Landtagwahl in Brandenburg
Nach Absprache mit der AfD kandidiert der parteilose Bürgermeister von Jüterbog für den Landtag. Sie überlässt ihm den Wahlkreis, weil sie hofft, dass er der SPD das Direktmandat abnimmt. Denn Arne Raue und die AfD stimmen in Vielem überein. Von Olaf Sundermeyer
Der Demonstrationsredner Arne Raue sagt: "Die ganze Welt lacht über diese Republik, und ich habe keine Lust, dass die Leute über mich lachen." Mit Blick auf die deutsche Unterstützung für die angegriffene Ukraine hat er den Eindruck, "dass diejenigen, die hier die Strippen ziehen - und das ist nicht die Bundesregierung -, willfährige Marionetten gefunden haben, in Leuten, deren geistiger Horizont leicht begrenzt ist." Die Außenpolitik gehört zu den Lieblingsthemen, über die Raue gerne öffentlich spricht. Mit Blick auf Russland und Kreml-Chef Putin behauptet er, Nato und EU würden den "Bären provozieren, wo sie nur können". Dabei stellt er nur seine "private Meinung" vor, wie er auf einer Bühne in Herzberg sagte: "Wenn ich es als Bürgermeister tun würde, dann würde man mir wieder irgendein Disziplinarverfahren anhängen." Denn Arne Raue ist als Bürgermeister "Hauptverwaltungsbeamter" in seiner Stadt.
Seit 14 Jahren sitzt er im historischen Rathaus den 13.000 Einwohnern von Jüterbog (Teltow-Fläming) im Süden Brandenburgs vor.
In diesem Jahr nun will Raue in den Landtag. Als parteiloser Kandidat will er der SPD das Direktmandat im Wahlkreis Teltow-Fläming II abnehmen. Seinen direkten Konkurrenten, den langjährigen SPD-Abgeordneten Erik Stohn, nannte Arne Raue auf einem radikalen Bauern- und Handwerkerprotest in Dahme/Mark öffentlichen einen "Extremisten". Das ist Raues Art, Wahlkampf zu machen.
Es gibt zahlreiche Kontroversen zu Arne Raue in Jüterbog. Einige sehen in ihm einen Rassisten - wegen seiner flüchtlingsfeindlichen Posts in den sozialen Medien. Bei einer Anti-Corona-Demonstration 2022 in seiner Stadt trat er als Redner auf, vor einem Banner der NPD-Jugendorganisation.
In der Lokalpolitik teilt sich Jüterbog in zwei Lager: in die Unterstützer und die Gegner von Arne Raue. Die evangelische Kirche stellte sich vor dem diesjährigen Stadtjubiläum "850 Jahre Jüterbog" in einem offenen Brief gegen den Bürgermeister - wegen dessen AfD-Nähe. Und genau darum geht es in der Frage seiner Kandidatur für den Landtag, denn die AfD stellt diesmal für die Landtagswahl bewusst keinen Direktkandidaten für den Wahlkreis Teltow-Fläming II auf.
Bei der vergangenen Landtagswahl hatte die damalige Landesvorsitzende Birgit Bessin im Wahlkreis Teltow-Fläming II kandidiert und war SPD-Mann Erik Stohn unterlegen. Bessin hat sich bei der diesjährigen Wahl für einen anderen Wahlkreis entschieden. Bei den Wahlen zum Kreistag und zum Europarlament am 9. Juni wurde die AfD in Teltow-Fläming II zur stärksten Partei gewählt - dennoch bleibt sie hier nun ohne eigenen Kandidaten.
Arne Raue ist einer von zahlreichen parteiunabhängigen Kommunalpolitikern in Brandenburg, die auf Landesebene die politischen Ideen der AfD teilen. Auch das macht die Partei hier so stark.
Spätestens zum Listenparteitag der AfD im April in der städtischen Wiesenhalle in Jüterbog kam der Verdacht einer Absprache zwischen Arne Raue und der AfD über dessen Kandidatur auf. Dort sprach der Bürgermeister auf Bitten der Partei ein Grußwort, das Wellen schlug. Im Gespräch mit dem rbb sagte er später, Gleiches würde er für jede demokratisch legitimierte Partei in seiner städtischen Halle tun - mit Ausnahme der Grünen.
Auf Medienbeobachter wirkte Raues Ansprache auf dem Parteitag wie ein Bekenntnis zur AfD. In Brandenburg steht die Partei seit vier Jahren als Verdachtsfall einer rechtsextremen Bestrebung unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes. Raue begrüßte auf dem Parteitag "sehr, sehr herzlich alle hier anwesenden Demokraten aus dem ganzen Land Brandenburg, weil das Gute an der Demokratie ist: Nicht die, die im Parteinamen das D für Demokratie haben, sind automatisch die Demokraten, weil diejenigen am lautesten schreien 'Wir sind die Demokraten' (…), nachdem sie nun anderen Begriffe wie Nazi und so verbraucht haben. (...) Die, die Demokratie leben, das sind die Demokraten."
Das kam im Saal sehr gut an - auch beim AfD-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl, Fraktionschef Hans-Christoph Berndt: "Das ist toll, dass er auf den Parteitag kommt als Bürgermeister und sagt, ich begrüße euch und ihr seid demokratisch und wer euch das abspricht, der hat Unrecht." Das würden sich nur die Allerwenigsten trauen, sagte Berndt später im Gespräch mit dem rbb.
Für den Fall, dass Arne Raue als parteiloser Direktkandidat in den Landtag einzieht, wünscht sich Berndt ihn in seiner Fraktion: "Ich hätte kein Problem damit, wenn Herr Raue zu uns käme. Der ist jederzeit willkommen, weil er ein guter Mann ist." Bereits im vergangenen Jahr hatte seine AfD-Fraktion - zum ersten Mal bundesweit - Zuwachs, als sich der Abgeordnete Philip Zeschmann für einen Wechsel von den Freien Wählern zur AfD entschied.
Arne Raue sagt dazu, er sehe sich "geehrt", wenn sich etablierte Parteien um ihn Gedanken machen würden. Den AfD-Fraktionsvorsitzenden Berndt hält er für "integer". Beide traten bereits als Referenten beim "Jüterboger Bürgerstammtisch" auf, einem lokal einflussreichen neurechten Debattier- und Vernetzungstreffen. Für dieses wirbt Bürgermeister Raue offensiv - wie auch Vertreter der AfD.
Auch der AfD-Kreisvorsitzende, der Landtagsabgeordnete Daniel Freiherr von Lützow, würde Raue gerne in seiner Fraktion sehen. Im Gespräch mit dem rbb bekennt er sich zu dem Jüterboger Bürgermeister und bestätigt erstmals eine Absprache zum Wahlkreis Teltow-Fläming II. Von Lützow zufolge hat Raue ihn vor "ungefähr einem Jahr" vorab über die Entscheidung seiner Kandidatur informiert. Danach habe man sich im AfD-Kreisvorstand mit "einstimmigem Votum" gegen eine eigene Kandidatur als AfD entschieden.
Persönlich würde von Lützow Arne Raue nun unterstützen, sagt er. Seine Partei werde das offiziell nicht tun - wohl aus taktischem Kalkül, wie von Lützow einräumt: um Raues Wahlerfolg nicht zu gefährden. Man wolle keine Wähler vergrätzen, die "nicht so bei der AfD" seien. Aber man werde Raue "das Feld überlassen", sagt von Lützow. "Wir wollen schließlich die Vorherrschaft der SPD aufknacken."
Arne Raue selbst beantwortet die Frage nach einer Absprache über den Wahlkreis ausweichend: "Glauben Sie ernsthaft, dass sich die AfD von mir vorschreiben lässt, wo sie antritt?"
Bei der vergangenen Landtagswahl gewann SPD-Kandidat Erik Stohn das Direktmandat mit 32,6 Prozent, deutlich vor AfD-Frau Bessin (24,3). Bei dieser Wahl könnte es knapp werden gegen einen bekannten, langjährigen Bürgermeister, der die Sympathien der AfD auf seiner Seite hat.
Sendung: rbb24 Inforadio, 19.07.2024, 07:10 Uhr
Beitrag von Olaf Sundermeyer
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