Neuer Brandenburger Landtag
SPD und BSW in Brandenburg sondieren derzeit, ob sie eine Regierung bilden werden. Jüngste Äußerungen von BSW-Abgeordneten deuten an, dass sich der Umgang mit der AfD ändern könnte. Auch die Landtagsspitze stellt sich neu auf. Von Hanno Christ
Wer am Montag den Landtag betritt, findet einen Plenarsaal in geordneter Unordnung. Die roten Stühle verteilen sich noch in der Lobby, im Saal aber lässt sich an den neu formierten Tischreihen die politische Kräfteverteilung Brandenburgs ablesen.
Es sind zwar noch immer 88 Abgeordnete, aber nur noch von vier, nicht mehr sechs Parteien. Das bedeutet, dass es deutlich luftiger geworden ist zwischen den Fraktionsreihen, allerdings nur räumlich betrachtet. Mehrere Vertreter des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) haben nun unterstrichen, dass sie ihren Worten im Wahlkampf Taten folgen lassen wollen. Sie halten es für denkbar, auch Anträge der AfD-Fraktion mitzutragen.
Zum einen ist das der Alterspräsident Reinhard Simon. Der 73-jährige war langjähriger Intendant der Uckermärkischen Bühnen in Schwedt. Er wird am Donnerstag die Eröffnungsrede bei der Konstituierung des Parlamentes halten. Seine Funktion ist eine eher symbolische, weil mit der Wahl eines Präsidiums die Sitzungsleitung rasch auf die neue Präsidentin übergehen wird. Dennoch wird der Eröffnungsrede viel Gehör geschenkt werden.
Im Interview mit der "Märkischen Allgemeinen Zeitung" [Bezahlinhalt] vom Montag deutet Simon zumindest eine Stoßrichtung seiner Rede an. Er bezeichnet sich als "Brückenbauer" – auch zur AfD. Den Willen von 29 Prozent der Wähler könne man nicht ignorieren, so Simon. "Das BSW hat mehrfach gesagt, dass wir dort, wo die AfD sinnvolle Dinge beantragt, die mit den Zielen des BSW vereinbar sind, nicht pauschal ablehnen, sondern unter Umständen auch zustimmen werden."
In allen übrigen Fragen gelte der politische Wettstreit um die besseren Argumente und wessen Interessen man vertrete, so Simon im Interview. Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa bekräftigt Simon ebenfalls am Montag: "Ein ideales Parlament sollte in der Lage sein, die Kunst des Zuhörens der Argumente zu trainieren und weniger die Meinungen anderer mit Buh-Rufen zu begleiten."
Simon ist mit dieser Haltung nicht alleine. Auch der BSW-Landeschef und Fraktionsvorsitzende Robert Crumbach unterstützt einen anderen Umgang mit der AfD. Im Interview mit rbb24 fordert Crumbach eine stärkere inhaltliche Auseinandersetzung: "Wenn die AfD einen vernünftigen Antrag stellt, dann gehört dazu, dass man dem auch zustimmt. Also der Himmel ist blau. Und wenn die AfD mal feststellt, dass der Himmel blau ist, dann wird er nicht grün oder rot oder sonst was, sondern er bleibt blau. Und dann stimmt man so einem Antrag natürlich auch zu." Bollwerke und Ausgrenzung seien nicht der richtige Weg, so der BSW-Fraktions- und Landesvorsitzende.
Dergleichen Wortmeldungen aus den Reihen des BSW sind nicht neu. Im Wahlkampf hatten sich Parteivertreter wiederholt in eine ähnliche Richtung geäußert, auch die Bundesvorsitzende Sahra Wagenknecht. Neu hingegen ist das zeitliche Umfeld, in das die Äußerungen fallen – mitten in die Sondierungsgespräche von SPD und BSW. Spitzenvertreter beider Parteien klopfen derzeit ab, ob sie eine tragfähige Regierung bilden können, aber auch wo sie klare Grenzen ziehen.
Die SPD hatte bislang jegliche Zugeständnisse an die AfD, auch eine Zustimmung zu ihren Anträgen oder gar Gesetzesinitiativen, konsequent abgelehnt. Wie sie auf die Äußerungen der BSW-Politiker blickt, ist unklar. Vor einer rbb-Kamera wollte sich der SPD-Fraktionsvorsitzende und Sondierungsteilnehmer Daniel Keller nicht äußern.
Im parlamentarischen Alltag ist eine Zustimmung aus den Regierungsfraktionen zu Anträgen der Opposition möglich, war bislang bis auf wenige Ausnahmen aber eher unüblich. Der BSW-Vorsitzende Crumbach will nicht ausschließen, dass sich dort künftig etwas ändert. "Üblicherweise wird in einem Koalitionsvertrag festgelegt, wie man sich bei Anträgen der Opposition verhält. Ich gehe davon aus, dass auch in einem nächsten Koalitionsvertrag dazu eine entsprechende Klausel vorhanden sein wird – wer auch immer den unterschreibt."
Wie konkret sich das BSW bei Abstimmungen über Initiativen der AfD verhalten wird, lässt Crumbach im Unklaren. Entscheidend ist für ihn der Praxistest. Er habe sich sämtliche AfD-Anträge der letzten Legislatur angeschaut. "Da war nichts Vernünftiges dabei. Ich hoffe, dass die AfD ihr Verhalten etwas ändert. Ich hoffe auf vernünftige Anträge."
Einen ersten Punkt im neuen Landtag konnte das BSW am Montag für sich verbuchen. Auf Vorschlag des Bündnisses soll es neben dem Präsidium drei und nicht mehr nur zwei Vize-Präsidenten geben. Eine Idee, der alle beteiligten Fraktionen folgten und die den Konflikt um die Besetzung der Posten noch vor der ersten Sitzung am Donnerstag entschärft. Die Wiederwahl der bisherigen Präsidentin Ulrike Liedtke (SPD) gilt als wahrscheinlich, das BSW schlägt aus seinen Reihen Jouleen Gruhn vor, die AfD Daniel Münschke. Die CDU nominierte den derzeit noch amtierenden Minister für Infrastruktur und Landesplanung, Rainer Genilke.
Damit stehen vor der ersten Sitzung des Landtages die Zeichen auf Entspannung, nicht auf Konfrontation. Nach der turbulenten ersten Sitzung des Landtages in Thüringen [mdr.de] war befürchtet worden, dass sich ähnliche Szenarien auch in Brandenburg wiederholen könnten. Das sieht derzeit nicht danach aus.
Der amtierende Vize-Präsident der AfD, Andreas Galau, kommentierte die Idee eines Dreier-Vize-Präsidiums denn auch als "guten Auftakt" der nächsten Legislatur. "Ich denke, es ist ein guter Kompromiss, der hier gefunden wurde und dafür sorgen wird, dass wir eine reibungslose konstituierende Sitzung haben werden", so Galau.
Noch ist gänzlich offen, welche Regierung Brandenburg bekommen wird und wie die Fraktionen im Landtag arbeiten werden. Sollte jedoch die klare Abgrenzung zur AfD im neuen Landtag aufgegeben werden, so hätte das Signalwirkung ins Land hinein. Ob in Stadtverordnetenversammlungen, Gemeindevertretungen oder in Kreistagen – eine offizielle Zusammenarbeit mit der AfD findet in Brandenburg bislang nicht statt. Die Zustimmung zu Anträgen der AfD wird nicht konsequent ausgeschlossen, aber doch oft vermieden.
Sollte der Landtag künftig einen anderen Umgang pflegen, so würden sich auch kommunale Abgeordnete womöglich kaum mehr gebunden fühlen. Auch über die Verteilung von Posten etwa beim Vorsitz von Ausschüssen oder von Kommunalparlamenten würde dann wohl neu nachgedacht werden – die sogenannte Brandmauer zur AfD könnte dann rasch Geschichte sein.
Sendung: rbb24 Inforadio, 15.10.2024, 7:45 Uhr
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Beitrag von Hanno Christ
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