EU-Förderung
Mehr als 800 Millionen Euro stehen Berlin aus den großen EU-Förderprogrammen zur Verfügung. Ohne die EU-Fonds wären etliche Projekte gar nicht möglich. Doch nicht alle Bezirke rufen die Mittel gleich stark ab. Von Sebastian Schöbel
Zwischen Kinderklamotten und Friseurgeschäft taucht sie plötzlich auf: die kleine Kunstgalerie, mitten im Rathaus-Center Pankow. Jan Gottschalk hat auf einem der beiden Sessel in der Mitte des Eckladens Platz genommen, die Sonnenbrille über der Schiebermütze auf dem Kopf. Um ihn herum stehen Skulpturen und hängen Gemälde. Gottschalk freut sich, überhaupt hier sein zu können, wie sie sagt. "Damit über drei, vier Wochen eine Ausstellung zu machen, ist eigentlich gar nicht möglich."
Denn Ateliers und Ausstellungsflächen seien in Pankow kaum noch zu bezahlen. "Die Gentrifizierung macht auch hier nicht halt, in Pankow gibt es solche Räume eigentlich nicht mehr." Jedenfalls nicht bezahlbar für lokale und weniger prominente Kunstschaffende.
Dass Gottschalk nun trotzdem mitten im Einkaufszentrum in bester Lage sitzen kann, ist dem Pankower Artspring Festival zu verdanken – und Geldern der Europäischen Union. 200.000 Euro hat die EU für die gut vierwöchige Kunstschau beigesteuert, aus dem Fonds für Regionalförderung. "Das sind 40 Prozent unserer Kosten, damit haben wir Planungssicherheit für die nächsten drei Jahre."
Ohne die Kofinanzierung aus Brüssel hätte der Senat wohl kaum die gesamten Kosten übernommen, zeigt sich Gottschalk sicher. "Das hätten sie sich nicht leisten können." So aber gibt es das Artspring, das neben der temporären Galerie im Rathaus-Center auch zahlreiche andere Ausstellungen und Aktionen bietet, schon zum achten Mal. "Die europäischen Fördermittel sind hier wirklich gut angelegt", sagt Gottschalk.
Das Pankower Kunstfestival ist nur eines von Hunderten, wenn nicht Tausenden Projekten, die in Berlin mit EU-Fördergeldern unterstützt werden: von Alphabetisierungskursen in der Volkshochschule bis zur Zukunftsinitiative Stadtteil für mehr soziale Infrastruktur. Die Zentral- und Landesbibliothek finanziert damit ihr "Digital-Zebra", ein Beratungsangebot für Menschen, die Hilfe mit der digitalisierten Welt brauchen – vom Onlineantrag beim Amt bis zum Smartphone, das Ärger macht.
Das Leibniz-Institut wiederum erforscht mit Hilfe der EU-Gelder, wie man die urbanen Betonwüsten in der Stadt begrünen kann, und hat dafür an Spundwänden im Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal ein "vertikales Feuchtgebiet" geschaffen. Und die Jugendberufsagenturen helfen jungen Menschen in Ausbildung und Jobs, auch dank europäischer Unterstützung.
Die wichtigsten Brüsseler Geldtöpfe sind der Europäische Sozialfonds (ESF) und der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Allein aus diesen beiden Programmen steht Berlin von 2021 bis 2027 eine Summe von fast 830 Millionen Euro zur Verfügung.
Allerdings sinkt die Förderung seit Jahren stetig: Von 2000 bis 2006 waren es noch knapp 1,3 Milliarden Euro. Und die EU finanzierte damals noch bis zu 70 Prozent der eingereichten Projekte. Inzwischen ist der Anteil auf 40 Prozent gesunken. Der Grund: Der Stadt geht es heute besser als damals. "Die wirtschafts- und arbeitsmarkpolitische Situation Berlins hat sich seit dem Mauerfall– nicht zuletzt dank der nach Berlin geflossenen Strukturfondsmittel – signifikant verbessert", teilt die zuständige Wirtschaftsverwaltung jüngst im Abgeordnetenhaus mit.
Allerdings fällt auf, dass die Berliner Bezirke die EU-Förderung nicht im gleichen Maße nutzen. So flossen nach Angaben der EU-Kommission zum Beispiel nach Treptow-Köpenick in den vergangenen fünf Jahren gut sieben Millionen Euro aus EFRE und ESF – mehr als in Lichtenberg, Pankow, und Steglitz-Zehlendorf zusammengenommen. Schaut man sich nur den ESF an, fällt auf, dass Neukölln fast 3,6 Millionen Euro erhalten hat, ein Vielfaches mehr als fast alle anderen Bezirke.
Das liege vor allem daran, dass die Förderung in Projekte fließt, "von denen wir gar nichts wissen", sagt Gunnar Betz, Europabeauftragter von Charlottenburg-Wilmersdorf. Denn die meisten Gelder würden direkt von freien Trägern oder Institutionen beantragt – von denen die meisten aus dem sozialen Bereich in Neukölln sitzen, während Treptow-Köpenick vor allem vom Forschungsstandort Adlershof profitiert.
"Das hängt aber auch nicht zuletzt an den personellen Kapazitäten in den Bezirken" räumt Betz ein. Denn die Antragstellung sei mit viel Aufwand verbunden, und nicht immer passen die europäischen Vorgaben für Förderung mit dem zusammen, was die Bezirke gerade priorisieren.
Auch wenn Brüssel Berlin auf absehbare Zeit weniger Geld zur Verfügung stellt: Komplett verzichten will niemand auf die EU-Millionen. "Das würden die Bürgerinnen und Bürger sofort spüren", meint Betz. Vor allem im Sozialbereich seien viele Projekte sonst nicht mehr möglich – vor allem für Menschen, die es ohnehin schwerer haben als andere. "Die würden dann noch weiter marginalisiert werden."
Dafür muss in Berlin aber die Kofinanzierung sicher sein - schwierig, wenn gleichzeitig im Berliner Haushalt massiv gespart werden muss, allein in diesem Jahr sind es gut eine halbe Milliarde Euro.
Trotzdem verspricht die Finanzverwaltung, auch in Zukunft weiter die Kofinanzierung sicherzustellen. "Dass dies einerseits aufgrund der veränderten finanziellen Rahmenbedingungen für das Land und andererseits durch die gestiegenen Landesanteile für die neue EU-Förderperiode eine größere Herausforderung ist, als in der zurückliegenden Periode, liegt auf der Hand", teilte eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Finanzen auf rbb-Nachfrage mit.
Jan Gottschalk von Artspring zeigt sich derweil schon sicher, "dass das wackeln könnte". Er hoffe aber, dass die Stadt aus der Erfahrung mit Corona gelernt habe, wie wichtig eine funktionierende Kulturlandschaft für Berlin sei. "Der Senat kann es sich gar nicht leisten, da Gelder zu streichen."
Sendung: rbb24 Abendschau, 07.06.2024, 19:30 Uhr
Beitrag von Sebastian Schöbel
Artikel im mobilen Angebot lesen