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Quelle: rbb/Haase-Wendt

Kommunalwahlen 2024

Zwischen Energiewende und Sorge um den Erhalt der Landschaft

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien treibt die Prignitzer um. Immer neue Solarparks und Windkraftanlagen bringen Geld in die oft klammen Gemeinde-Kassen. Anwohner befürchten aber den Verlust der Kulturlandschaft. Das treibt sie in die Kommunalpolitik. Von Björn Haase-Wendt

Bei den Kommunalwahlen in Brandenburg werden Tausende zum größten Teil ehrenamtliche politische Posten verteilt. Doch wie funktioniert Kommunalpolitik überhaupt, was wird hier entschieden und welche Probleme gibt es? rbb|24 schaut sich in den Landkreisen und kreisfreien Städten um, welche Themen dort relevant sind.

Wer in der Prignitz unterwegs ist, entdeckt sie unweigerlich: die vielen Windräder und Photovoltaikanlagen in der weiten Landschaft. Seit Jahren boomt im Landkreis ganz im Nordwesten Brandenburgs der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Besonders im Fokus liegt die Gemeinde Gumtow.

Kreise, Städte, Gemeinden

Kommunalwahlen 2024 in Brandenburg

Die landesweiten Kommunalwahlen finden in Brandenburg alle fünf Jahre statt. Gewählt werden die 14 Kreistage, Stadtverordnetenversammlungen, Gemeindevertretungen, Bürgermeister und Ortvorsteher sowie Ortsbeiräte. Der nächste Wahltermin ist am 09. Juni 2024.

Erst im letzten Jahr wurde nahe des Ortsteils Döllen ein 125 Hektar großer Freiflächen-Solarpark in Betrieb genommen. Und ein Ende des Ausbaus ist nicht in Sicht - weder bei den Photovoltaikflächen noch bei der Windkraft. Dabei stehen laut aktuellen Daten des Marktstammdaten-Registers der Bundesnetzagentur in der Gemeinde schon heute über 100 Windräder mit einer Nettoleistung von 215.550 Kilowatt - das ist so viel wie kaum anderswo in Brandenburg.

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Bürgermeister erklärt Ausbau Erneuerbarer in seiner Gemeinde

"In vielen anderen Gebieten ist aufgrund von naturschutzrechtlichen Gründen und der Siedlungsdichte eine Ausweisung von Windnutzungsgebieten nicht möglich. Hier haben wir andere Bedingungen, so dass wir mehr Gebiete haben", erklärt Gumtows Bürgermeister Stefan Freimark (SPD).

Außerdem werde in der Gemeinde der Ausbaue der Photovoltaik-Flächen vorangetrieben, da es immer wieder Anfragen von örtlichen Landwirten gebe. "Die Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft haben sich in den letzten Jahrendoch sehr negativ gestaltet, das muss man sagen", sagt Bürgermeister Freimark. "Deshalb suchen viele Firmen nach entsprechenden Alternativen, um den Betrieb ausbessern zu können." Die Gemeinde habe nach intensiven Diskussionen Kriterien festgelegt, wann landwirtschaftliche Flächenfür Solarkraft genutzt werden können - "unter anderem dass wirklich nur Landwirtschaftsflächen mit einem sehr geringen Bodenwert verwendet werden, auf denen nur wenig Erträge möglich sind."

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Sorge um Gesundheit

Immer wieder führt der Ausbau der Erneuerbaren Energien in der Prignitz zu Protest. Denn schon heute wird in der Region ein Vielfaches mehr an Strom erzeugt, als dort verbraucht und teils auch abgeleitet werden kann. Wer in der Region unterwegs ist, stellt das immer wieder fest. Bei Wind stehen die Windräder oftmals still, weil der viele Strom nicht eingespeist werden kann. Das kritisiert etwa Stefanie Mikoleit aus Schmolde im Amt Meyenburg. Auch ihr Dorf ist umstellt von Windrädern: "Wir und die Anwohner haben langsam genug", sagt sie. Die Dorfbewohner seien belastet durch den Infraschall, den Schattenschlag der Rotorblätter und den entstehenden Betriebslärm der Windkraftanlagen. Hinzu kämen Auswirkungen auf die Tierwelt.

Dass Infraschall, also ein durch Windräder erzeugter nicht hörbarer Ton, die Gesundheit gefährde und etwa zu Kopfschmerzen, Übelkeit oder Schlafstörungen führe, bringen Windkraftgegner immer wieder an. Untersuchungen konnten aber bisher keinen Zusammenhang belegen.

"Im Umfeld von Wald- und Wohngebieten ist der Schaden also größer als der Nutzen", kritisiert die Anwohnerin aus Schmolde, die sich in einer Bürgerinitiative im Amt engagiert. Von den künftigen Gemeindevertretern wünscht sie sich die Einsicht, dass die Region derzeit genug getan habe für die Erzeugung von erneuerbarem Strom. "Wir müssen unsere Natur für die kommenden Generationen schützen, wir sind am Limit", sagt sie.

Vom Protest zum politischen Amt?

Ähnlich sieht das Birgit Tümmers aus dem Gumtower Dörfchen Breitenfeld. Die 62-Jährige engagiert sich ebenfalls in einer Bürgerinitiative für den Erhalt der Kulturlandschaft in der Prignitz, doch das reicht ihr nicht mehr. Bei der Kommunalwahl tritt sie erstmals als Kandidatin für die Gumtower Gemeindevertretung an. "Ich habe einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und ich finde es ungerecht, was passiert", sagt die Breitenfelderin.

Sie habe den Eindruck, dass die ursprünglichen Prignitzer die Entwicklung teilweise einfach so hinnehmen würden. "Weil sie vielleicht nicht so wirklich schätzen zu wissen, wie schön es hier ist. Vielleicht braucht es einen fremden Blick von jemandem, der sich die Landschaft ausgeguckt hat, weil nicht alles bebaut ist, diese schönen Alleen, die hügelige Landschaft", sagt Tümmers.

Sie hat sich der Wählergruppe "Starke Dörfer" angeschlossen und vor allem ein Ziel: mehr Transparenz und Aufklärung für die Einwohner, wenn es um den Ausbau der Erneuerbaren geht. "Ich selbst möchte aber auch mehr verstehen, das ist für mich auch ein Motor. Ich will den anderen hier im Dorf erklären können, warum welche Entscheidungen getroffen werden. Da muss ich mich engagieren", so Tümmers.

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien treibt Birgit Tümmers in die Kommunalpolitik | Quelle: rbb/Haase-Wendt

Finanzspritze für klamme Kassen

Dass es dabei auch um Kompromisse geht, ist Birgit Tümmers schon jetzt klar. Denn gerade für die kleineren Gemeinden sind die Windräder und Solarparks eine Möglichkeit, die oftmals klammen Kassen aufzubessern.

So geht es auch Gumtow, rechnet der scheidende Bürgermeister Stefan Freimark (SPD) vor: "Für Solaranlagen wird ab dem kommenden Jahr eine Abgabepflicht von 2.000 Euro pro Megawatt und Jahr eingeführt. Das ist für uns eine erhebliche finanzielle Verbesserung. Da kommen bei größeren Parks schon sechsstellige Beträge zusammen."

Geld, das in Kitas, Schulen und Straßen investiert werden kann. Für Birgit Tümmers ist das aber ein Argument, das nicht über allem stehen darf. Es brauche in der Diskussion eine Verhältnismäßigkeit, fordert sie: "Was nützt uns eine neue schicke Kita, wenn keine Kinder mehr da sind, weil die Familien aufgrund der Belastungen weggezogen sind."

Beitrag von Björn Haase-Wendt

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