Kommunalwahlen 2024
Abgeschnitten auf dem Dorf, angebunden im Berliner Speckgürtel: In Märkisch-Oderland muss die Politik auf sehr verschiedene Realitäten reagieren. Vor den Kommunalwahlen macht ein Dorf auf seine schlechte Anbindung aufmerksam. Von Philipp Gerstner
Bei den Kommunalwahlen in Brandenburg werden Tausende zum größten Teil ehrenamtliche politische Posten verteilt. Doch wie funktioniert Kommunalpolitik überhaupt, was wird hier entschieden und welche Probleme gibt es? rbb|24 schaut sich in den Landkreisen und kreisfreien Städten um, welche Themen dort relevant sind.
Für viele Brandenburger spielt bei den kommenden Kommunalwahlen das Thema öffentlicher Nahverkehr eine große Rolle. Denn viele wollen oder müssen ohne Auto von einem Ort zum anderen kommen. Im Landkreis Märkisch-Oderland ist die Politik vor allem durch die unterschiedlichen Bedingungen schwer gefordert: Während im stadtnahen Raum sehr viele Pendler befördert werden müssen, kämpfen die Anwohner im ländlichen Raum darum, überhaupt eine günstige Zuganbindung zu bekommen.
Einer von diesen schlecht angebundenen Orten ist Dolgelin, keine 20 Kilometer von der deutsch-polnischen Grenze entfernt. Einmal pro Stunde fährt ein Regionalzug der Bahnlinie RB60 (Frankfurt (Oder) – Eberswalde) durch das 450-Seelen-Dorf. Doch einsteigen dürfen die Dolgeliner nicht. Der Zug hält seit Anfang der 1990er Jahre dort nicht an.
An einem Frühlingstag steht mehr als ein Dutzend der Dolgeliner am verwaisten Bahnsteig und protestiert für eine bessere Anbindung. "Wir sind Rentner und wenn wir nicht mehr Auto fahren können, zu Ärzten oder zum Einkaufen, müssen wir immer irgendjemandem aus dem Dorf fragen, ob sie uns mitnehmen", erzählt Birgit Gattner. Die Dolgelinerin hat keinen Führerschein, wie sie sagt. "Für mich ist es ein großes Problem."
Wer von dem Dorf ins fünf Kilometer entfernte Seelow oder nach Frankfurt (Oder) möchte, kann theoretisch auch den Bus nehmen. Er hält im Ortskern - allerdings nur sehr unregelmäßig und am Wochenende nur vier Mal am Tag. Für viele Anwohner ist das keine Option: "Der fährt über x Orte und ist ewig lang unterwegs", beschwert sich Joachim Pagel, "man kann das Oderbruch und alles kennenlernen, aber man ist nicht schnell da."
Der Kreistag von Märkisch-Oderland hat erst im April einen neuen Nahverkehrsplan beschlossen, um die Buslinien an die Bedürfnisse der Fahrgäste anzupassen. Ab 2027 möchte der Landkreis in vier Regionen Rufbusse einsetzen, die bei Bedarf 90 Minuten vor der Fahrt bestellt werden können. So solle die Mobilität im ländlichen Raum zumindest etwas verbessert werden, heißt es aus der Kreisverwaltung.
Über den Nahverkehr entscheidet der Wirtschaftsausschuss des Kreistages mit. Sein Leiter, Mario Eska (Linke), zeigt sich mit der aktuellen Situation unzufrieden. Es habe zwar eine große Beteiligung von "wirklich qualifizierten" Mitbürgern bei den Ausschusssitzungen gegeben, so Eska. "Letztendlich konnten wir kaum zur Zufriedenheit des öffentlichen Nahverkehrs beitragen, weil es eindeutig eine Finanzierungssache ist." Bund und Land müssten den Kommunen mehr Geld geben, damit die sich den Nahverkehr leisten können.
Frank Schütz (CDU) sitzt ebenfalls im Wirtschaftsausschuss und sagt, der Nahverkehr "ist besser als sein Ruf". Künftig werde die Fahrleistung - also die Kilometer, die Busse und Züge insgesamt fahren - um etwa acht Prozent steigen, so Schütz. Beispielsweise werde die Ostbahn ab dem Fahrplanwechsel im Dezember von Berlin bis Müncheberg im Halbstundentakt fahren. Der CDU-Politiker fordert zudem den zweigleisigen Ausbau und die Elektrifizierung der Strecke. Der Anstieg des Angebots im Nahverkehr werde sich im Haushalt bemerkbar machen. So benötige der Kreis in diesem Jahr 6,25 Millionen Euro mehr für diesen Posten als noch vor fünf Jahren.
Auch die SPD setzt in ihrem Wahlprogramm auf den Ausbau der Ostbahn und auf eine Taktverdichtung der S-Bahn-Linie 5, die bis nach Strausberg-Nord fährt. Außerdem möchten die Sozialdemokraten Carsharing-Angebote im S5-Bereich schaffen und nennt sie die "dritte Säule" des ÖPNV. Die FDP macht sich in ihrem Wahlprogramm vor allem für den Schülerverkehr stark und fordert eine Taktverdichtung in den Morgen- und Nachmittagsstunden.
Die Grünen fordern in ihrem Programm den Ausbau des Schienennetzes und Buslinien, die auch Orte außerhalb des Landkreises anschließen. Außerdem fehle es an Angeboten an Bahnhöfen und Busstationen, um die "letzte Meile" zu überbrücken, zum Beispiel mit Hilfe von Leihfahrrädern oder Carsharing-Angeboten. Die AfD will die Taktung der Bahnlinie RB26 (Berlin-Ostkreuz – Kostrzyn) verbessern und fordert personelle Konsequenzen beim Verkehrsministerium und beim Betreiber, der Niederbarnimer Eisenbahn (NEB), wegen der Pannen der vergangenen Monate. Die Partei setzt sich auch für Rufbusse ein. BVB/Freie Wähler fordern grundsätzlich, dass Busse und Bahnen täglich von vier Uhr früh bis Mitternacht im sogenannten Taktverkehr verkehren.
Deutlich besser als in Dolgelin ist die Lage derweil im Berliner Umland. Dort kämpft der Landkreis mit anderen Herausforderungen. So kommt alle zehn Minuten in Hoppegarten eine S-Bahn aus Berlin an und von dort aus müssen die vielen Pendler in die umliegenden Orte gebracht werden.
Die Verbindungen scheinen aktuell gut zu funktionieren, wie Anwohner berichten. "Es hat sich vor ein paar Jahren verbessert, dass viel mehr Züge eine Busanbindung haben", sagt Jürgen Hahn aus Neuenhagen. Das spreche sich langsam herum, die Busse würden immer voller, so Hahn. "Ich bin gar nicht so unzufrieden."
Auch in Dolgelin wünschen sich die Anwohner eine schnelle Lösung für ihr Mobilitätsproblem und fordern einen Bedarfshalt für ihr Dorf. Bereits vor zweieinhalb Jahren gab es eine Potenzialanalyse der Landesregierung für 34 stillgelegte Zughalte. Reaktiviert wurden aber nur einige Halte im Speckgürtel, wo eben viele Menschen leben und pendeln.
In Dolgelin werden die Züge in den kommenden Jahren wohl weiter nur durchfahren.
Sendung: Antenne Brandenburg, 15.05.2024, 15:40 Uhr
Beitrag von Philipp Gerstner
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