bestellte im Internet und überwies direkt den Kaufpreis - ohne mit uns über die Möglichkeiten des Anbaus überhaupt gesprochen zu haben", sagt Schmiechen. Auch das weite Land scheint manchen nicht sicher genug zu sein: Ein Mann, erinnert sich Schmiechen, habe einmal gefragt, ob er auch seine Kuh in den Bunker mitnehmen kann.
Wie realistisch der Vormarsch von fremden Militäreinheiten oder ein Bombenkrieg in Deutschland tatsächlich ist und deshalb private Schutzräume sinnvoll sind, bleibt der Fantasie der Interessenten überlassen. Klar ist jedoch: Auf instandgehaltene Anlagen wie Hoch- und Tiefbunker könnnten sich die Menschen im Falle des Falles aktuell nicht verlassen. Denn öffentliche Schutzräume wie Luftschutzbunker gibt es nicht mehr (bbk.bund.de).
Hintergrund ist ein Beschluss von 2007, wonach die Bunkeranlagen in Deutschland nicht weiter erhalten werden. "Mit dem Fall der Mauer und der Beendigung des Ost-West-Konflikts schien das Szenario eines konventionellen Krieges mit großflächigen Bombardierungen und dem Einsatz chemischer und nuklearer Waffen nicht mehr zeitgemäß", erklärt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) dazu.
Nach Angaben des Vereins "Berliner Unterwelten", der historische unterirdische Bauwerke erforscht und dokumentiert, gibt es in Berlin 23 Bunker - oder auf Beamtendeutsch: "Zivilschutzanlagen" (siehe Karte). Sie befinden sich teils in bezirklicher Hand, teils in privater, zwei sind zudem Eigentum der BVG (Pankstraße und Siemensdamm).
Wie viele Anlagen es konkret in Brandenburg gibt, ist unklar, selbst dem Innenministerium fehlt der Überblick. Es dürften aber Dutzende sein, die bereits zu Ruinen verkommen sind. Denn auf dem Gebiet der DDR erhielt keine Anlage je eine Zertifizierung nach der DIN-Norm. "In der Konsequenz hätten die Schutzräume in der ehemaligen DDR technisch modernisiert und aufgewertet werden müssen", erklärt das Brandenburger Innenministerium. Das sei wegen der Kosten nie geschehen.
Als der Bund 2007 die finanziellen Beiträge an die Länder zum Erhalt und Neubau von Bunkern kappte, war das Interesse groß, die Anlagen schnellstmöglich los zu werden - oder auf Null herunterzufahren. Illusionen dürfe man sich nicht machen: "Wären alle 23 Anlagen noch intakt, wäre heute für weniger als ein Prozent der Berliner Bevölkerung Platz", sagt Sascha Keil von "Berliner Unterwelten". Im Zweiten Weltkrieg lag der Wert bei etwa acht bis zehn Prozent.
Die Stilllegung der Bunker kann Keil zum Teil nachvollziehen. Die Haltung der Anlagen sei schließlich auf Dauer teuer. "Die Entscheidung, die 2007 getroffen wurde, heute zu kritisieren, das wäre falsch, denn damals wusste wirklich niemand, in welcher Situation wir uns heute befinden würden."
Doch Keil ist nicht mit allem einverstanden. Die Anlagen vollständig runterzufahren etwa, das sei unnötig gewesen. Stattdessen hätten sie auf "Sparflamme" betrieben werden können, meint er. Gegen Kernwaffen hätten die alten Bunker zwar keine Chance, doch um sich vor Infanterieeinheiten zu schützen, dafür reiche die Stahlstärke noch. Nun seien die Bunker allerdings nicht mehr nutzbar. Die Tiefbrunnen etwa seien zügig rausgerissen worden und Aggregate gekappt, die die Notstromversorgung sicherstellten. "Musste das sein? Den Notbetrieb hätte man für wenige Tausend Euro im Jahr aufrecht erhalten können", sagt Keil.
Da keine Bunker mehr in Betrieb sind, empfiehlt das BBK von "vorhandener Bebauung" Gebrauch zu machen. Im Fall eines Angriffs solle nach "innenliegenden Räumen mit möglichst wenigen Außenwänden, Türen und Fenstern" gesucht werden. U-Bahnstationen sind wohl solche Räume.
Völlig spurlos bleiben die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs dennoch nicht. Denn dass auch das bundesweite Frühwarnsystem in Deutschland Lücken hat, wurde spätestens am Warntag 2020 überdeutlich. Das Bundesinnenminsterium sprach damals von einem "Fehlschlag", viele Menschen hätten die zentral gesteuerten Test-Warnungen zu spät erreicht. Als Reaktion darauf will Berlin nun bis zu 400 Sirenen zur Warnung vor Katastrophen wieder aufstellen.
Bis dahin wird das Geschäft mit der Angst wohl weiter florieren - angekommen auf Ebay Kleinanzeigen ist es bereits. Da ist der Mann, der sich als zweifacher Vater ausgibt und auf der Suche nach einem Bunker für seine Familie sei. Sein Limit: 1.200 Euro.
Dann ist da der Verkäufer, der angeblich eine Wohnung in Potsdam inklusive Bunker besitze und vermietet. Er selbst sei gerade auf dem Sprung "in die Karibik". Was er auch im Angebot hat: Einen Platz in einem Atombunker bei Leipzig, dafür seien drei Monatsmieten im Voraus notwendig.
Ob das Angebot noch stehe und wie denn die Übergabe abläuft, will rbb|24 von ihm wissen. "Ja, für eine Familie hätte ich noch Platz. Wegen der jüngsten Entwicklung sind die sehr gefragt", schreibt er zurück. Wenig später ist die Anzeige gelöscht.
Sendung: Abendschau, 21.03.2022, 19:30 Uhr
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Beitrag von Hasan Gökkaya
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