Diskussion über Volksentscheid
Ein Volksbegehren in Berlin möchte die Bestände große Wohnungsunternehmen vergesellschaften. Soll der Staat das Recht dazu haben? Ein Pro und Contra von Sebastian Schöbel und Iris Sayram
Pro: Ware Wohnraum - Ein Volksbegehren als Grundsatzfrage
Von Sebastian Schöbel
Menschenwürde, Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit: Diese und viele weitere Grundrechte sind für uns alle (hoffentlich) so selbstverständlich, dass wir sie nicht nur fehlerfrei aufsagen, sondern auch einfordern können. Denn sie betreffen zunächst einmal jeden und jede von uns persönlich, als Individuum.
Es gibt aber auch Rechte, die der Staat vom Grundgesetz erhält. Das Recht auf Enteignung zum Beispiel. Und dass der Staat dieses Recht ebenfalls relativ schnell einfordern kann, weiß jeder, dessen Besitz mal einer geplanten Bundesautobahn im Weg stand. Denn laut Grundgesetz darf der Staat nach Artikel 15 privates Eigentum vergesellschaften – wenn es, wie in Artikel 14 festgelegt, dem Wohle der Allgemeinheit dient und eine Entschädigung gezahlt wird.
Ist eine ausreichende Versorgung mit bezahlbaren Wohnungen ähnlich wichtig für die Allgemeinheit wie der Bau von Autobahnen und anderer Infrastruktur? Die Berliner Initiative zur Enteignung großer Immobilienkonzerne sagt ja und stellt diese Frage nun zur demokratischen Abstimmung durch alle Berlinerinnen und Berliner.
Das ist nicht nur legitim, sondern auch im Sinne des Grundgesetzes. Hysterisches Gerede von einer "Kriegserklärung" an die Wohnungswirtschaft oder der Einführung sozialistischer Planwirtschaft im Wohnungsbau ist daher Unsinn. Es geht einfach darum, grundsätzlich zu klären, welche Rolle die Ware Wohnraum in unserer Marktwirtschaft spielen soll.
Daran hängen dann übrigens auch gleich eine ganze Reihe weiterer, sehr grundsätzlicher Fragen, die ebenfalls beantwortet werden müssen: Wieviel Wohnraum darf privat bewirtschaftet werden? Was ist uns die Vergesellschaftung von Wohnraum überhaupt wert? Und wer baut Wohnungen, wenn es sich für die Privatwirtschaft nicht mehr lohnt?
Man sieht: Ein Staat, der zum Wohle der Allgemeinheit Wohnungen vergesellschaftet, verpflichtet sich auch, Wohnraum zu schaffen. Doch selbst, wenn die Initiative in Berlin am 26. September erfolgreich sein sollte: Am Ende entscheidet das Verfassungsgericht – so, wie es mit allen großen Fragen zur Auslegung unserer Gesetze sein soll.
Contra: Wohlfühl-Kosmetik mit null Effekt
Von Iris Sayram
Es ist wie mit meiner Anti-Falten-Creme: Ich möchte so gern glauben, dass sie hilft - aber das teure Zeug wirkt nun mal nur an der Oberfläche und läßt meine Furchen nicht über Nacht verschwinden. Die Enteignung beziehungsweise Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen hat einen ähnlichen Effekt: Es löst das Wohnungsproblem in Berlin null.
Und die Initiative argumentiert bei den Kosten nicht redlich. Es gibt in der Rechtsprechung und im Gesetz überhaupt keinen Anhalt dafür, nur einen Mini-Anteil des Verkehrswerts zahlen zu können. Im Gegenteil. Es heißt: ein angemessener Ausgleich. 30 bis 40 Milliarden Euro sind also realistischer. Nur mal zur Einordnung: Die Schulden Berlins liegen bei 60 Milliarden. Und das ist keine abstrakte Summe: das ist Ihr Geld und meins, für das keine einzige neue Wohnung entsteht.
Ein Blick auf die katastrophalen Folgen des anderen Wundermittels Mietendeckel zeigt ganz eindrücklich, wie das Wohnungsangebot um 30 Prozent eingebrochen ist. Da haben Vermieter eher an eine Eichhörnchenfamilie vermietet, als sie auf dem Wohnungsmarkt anzubieten. Eine Katastrophe für alle, die eine Wohnung suchen.
Aber auch das war so herrlich eingängig: Wir strafen jetzt die bösen, bösen Vermieter ab. Grundgesetz - pffff, welches Grundgesetz? Hauptsache, die einen gegen die anderen aufbringen. Aber warum sich auch mit anderen kreativen Lösungen auseinandersetzen? Das Bauen erleichtern oder etwa den Kauf von Immobilien auch für mittlere Einkommen ohne großes Erbe von Vati unterstützen? Nö - bringt ja nicht so viel an der Wahlurne.
Dann lieber weiter den Mietern vorgaukeln, mit solchen Radikal-Maßnahmen wäre eine Lösung in Sicht und dass man mal was probiert. Dabei, finde ich, probiert man eher mal ein neues Kochrezept - aber man macht nicht Millionen Mieter zu Versuchskaninchen.
Artikel im mobilen Angebot lesen