Politikwissenschaftler Faas
Dieses Ergebnis ist nicht mehr nur Protest - sehr viele Menschen fühlen sich bei der AfD inzwischen auch inhaltlich wohl, sagt der Politikwissenschaftler Thorsten Faas. Für das Bündnis Sahra Wagenknecht erwartet er weitere Erfolge insbesondere im Osten.
Der Erfolg der AfD bei der Europawahl ist nach Ansicht von Politikforscher Thorsten Faas nicht nur als Protest zu werten, sondern auf inhaltliche Zustimmung der Wähler zurückzuführen. Im rbb-Interview sagte Faas am Montagmorgen: "Da findet sich wirklich auch viel inhaltliche Überzeugung. Die Frage von Krieg und Frieden mit Blick auf die Ukraine oder auch die Frage 'Wie gehen wir mit dem Klimawandel um?' - da fühlen sich inzwischen sehr viele Menschen bei der AfD auch inhaltlich wohl."
Die Union gewann die Europawahl in Deutschland mit klarem Vorsprung und kommt auf rund 30 Prozent der Stimmen. Auf auf Platz zwei liegt die AfD mit knapp 16 Prozent, in den ostdeutschen Bundesländern - auch in Brandenburg - ist sie sogar stärkste Partei.
Große Verluste erlitten dagegen die Ampel-Parteien. So erreichte die SPD nur 14 Prozent, die Grünen kamen auf knapp 12 Prozent und die FDP auf rund 5 Prozent. Die Wagenknecht-Partei BSW landet aus dem Stand bei gut 6 Prozent, während sich die Linke auf rund 3 Prozent halbierte.
Der Wahlsieg der AfD wiege noch schwerer, weil beispielsweise Spitzenkandidaten auch innerhalb der Partei in der Kritik standen und nicht auftreten durften, erklärte Faas. "Da merkt man, dass das nicht nur eine Personenwahl ist."
In den Wochen vor der Wahl und nach Ablauf der Aufstellungsfristen für die Kandidaten war AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah wegen möglicher Verbindungen zu prorussischen Netzwerken und auch wegen möglicher China-Verbindungen in die Schlagzeilen geraten. Später waren zudem Äußerungen von Krah zur Waffen-SS bekannt geworden. Krah durfte dann in den Wochen vor der Europawahl keine Wahlkampfauftritte mehr bestreiten. Ähnlich umstritten ist der ebenfalls nun gewählte Petr Bystron, gegen den Vorwürfe bekannt wurden, er habe Gelder aus Russland erhalten.
In der Stärke habe ihn der Wahlsieg der AfD aber doch überrascht, sagte Faas dem rbb. "Etwa bei den Kommunalwahlen vor zwei Wochen in Thüringen war die AfD gar nicht so stark", erklärte Faas auf Radioeins. Den AfD-Stimmanteil in diesem Umfang bei der Europawahl habe er so nicht erwartet.
Den lauten Unionsjubel kommentierte Faas hingegen: "Eigentlich aber sind 30 Prozent jetzt nichts, was CDU-Kreise in Euphorie versetzen sollte." Das Ergebnis der Union deute auf eine Konsolidierung für die Partei, doch wahrscheinlich habe man sich in der Partei durchaus "im stillen Kämmerlein mehr erwartet", so der Politikexperte.
Sehr deutlich wurde laut Faas bei dieser Wahl, dass in die Verteilung der Stimmen "sehr viel Dynamik" komme. Anteile von Parteien würden sich in kurzer Zeit deutlich verschieben. "Es gibt einfach nicht mehr diese großen Parteien und die damit verbundene Selbstverständlichkeit, bei 30 und mehr Prozent zu landen", konstatierte Faas.
Zu den Verlusten der Grünen sagte Faas: "Sie waren 2019 auch auf einer Euphoriewelle. Das war die Klimawahl damals." Den Grünen gelinge es im Moment nicht - obwohl es für ihre Themen wie Klimaschutz oder das Hochwasser in Bayern nun viel Aufmerksamkeit gibt - ein Momentum für Unterstützung zu generieren. Sehr viele Menschen würden den Grünen im Moment nicht zutrauen, ihre Ideen auch in praktische Politik umzusetzen, so Faas.
Eine starke Akzeptanz bei den Wählern sieht Faas hingegen für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). "Gerade in Ostdeutschland ist das BSW besonders stark gewesen, an vielen Stellen auch zu Lasten der Linken, die aus ihrer Sicht im Osten erschreckend schwache Ergebnisse eingefahren haben." Dem BSW scheine es hier gelungen zu sein, sich als Alternative für bestimmte Kreise zu positionieren. "Mit Sahra Wagenknecht hat das BSW eine sehr sichtbare und mobilisierende Person an der Spitze", erklärte der Politikwissenschaftler. Faas betonte, er sei überzeugt, dass der Erfolg des BSW nicht nur eine Eintagsfliege war. "Das ist ein Zeichen, wie es gerade auch in Ostdeutschland bei den Wahlen im Herbst aussehen könnte."
Sendung: Radioeins, 10.06.2024, 8:40 Uhr
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