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Quelle: dpa/Michael Bahlo

BSW-Wahlkampf in Brandenburg an der Havel

Slalom mit Wagenknecht

Krieg und Frieden hat Sahra Wagenknecht zum zentralen Thema ihrer Partei erklärt. In Brandenburg an der Havel begeistert sie Hunderte. Wie genau Frieden geschlossen werden soll, bleibt offen. Konkreten Aussagen zum Angreifer weicht sie aus. Von Oliver Noffke

Für den Abend ist ein Schauer vorhergesagt. Schon am Nachmittag nieselt es leicht. Der Himmel über Brandenburg an der Havel ist schwer und grau. Der Neustädtische Markt ist dennoch voll. Mindestens 500 sind gekommen und der Zulauf hält an. Gespannt verfolgt das Publikum die Rede von Robert Crumbach. Für den brandenburgischen Spitzenkandidaten des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist es am vergangenen Mittwoch ein Heimspiel. Hier ist Crumbach seit 1991 als Richter am Arbeitsgericht tätig.

Der 61-Jährige steht fest auf der Bühne. Auf dem Pult vor ihm die seitenlange Rede. Zu viel Bürokratie gebe es in Brandenburg, aber zu wenig Respekt vor Polizei, Rettungskräften oder ehrenamtlich Tätigen, an den Schulen falle zu viel Unterricht aus, es fehle bezahlbarer Wohnraum und die brandenburgische Stahlindustrie müsse gestärkt werden. Unaufgeregt, aber mit anhaltender Vehemenz pflügt er durch die Zeilen.

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In Umfragen aus dem Stand zweistellig

Vieles erfährt hörbare Zustimmung. Begeisterungsstürme löst das jedoch nicht aus. Die Menge ist gekommen, um zu hören, wie in Europa wieder Frieden herrschen kann. "Ich weiß, dass Sahra darüber auch reden wird", sagt Crumbach unter lautem Beifall, "aber ich will es trotzdem tun". Der Krieg in der Ukraine müsse schnell beendet werden. Das ginge nur auf diplomatischem Wege. "Ich weiß, dass wir deswegen als Russland-Trolle, Putin-Freunde oder sonst irgendwas diffamiert werden", sagt er. "Aber wissen Sie was? Das ist mir egal."

Erst im Januar wurde die Partei gegründet. Der brandenburgische Landesverband existiert noch keine vier Monate. Dennoch hätte der Start kaum besser verlaufen können. Bei der Europawahl Anfang Juni stimmten bundesweit mehr als 2,4 Millionen Menschen für das BSW. Das brachte ein Ergebnis von 6,2 Prozent. Mit sechs Abgeordneten ist die Partei nun in Straßburg vertreten. Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen Anfang September standen am Ende 11,8 Prozent, beziehungsweise 15,8 Prozent. Im BrandenburgTrend stand das BSW vergangene Woche bei 13 Prozent.

Überfordert von einer immer schneller drehenden Welt

Nach seiner Rede bleibt keine Zeit für einen gemeinsamen Moment auf der Bühne mit der Parteigründerin. Crumbach bittet um Entschuldigung, er müsse dringend zum nächsten Termin. Eine Reaktion vom Publikum bleibt aus. Wagenknechts Limousine ist wenige Minuten zuvor vorgefahren. Im Backstage-Bereich treffen beide kurz aufeinander. Herzliche Begrüßung und gleichzeitig Verabschiedung. Dann ist er weg, während sie noch einen Moment an den Stufen zur Bühne ruhig für sich steht. Bis der Moderator ihren Namen ruft.

Quelle: dpa/Michael Bahlo

Der Platz wird laut. Wagenknecht tritt mit festen Schritten in die Mitte und nimmt sich einen Moment, um ausgiebig in alle Richtungen des Platzes zu winken. Viele im Publikum sind wie elektrisiert, schauen voller Freude auf die Frau mit dem fuchsiafarbenen Blazer. Hinter Sahra Wagenknechts Namen trägt das BSW den Nachsatz "Vernunft und Gerechtigkeit". Große Worte, die jede und jeder der Anwesenden selbst mit Leben ausfüllen kann.

Die Erwartungen an eine neue Kraft mit linken Wurzeln, aber kulturell konservativem Programm, sind ein weites Feld. BSW-Wählende in Thüringen und Sachsen gaben nach den dortigen Landtagswahlen an, sie wünschten sich mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Einsatz für ostdeutsche Interessen und sichere Arbeitsplätze, eine andere Politik gegenüber Russland und ein Lieferstopp von Waffen an die Ukraine sowie eine strengere Flüchtlings- und Asylpolitik [tagesschau.de].

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Wagenknecht kommt in ihrer gut 30-minütigen Rede auf all das zu sprechen. Ein Skript braucht sie dabei nicht. Mit breiten Pinselstrichen malt sie dabei ein Bild vom Zustand Deutschlands im Jahr 2024. Um spezifische Brandenburg-Themen geht es dabei kaum. Um Kleinteiliges gar nicht.

Nichtsdestotrotz, in Brandenburg an der Havel trifft sie wieder diesen einen Nerv, der viele zu schmerzen scheint: das Gefühl, überfordert zu sein. Von der schieren Zahl drängender Probleme in einer Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint. Klimawandel, Arbeit im KI-Zeitalter, Automatisierung, Inflation, Überalterung, verdummende Schulkinder, ungewisse Renten, erodierendes Gesundheitswesen, Migrationsströme. Und der Krieg.

Putin nur im Zusammenhang mit Sanktionen

"Ich halte jeden Krieg für ein Verbrechen und ich halte Politiker, die Kriege beginnen für Verbrecher." Aber es herrsche eine Doppelmoral, sagt sie. Dieser Maßstab dürfe nicht nur beim Krieg in der Ukraine angelegt werden. "Natürlich war es auch ein Verbrechen, in Jugoslawien, im Irak, in Lybien und in Afghanistan Krieg zu führen."

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Den Namen Wladimir Putin spricht Wagenknecht in diesem Zusammenhang nicht aus. Dass er den Überfall auf die Ukraine befohlen hat, umschifft sie auch. Den russischen Präsidenten nennt sie nur einmal direkt, als sie Gaslieferungen aus Katar kritisiert. "Wenn sie uns dann erzählen, wir machen das ja, um den Putin unter Druck zu setzen."

Dass die USA in Deutschland Hyperschallraketen stationieren wollen, sei eine Provokation. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beteilige sich daran, so Wagenknecht. Diese Raketen könnten ohne Vorwarnzeit und ohne Vorbereitung eingesetzt werden. Das mache sie gefährlich. In dem Augenblick, wo Russland auch nur vermute, dass Hyperschallraketen gegen das Land eingesetzt werden könnten, "da ist der Punkt, wo sie selber auf den Knopf drücken würden".

Was Sahra Wagenknecht nicht sagt...

Hyperschallraketen fliegen mit einer Geschwindigkeit von Mach 5 oder mehr. Also im unteren Bereich mindestens 6.000 Kilometer pro Stunde. Innerhalb von Minuten können sie ganze Kontinente überfliegen. Die Wucht, mit der sie einschlagen, ist allein wegen der enormen Geschwindigkeit zerstörerischer als bei herkömmlichen Raketen. Zudem können sie mit Sprengkörpern versehen werden, die theoretisch ganze Straßenzüge in Trümmer legen können. Auch eine nukleare Bestückung ist möglich.

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Was Sahra Wagenknecht in Brandenburg an der Havel nicht sagt, ist, dass Hyperschallraketen aktuell bereits eingesetzt werden. Sie sagt auch nicht, wo das geschieht. Im März 2022 schlugen Raketen vom Typ Ch-47M2 Kinschal auf Militärstützpunkten bei Odessa ein. Das russische Militär hatte den Einsatz anschließend bestätigt. Mehrfach wurden seitdem Kinschal-Raketen von Russland auf Ziele in der Ukraine geschossen. Zuletzt schlug im Juni eine russische Hyperschallrakete in der Region Chmelnyzky ein, also im Westteil des Landes.

Erst danach sprachen US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Scholz über neue US-Raketen in Deutschland [zdf.de].

Berliner "Kriegspolitik"

Was genau Scholz und Biden verabredet haben, ist unklar. Das BSW möchte deshalb über eine kleine Anfrage im Bundestag mehr Details zu der Vereinbarung herausfinden [bundestag.de]. Das Kalkül von Olaf Scholz ist, Putin damit abzuschrecken. Für die BSW-Gründerin ist das "Kriegspolitik". Muss sich Deutschland vor Hyperschallraketen sorgen, da Putin sie bereits einsetzt? Diesen Teil der Diskussion spart Wagenknecht aus.

Bei vielen Themen läuft es ähnlich. Wagenknecht benennt Probleme, wer darunter wie leidet und was die Bundesregierung gerade falsch macht. Lösungen beschreibt sie jedoch kaum. Konkrete Aussagen umfährt sie wie beim Slalom. Dadurch entsteht ein Panorama, auf das sich sehr viele Ansichten, Wünsche und Sorgen projizieren lassen. Drückende Nöte, berechtigte Ängste und Unzufriedenheiten, aber auch Verqueres. Die Details können die Zuhörerinnen und Zuhörer selbst einfügen.

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In Wagenknechts Bild ist deshalb nicht nur Platz für eine friedliche Welt ohne Kriege. Sondern auch für Ansichten, die das Existenzrecht der Ukraine infrage stellen. Wer Putin für einen starken Mann hält, der historisches Unrecht beseitigen will, wird von Wagenknecht nichts Gegenteiliges hören. Sie sagt dazu schlicht nichts.

Schweigen zum russischen Polizeistaat, zur Unterdrückung und Verfolgung von Presse und Oppositionellen, zu den vielen Jugendlichen und jungen Männern, die gegen das Nachbarland kämpfen sollen; oder den Migranten und Gastarbeitern, die von Menschenfängern ausgetrickst werden und sich plötzlich an der Front wiederfinden [tagesschau.de]. Was Russland heute für ein Land ist, bleibt offen.

Feudalistische Verhältnisse

Der Bundesregierung wirft sie am Ende vor, feudalistische Verhältnisse geschaffen zu haben. Zu Putins autoritärem Regierungsstil kein Wort. Dass er und seine Helfer wie Zaren in palastgleichen Villen leben und woher das Geld dafür genommen wird: Fehlanzeige. An Erinnerungen an eine vermeintlich gute, alte Zeit, als im Sozialismus nicht alles schlecht war, rüttelt Sahra Wagenknecht nicht.

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Nach einer guten halben Stunde endet die Rede. Der Moderator bedankt sich bei Wagenknecht vor einem begeisterten Publikum. Dann verschwindet sie schnell hinter der Bühne, die Veranstaltung wird umgehend beendet. Etwa die Hälfte des Publikums macht sich direkt auf den Heimweg. Viele finden sich aber in Grüppchen zusammen und tauschen sich angeregt aus.

"Ich hätte mir gewünscht, sie hätte auch etwas zu Gaza gesagt", sagt ein freundlicher Herr Mitte 60 am Ende. Er sei überzeugt von Wagenknecht und werde für das BSW stimmen. Doch allein wegen der Verbindungen, die früher zwischen der DDR-Regierung und den palästinensischen Gebieten bestanden, habe er gehofft, dass auch die israelische Regierung angesprochen werde. Zu diesem Krieg oder einem anderen Konflikt äußert sich Wagenknecht nicht.

Beitrag von Oliver Noffke

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