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Video: rbb24 Spezial | 10.06.2024 | Thomas Bittner | Quelle: dpa

Kommentar | Wahlen in Brandenburg

Verzweifelt gesucht: Konzepte gegen Rechtsaußen

Die AfD hat in Brandenburg die Europawahl und die Kommunalwahlen gewonnen. Von Denkzettel-Wahl könne dabei keine Rede sein. Wer Rechtsaußen verhindern will, muss ein besseres Angebot machen, kommentiert Thomas Bittner.

Die Brandenburgerinnen und Brandenburger sind politisiert wie selten. Noch nie war die Wahlbeteiligung bei einer Europa- oder Kommunalwahl höher. Nur einmal, als am gleichen Tag 1998 die Bundestagswahl stattfand, gingen mehr Menschen an die Wahlurnen, um Gemeindevertreter, Stadtverordnete oder Kreistagsmitglieder zu wählen.

Dabei war noch vor Wochen vielen gar nicht bewusst, wofür all die frischen Wahlplakate an den Laternenpfählen hingen. Die Politisierung fand erst über den Wahlkampf statt. Ganz bewusst nahmen die Bürgerinnen und Bürger die Gelegenheit wahr, ein Zeichen zu setzen. Aber anders als von vielen erwartet.

Das Lager derjenigen, die die etablierte Politik und ihre eingeübten Rituale ablehnen, hat in Brandenburg die Oberhand gewonnen. Rechnet man bei der Europawahl die Wahlergebnisse von AfD, BSW und all den unabhängigen Kräften, die mit klassischen Parteien nichts am Hut haben, zusammen, kommt man auf eine Mehrheit. Selbst eine Allianz aus CDU, SPD, Grünen, Linken und FDP – so unwahrscheinlich sie auch ist - hätte unter solchen Umständen in Brandenburg keine Chance. Klassische Koalitionen, Kompromissfindungen und Konfliktlösungen sind weniger gefragt denn je.

Kommunalwahlen in Brandenburg

AfD gewinnt in 16 der 18 Landkreise und kreisfreien Städte

Seit dem frühen Montagmorgen sind auch die letzten Stimmen in den Brandenburger Wahlkreisen ausgezählt. Die AfD geht als stärkste Partei aus den Kommunalwahlen 2024 hervor, die Regierungspartei SPD kann nur Potsdam für sich behaupten.

AfD etabliert sich

Von Denkzettel-Wahl kann keine Rede sein. Es geht um die Substanz. Die Wählenden haben ganz bewusst den Regierenden in Potsdam, aber mehr noch in Berlin, die rote Karte gezeigt. Grüne und SPD - die Kanzler, Ministerpräsident und Minister stellen - gehen mit starken Verlusten aus diesem Wahlsonntag.

Die Brandenburger CDU kann aus ihrem Oppositionsstatus im Bund etwas Kapital schlagen und gewinnt ein wenig dazu. Das mag für manche das einzige Trostpflaster dieses Urnengangs sein. Wer hätte früher gedacht, dass die märkische CDU eines Tages für Stabilität in Brandenburg steht?

Die AfD etabliert sich im Land. Auch bei den Kommunalwahlen ist sie vorn. Das war vor fünf Jahren noch anders. Und die Hoffnung, dass sich das Blatt bis zur Landtagswahl im September wendet, schwindet. Die Fundamentalopposition der AfD gegen die Migrationspolitik von EU, Bund und Ländern, gegen die Ukraine-Strategie Deutschlands, gegen die Corona-Maßnahmen der Vergangenheit und gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wiegt als Argument für mehr als ein Viertel der Brandenburger Wählerinnen und Wähler heute schwerer als öffentlich bekannt gewordene Verfehlungen und extremistische Abschweifungen der Rechtsalternativen.

Das Bündnis von Sahra Wagenknecht, das die Skepsis in Sachen Migration, Ukraine und Corona teilt, erweitert das Spektrum. Wer glaubte, dass die Wagenknecht-Partei der AfD etwas vom Potenzial nimmt, der sieht sich getäuscht. Mit ihr haben eher ehemalige Linken- und SPD-Wähler ein neues Auffangbecken für ihre Enttäuschung gefunden. Mit AfD und BSW scheint es jetzt auch zwei neue Regionalparteien zu geben, die auf der politischen Landkarte der Bundesrepublik den Osten anders einfärben als den Westen.

Europäisches Parlament

Europawahl 2024 in Berlin und Brandenburg

Die nächste Wahl zum Europäischen Parlament findet in Deutschland am 9. Juni 2024 statt. In Berlin und Brandenburg dürfen Menschen ab 16 Jahre an der Europawahl teilnehmen, wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen oder Bürgerinnen und Bürger aus Ländern der Europäischen Union sind.

Regierungsparteien unter Druck

Die AfD hat die beiden Wahlen in Brandenburg nicht wegen der besseren Konzepte gewonnen, sondern weil die Konzepte der Verantwortlichen und sich verantwortlich Fühlenden für eine große Gruppe von Menschen nicht funktionieren. Wer dem Aufstieg der Rechtsaußen-Logik von Abschottung, weniger Minderheitenschutz und mehr Sicherheitsapparatur, von Appeasement gegenüber Moskau und Peking, etwas entgegensetzen will, muss dieser Gruppe ein besseres Angebot machen. Muss den Beweis erbringen, dass eine offene Gesellschaft die Gemeinschaft stärkt, statt spaltet. Muss dafür auch akzeptierte Regeln finden und diese konsequent einhalten.

Nur noch gut drei Monate bis zur Landtagswahl. Die AfD geht mit Selbstbewusstsein in den heißen Wahlkampfsommer. Die Potsdamer Regierungsparteien stehen unter massivem Druck. Und von Brandenburgs Opposition, die jetzt mit demokratischen Alternativen aufwarten müsste, ist nicht viel zu erwarten. Die Linke steht vor den Trümmern ihrer Existenz, die FDP muss erst einmal in die Nähe der 5-Prozent-Hürde kommen. BVB/Freie Wähler hat noch nicht bewiesen, dass sie mehr kann als nur die Bündelung vieler Einzelinteressen ins Parlament zu tragen.

Die Politiker haben viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Denn eines scheint sicher: Die Brandenburger werden auch im September so politisiert wie selten wählen gehen.

 

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell 10.06.2024, 19:40 Uhr

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Beitrag von Thomas Bittner

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