Polemik | Europawahl in Brandenburg
Bei der Europawahl in Brandenburg ist die AfD stärkste Kraft geworden. Der Grund ist simpel: In der DDR war einfach alles schöner, sicherer, der Zusammenhalt enorm und niemand war von Brüssel ferngesteuert. Eine Polemik von Adrian Bartocha.
Liebe Ossis und AfD-Wähler! Ich bin Pole. Ich kann Eure Entscheidung an der Wahlurne verstehen. Bei uns Polen war - und ist es nicht viel anders. Wir fühlen ähnlich. Wie die Wahlergebnisse aus Warschau zeigen. Denn auch wir vermissen den Zusammenhalt von damals, die Sicherheit, das angstfreie Leben, was wir einst hatten. Als wir alle gleich, ein Volk und noch nicht von Brüssel ferngesteuert waren.
In der Platte zum Beispiel - da waren wir ja alle gleich. Da gab es nicht die Reichen und die Abgehängten. Höchstens "die da oben". Aber die waren ja noch beschissener dran als wir. Zum Glück. Vor allem Samstagabend, als alle im zehnstöckigen Hochhaus gleichzeitig baden, kochen und waschen wollten und die Wasserwerke mit dem Wasserdruck in den maroden Plattensiedlungen des Landes nicht nachkamen.
Das lag daran, dass die komplette Infrastruktur am Arsch war. Straßen, Nahverkehr, Versorgung: Havanna-Charme. In Jahrzehnten der Gleichheit und Sicherheit von sich bereichernden Opportunisten runtergewirtschaftet.
Und so standen die Nachbarn von den oberen Stockwerken bei uns vor der Tür - wir wohnten Parterre - Schlange, mit Schüsseln und Krügen in der Hand. Aber irgendwie war es ja schön. Man kam ins Gespräch. Und der Zusammenhalt: Bombe! Die Sicherheit hatten wir auch, dass es nächsten Samstag wieder kein Wasser geben wird.
Dass die Ehefrau des ersten Parteisekretärs zweimal die Woche nach Paris flog, zum Friseur, während die Arbeitermasse - 'tschuldigung: Arbeiterklasse - vier, fünf Stunden lang in der Schlange stand, für ein paar Rollen Klopapier, und sich dabei die Köpfe einschlug; das erfuhr man erst nach der Wende. Längst vergessen.
Überhaupt die Schlangen damals: vorm Metzger, vorm Bäcker, vorm Amt oder vor der Apotheke (da standen meistens die Frauen für Watte an, weil es keine Binden gab). Sicherheit und jede Menge Zusammenhalt erfuhr man da, so unter Gleichen, unter Polen. Galt aber nicht für die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, nicht für Parteibonzen oder sonstige Sicherheitsorgane. Die hatten ihre eigenen Läden. Ohne Schlangen. Ich schätze mal, so ähnlich wie damals in der Waldsiedlung in Wandlitz.
Es ist richtig: Gäbe es weiter den Ostblock, die Volksrepublik Polen, die DDR - dann gäbe es den schwabendurchgentrifizierten Prenzlauer Berg nicht. Sicher. Wahrscheinlich auch nicht mehr die Krakauer Altstadt oder das Erfurter Andreasviertel, sie wären längst in sich zusammengefallen. So ähnlich wie in Havanna. Aber dafür war die Sicherheit da.
Wir waren sicher und brauchten keine Angst haben. Vor der Zukunft nicht, vor den Türken nicht, auch nicht vor den Arabern. Und ja: Vor allem waren unsere Arbeitsplätze sicher. Keiner wurde arbeitslos. Man musste sich keinen Kopf machen. Ständig zittern. Wir sind morgens in den Betrieb, haben Freunde getroffen. Mindestens einer von ihnen war bei der Stasi oder dem polnischen Pendant, dem SB, aber Schwamm drüber. Vergessen. Schön war's irgendwie. Wie gesagt: sicher.
Zu tun gab's auch nicht wirklich was. Kein Druck irgendwie. Keine Schrauben, kein Stahl, kein gar nichts, woraus man irgendwie irgendwas produzieren konnte. Und wenn es mal was gab, ging es mit Güterzügen in die Sowjetunion - zum großen Bruder. Nachts, damit es keiner sieht.
Und wenn sich einer von der Partei doch ins Werk bemühte, wurden das Gras grün und die Kohlen schwarz gestrichen. Nicken, nochmal nicken, Händeschütteln. Danke, Genossen. Fünf-Jahres-Plan. Alles gut.
Betriebe wurden nicht geschlossen (wie heute), Leute hat man nicht von heute auf morgen entlassen (nur ab und zu willkürlich in den Knast gesteckt). Nur einmal, da hat man gleich den ganzen Staat insolvent gemeldet - und mit ihm Millionen von Menschen ihrer Existenz beraubt.
So groß war unsere Sicherheit damals. Aber ablenken konnte man sich gut. Bei der Aktuellen Kamera zum Beispiel - nix da Lügenpresse. Oder bei einem weiteren "Sowjets-besiegen-mutig-die-Nazis"-Film im einzigen Kino weit und breit. Oder noch besser: im privaten Kreis, zu viert, mit vier Schnapsflaschen. Die gab es immer, dafür hat die Partei gesorgt (zumindest in Polen, wo Schnaps eine Zeit lang jegliche Zahlungsmittel ersetzt hat). Schön und sicher war das.
Schlimm, gaaanz schlimm! Wohin man guckt in Europa: Krieg, Hunger, Pest, Ausländer und Cholera. So schlecht ging es uns noch nie auf diesem Kontinent. Und schuld daran sind die da oben! In Berlin, Warschau, Brüssel. Die Eliten. Die Politiker, die Presse natürlich auch. Alle unter einer Decke. Sie sind nicht nur schuld. Sie kümmern sich nicht mehr um uns. Um die Abgehängten, die das Pech hatten, damals auf der falschen Seite des Eisernen Vorhangs zu sein. Dass man im Westen auch arbeiten und fürs Gemeinwohl Mitverantwortung übernehmen muss, hat uns überrascht - das stand so nicht im Otto-Katalog.
Also sind wir die Opfer des Systems. Und bitte! Wir sind keine Demokratiefeinde, keine Rechtsextremen oder gar Nazis. Aber die sagen uns gerade, wie einfach doch alles gehen könnte, und deswegen wählen wir sie wieder.
Dazu auch noch die Wölfe. Die kommen. Aus Polen. Also abschießen. Ganz einfach: "Grenzen dicht", "Diesel ist super!", "Windräder stoppen". Fertig. Aus. Einfach und unbürokratisch. Übersetzt: Mauer wieder hoch, Zelten an der Ostsee. Mit dem Zweitakter hin, am Fenster ziehen blühende Braunkohlereviere vorbei. Farbenfroh. Frank Schöbel aus dem Radio. Wie damals. Und am Straßenrand winken die Milicja oder die freundlichen Beamten der Volkspolizei. Und bloß nicht zu lange in die Augen gucken.
Wie früher. Als es noch sicher war. Und als alle gleich waren. Nicht reich, nicht arm. Sich in Sicherheit wiegend und nicht abgehängt. Vereint in einer maroden Platte, unter einem Parteisekretär oder einem Präsidenten - ist auch scheißegal wie das heißt - einem richtigen Führer halt. Er wird's richten. Hat er ja schon mal.
Beitrag von Adrian Bartocha
Artikel im mobilen Angebot lesen