EU-Kandidaten treffen auf Berliner Schüler
Erstmals dürfen in Deutschland 16-Jährige an der Europawahl teilnehmen. Grund genug für einige Kandidaten sich mit Schülern in Berlin zu treffen. Das Ergebnis: klassischer Frontalunterricht. Vorne wird gesprochen, hinten gelauscht. Von Sebastian Schöbel
Die Hymne der Europäischen Union hallt noch durch die Aula des Heinrich-Schliemann- Gymnasiums, da wird draußen vor der Tür schon eifrig analysiert: Wer sich von den eingeladenen Politiker:innen bei der Podiumsdiskussion zur Europawahl am überzeugendsten präsentiert habe.
Von "da kam ja gar nichts" bis "gut argumentiert" ist alles dabei: Vor allem aber zeigt sich, dass auch 16-Jährige, die bei dieser Europawahl am 9. Juni erstmals abstimmen können, durchaus für Politik interessieren können. Eine Stunde lang lauschen die Klassenstufen 10 und 11 den Ausführungen von Linken, Grünen, SPD, FDP, CDU und AfD. Die Fragen haben sie vorher zusammengestellt: zur Migrationspolitik, Waffenlieferungen an die Ukraine, Klimawandel und den Aufstieg von Rechtspopulisten in Europa.
"Es ist einfach wichtig, dass man sich seine eigene Meinung bilden kann", sagt Leonie Meyer. "Weil man sich selber eigentlich nicht so viel damit beschäftigt und immer nur hört, was die Eltern dazu sagen." Die Teenagerin gehört zu den vielen Erstwähler:innen der anstehenden Europawahl. Am 7. Juni, zwei Tage vor der Wahl, wird sie 16. "Ich finde es wichtig, an der Politik teilzuhaben und meine Meinung dazu abzugeben." Schließlich gehe es um ihre Zukunft.
Klassenkameradin Gesine Jentsch sieht das genauso. "Natürlich gibt es in unserem Alter auch Leute, die sich nicht gut genug informieren", räumt sie ein. Umso wichtiger sei der direkte Kontakt mit den Kandidat:innen. Die bekommen auf der Bühne in der Aula pro Frage nur ein paar Minuten Zeit, um ihre Argumente vorzutragen.
Christian Arnd von den Linken fordert ein sozialeres Europa, das Asylsuchende nicht im Meer ertrinken lässt und an niemanden Waffen liefert. AfD-Kandidat Alexander Sell wiederum will den EU-Institutionen Kompetenzen entziehen und die Zuwanderung stark einschränken. Für die CDU argumentiert Aileen Weibeler für Asylverfahren außerhalb der EU und technologieoffene Lösungen beim Kampf gegen den Klimawandel.
Grünen-Politiker Can Aru lobt den Green Deal, der auf EU-Ebene auf den Weg gebracht wurde, und bedauert, dass europäische Fördergelder für Frauenhäuser oft nicht bei den Bezirken ankommen. Für FDP-Politikerin Anastasia Vishnevskaya-Mann ist wichtig, das Recht auf Abtreibung als europäisches Grundrecht zu etablieren. Und Gabriele Bischoff, die seit 2019 für die SPD im Europaparlament sitzt, erinnert daran, dass die EU nicht nur ein Binnenmarkt, sondern auch eine Wertegemeinschaft ist.
Politischen Streit erleben die Schülerinnen und Schüler von den sechs Gästen nicht - bis auf ein paar Andeutungen, etwa zu den China-Verbindungen des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah oder bürokratische Umweltauflagen der EU. Bisweilen wirkt es wie klassischer Frontalunterricht: Vorne wird gesprochen, hinten wird gelauscht. Hinterher wirken dennoch alle zufrieden.
"Ich fand es klasse", sagt der 16-jährige Khaled. Wahlprogramme hätten er und seine Kumpel bisher nicht gelesen. "Jetzt weiß ich, wo die stehen." Helene, ebenfalls 16 Jahre alt, stimmt zu. "Obwohl die Fragen meist eher nur oberflächlich beantwortet wurden". Vor allem die Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine und das Recht auf Abtreibung ist vielen der Schülerinnen und Schülern im Gedächtnis geblieben. "Das hat mich schon zum Nachdenken gebracht", sagt 10.-Klässler Eddy. Und Alma aus der Parallelklasse räumt ein, dass die Veranstaltung durchaus ihre Wahlentscheidung beeinflusst habe. "Denn vorher war ich mir wirklich nicht sicher."
So zivilisiert wie an diesem Tag im Heinrich-Schliemann-Gymnasium geht es im Europawahlkampf allerdings nicht immer zu. Dabei bräuchte es viel mehr solcher Veranstaltungen, sagt Issa Wohlrab. Denn viele seiner Altersgenossen würden sich sonst vor allem über Plattformen wie TikTok, X und Co. informieren, wo extreme Meinungen meist die Oberhand hätten. "Die AfD hat eine extreme Präsenz auf Social Media", so Wohlrab, und zu sehen bekomme man als Jugendlicher dann vor allem ein nationalistisch verklärtes Deutschlandbild. Andere Parteien wiederum seien auf diesen Kanälen, die Jugendliche nutzen, deutlich weniger aktiv. "Wenn da nicht aufgeklärt wird, entsteht ein Ungleichgewicht."
Sendung: rbb 88,8, 21.05.2024, 17:00 Uhr
Beitrag von Sebastian Schöbel
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