Kommunalwahlen 2024
In der Schenkendöberner Gemeindevertretung sitzen Abgeordnete vieler unterschiedlicher Wählergruppen - dafür kaum Politiker aus etablierten Parteien. Wie funktioniert das im politischen Tagesgeschäft? Von Aspasia Opitz
Bei den Kommunalwahlen in Brandenburg werden Tausende zum größten Teil ehrenamtliche politische Posten verteilt. Doch wie funktioniert Kommunalpolitik überhaupt, was wird hier entschieden und welche Probleme gibt es. rbb|24 schaut sich in den Landkreisen und kreisfreien Städten um, welche Themen dort relevant sind.
Zu den Landstrichen, wo sich sprichwörtlich Fuchs und Hase "Gute Nacht" sagen, könnte man auch die 3.500-Seelen-Gemeinde Schenkendöbern im Landkreis Spree-Neiße zählen. In direkter Nachbarschaft liegen Guben und die polnische Grenze. Sonst gibt es hier viel Wald, Feld und darauf jede Menge Landwirtschaft. Bis man die nächste Großstadt erahnen kann, muss man schon eine ganze Weile mit dem Auto über Landstraßen fahren.
Fernab der großen Städte funktioniert demokratische Teilhabe hier anders. Parteien spielen hier eine untergeordnete Rolle, dafür gibt es für nahezu jedes Problem Interessengemeinschaften, die sich zusammenfinden, um für ihre Ziele einzutreten. Dabei müssen sie sich zusammenraufen – in der Praxis heißt das: Kompromissbereitschaft üben.
Mit Aktentasche unterm Arm und in elegantem Kostüm geht Hanni Dillan, Vorsitzende der Schenkendöberner Gemeindevertretung, zielsicher in den Sitzungsaal. Zuallererst werden die Fenster geöffnet. Frische Luft ist wichtig, sagt sie, es denkt sich sonst nicht gut.
Ihren Platz am Kopfende des langen Tisches hat sie seit fünf Jahren inne. Sie steht einer bunt zusammengewürfelten Truppe von 14 Mitgliedern aus acht Wählergruppen und drei Parteien vor. In ihren Augen klappt das ganz gut, auch wenn oft diplomatisches Geschick nötig sei, sagt sie. Man müsse eben auf alle Befindlichkeiten eingehen.
Nach und nach treffen die Abgeordneten ein. Hanni Dillan begrüßt jeden persönlich. Der direkte Austausch mit den einzelnen Vertretern ist der Vorsitzenden wichtig, erklärt sie im Gespräch. So erfährt man recht schnell, wie die Stimmung ist. Jeder findet seinen Platz am langen Tisch im Sitzungssaal: Die Abgeordneten der Wählergruppe der Feuerwehr neben der Vertreterin der Wählergruppe der Senioren und dem Abgeordneten der Wählergruppe des Bärenklauer Sportvereins, der CDU-Politiker neben dem der Wählerguppe "Heimat und Zukunft".
An der Spitze sitzt Hanni Dillan und eröffnet die Versammlung. Dass sich die Abgeordneten auf den Rückhalt einer Partei verlassen können, das scheint für die Menschen der ländlich geprägten Gemeinde auch nicht ausschlaggebend zu sein. Im Ort kommt es auf Sacharbeit an – nicht auf Politik in großem Stil. Hier geht es vielmehr um Alltagssorgen: Wo muss ein Bürgersteig ausgebessert werden, warum kommt der Bus zu spät und wer kümmert sich um den maroden Zaun am Friedhof?
Wer sich um solche Fragen kümmern soll? Am ehesten die Menschen, die sie sowieso täglich wahrnehmen. Also die, die eh schon ehrenamtlich aktiv sind, weil sie sich für die Gemeinde einbringen. Eine der größten Wählergruppen ist die der Feuerwehr.
Die Mitglieder seien in ihrem Wirken anerkannt und leisteten sichtbar etwas für die Gemeinde, erklärt Bürgermeister Ralph Homeister, der selbst Mitglied der Wählergruppe ist.
Der Wirkungsradius ende an der Gemeindegrenze – aber dafür sei die Gemeindevertretung ja auch da, so der Bürgermeister. Einen direkten Draht zur Landespolitik mit einer Partei im Rücken brauche es da nicht unbedingt.
Vor Ort sein und zuhören, wenn die Menschen Probleme haben – Lösungen finden, ganz pragmatisch, das ist ebenso Hanni Dillans Devise, die bei der letzten Wahl über die Wählergruppe Bürger für Bürger in die Gemeindevertretung eingezogen ist. Routiniert arbeitet sie die Tagesordnung ab.
Es sei nicht immer leicht, alle auf einen Nenner zu bringen, sagt sie. Jeder hier verfolgt eigene Interessen, aber um möglichst lösungsorientierte Politik für die ganze Gemeinde zu machen, schließen sich auch hier die einzelnen Abgeordneten zu Fraktionen zusammen.
Als Vorsitzende der Versammlung ist Dillan froh, dass die meisten Beschlüsse schon in Fraktionen vorbereitet und besprochen werden. Bei 14 Einzelmeinungen würde man sonst tagelang sitzen und debattieren, sagt sie. Letzten Endes gehe es ja nicht um Partei- oder Wählergruppenzugehörigkeit, sondern darum, Schnittmengen zu finden. Dillan erzählt, sie habe noch nie erlebt, dass ein Einzelner seine Vorstellungen auf Gedeih und Verderb durchbringen wollte.
Im Ort selbst herrscht am frühen Nachmittag entlang der Dorfstraße, die hier "Gemeindeallee" heißt, eher geschlossene Gesellschaft. Der einzige Kiosk ist zu. Kein Berufsverkehr weit und breit. Die Anwohner im Dorf mähen den Rasen hinter verschlossenen Gartenzäunen. Klingelt man am Tor, grüßt zuerst der Hofhund und dann der skeptische Blick des Hausherren. Ob man mit der Politik der Wählergruppen in der Gemeindevertreterversammlung zufrieden sei? Nicht immer, kommt prompt als Antwort. Ob die einen immer so richtig vertreten, sei die Frage. Danach macht er sich wieder an die Gartenarbeit.
Auf der anderen Straßenseite schiebt ein Nachbar sein Fahrrad aufs Grundstück. Er finde es gut, dass man die Menschen kenne, die in der Gemeindevertreterversammlung sitzen, sagt der Rentner. Aus der Feuerwehr seien ihm einige bekannt. Da höre man eben auch besser, wie es den Leuten so geht, ist seine Meinung. Von den etablierten Parteien halte er nicht viel, die seien zu sehr mit sich selbst beschäftigt, zu weit weg, um die Probleme der Menschen hier zu verstehen. Und ja, damit meine er auch die Kommunalpolitiker vor Ort. Manch einer würde sich auf der Parteimitgliedschaft ausruhen, erzählt der Mann und winkt ab.
Direkt neben dem Gemeindehaus kommt gerade jemand von der Arbeit. Schuhe und Tasche noch nicht ganz abgestellt, antwortet er auf die Frage, ob er sich gut vertreten fühlt, dass es ein Vorteil sei, dass Leute aus Wählergruppen einen anderen Blickwinkel auf Themen haben als etablierte Parteien. Hier im Ort schätzt man die Gemeindevertreter eher als Nachbarn und Vereinsmitglieder - nicht in erster Linie als Politiker.
Das Interesse an den politischen Entscheidungen ist während der Gemeindevertretersitzung dafür groß. Jeder Platz im Zuschauerbereich ist belegt. Es müssen sogar noch weitere Stühle herbeigeschafft werden. Unter anderem geht es um den Bau neuer Wind- und Solarparks: Ein Windrad oder eine Photovoltaikanlage wollen die wenigsten Einwohner direkt vor der Haustür haben. Es wird hitzig diskutiert zwischen Bürgern und Gemeindeverwaltung.
Das Thema Erneuerbare Energien wird auch kommende Gemeindevertreter weiter beschäftigen - und auch dann wieder bunt zusammengesetzt. Auf den Wahllisten in Schenkendöbern stehen neben Politiker:innen von CDU, SPD und der Linken auch wieder fünf Wählergruppen und drei Einzelbewerber.
Sendung: Antenne Brandenburg, 12.05.2024, 14:40 Uhr
Beitrag von Aspasia Opitz
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