Herthas neuer Präsident Kay Bernstein
Kay Bernstein ist neuer Präsident von Hertha BSC. Bei der außerordentlichen Mitgliederversammlung setzte er sich gegen den CDU-Politiker Frank Steffel durch. Der ehemalige Ultra Bernstein fordert nichts Geringeres als einen Kulturwandel. Von Till Oppermann
Hertha BSC hat einen neuen Präsidenten. Und wie es sich für einen avantgardistischen Hauptstadtverein gehört, handelt es sich bei Kay Bernstein um eine besondere Wahl. Zum ersten Mal wird ein ehemaliger Vorsänger einen Bundesligaverein führen. Bernstein ist einer der Mitgründer der Hertha-Ultragruppe "Harlekins". Vor einigen Jahren hat er die Ostkurve gegen einen Platz auf der Haupttribüne eingetauscht. Nun wird er die Spiele als Vereinspräsident verfolgen.
Sein Verhältnis zum Treiben hinter dem Tor sei mittlerweile distanziert, sagte Bernstein in einem Interview während seines Wahlkampfs. Im City Cube auf dem Messegelände ist diese Distanz geschrumpft. Als Versammlungsleiter Dirk Lentfer verkündete, dass Bernstein mit 1.670 Stimmen die nötige Mehrheit habe, um Hertha-Präsident zu werden, brandete unter seinen Anhängern lauter Jubel auf. "Hertha BSC, heißt unser Verein, Hertha BSC wird es immer sein", sangen sie, als wären sie im Stadion.
Bei der Abstimmung auf der Außerordentlichen Mitgliederversammlung handelte es sich um eine Richtungswahl. Auf der einen Seite stand Bernstein, 41 Jahre alt, Unternehmer, Fan. Auf der anderen Seite stand Frank Steffel, 56 Jahre alt, ebenfalls Unternehmer, aber auch Berufspolitiker und Füchse Berlin-Präsident. Gerade diese Engagements wurden ihm von seinen Gegnern zum Vorwurf gemacht. Etwa weil Steffel vor Jahren in einer Bundestagsrede über aktive Fans herzog. Oder weil er im Vorfeld seiner Kandidatur Konkurrenten wie Ingmar Pering davon überzeugte, sich seinem Team anzuschließen.
Steffel wollte auch Bernstein zu einer Zusammenarbeit bewegen. Der lehnte ab und vertraute auf seine Verwurzelung bei Hertha. Bernsteins gut organisierte Anhänger hatten rund um den City Cube Banner aufgehängt, die sein Versprechen vom "Neustart" aufgriffen. Die Kontakte in Politik und Wirtschaft, die ihm im Vergleich zu Steffel fehlen, machte er mit dem Rückhalt in der aktiven Fanszene wett.
Während Bernstein, der in seiner Rede „ein neues Miteinander“ forderte, mit stehenden Ovationen bedacht wurde, wurden Steffels Ausführungen von Teilen der Halle mit Pfiffen quittiert. Vorher hatte er der Kritik an seinem Deal mit Pering widersprochen: "Ich habe keine Seilschaften, ich habe keine Hausmacht", rief Steffel.
Nach seiner kämpferischen Rede gab es zahlreiche Nachfragen. Knapp 20 Mitglieder traten ans Mikrofon, um Steffel Fragen zu stellen. Kritisiert wurde unter anderem sein Ton und dass er sich in der Vergangenheit nicht im Verein engagiert habe. Die Kritik wirkte gut organisiert. Insgesamt stand Steffel nun eine Dreiviertelstunde auf dem Podium. Nach dem Ende seiner Rede erklärt Dr. Lentfer die Wahl für eröffnet.
Obwohl sich Steffel durch die zahlreichen Nachfragen mit Abstand am längsten vorstellen durfte, verlor er die Abstimmung mit einem Abstand von über 400 Stimmen. Und mit ihm verlor das alte Westberliner Hertha-Establishment. Das langjährige Präsidiumsmitglied Pering zog seine Vizepräsidentschafts-Kandidatur nach Verkündigung des Wahlergebnisses zurück. Damit war klar: Bernsteins Wunschkandidat, der 39-jährige Fabian Drescher, wird das Amt des Stellvertreters übernehmen. Nun werden vergleichsweise junge Männer den Verein leiten. Die alte Garde hinterlässt ihnen eine angeschlagene Alte Dame. Bernstein formuliert es folgendermaßen: "Unsere Dame liegt auf der Intensivstation". Um sie zu heilen, möchte er verschiedene Gruppen im Verein zusammenbringen. Ein Zehn-Punkte-Plan soll schon in den ersten 100 Tagen für einen Kulturwandel sorgen. Einer der Punkte: Die Spieler sollen für die Mitarbeiter der Geschäftsstelle grillen.
Vielleicht sorgt das für mehr Identifikation bei den Angestellten. Es wäre ein erster Schritt, denn gerade diese Identifikation ist Hertha in den letzten Jahren abhandengekommen. Zwischen vereinseigener Schriftart, Transferladebalken in Social Media, Schlagzeilen des Investors Lars Windhorst und sportlichen Misserfolg entstand ein Image als Chaosverein. Mehrere Mitglieder berichteten davon, dass sich ihre Kinder mittlerweile schämen würden, ihre Hertha-Trikots in der Schule zu tragen. Bernstein könnte das ändern: "Ich kann einen, ich kann Projektmanagement, ich kann gute Leute führen und eines kann ich besonders: Hertha-Leidenschaft vorleben", versprach Bernstein am Sonntag.
Weitere Inspiration dafür lieferten auch die über 3.000 anwesenden Mitglieder. Wer Orte sucht, an denen Berlin noch wirklich Berlin ist, wurde am Sonntag im City Cube fündig. Kaum ein Redebeitrag verging, ohne dass die Redner erklärten, "waschechte, gebürtige Berliner" zu sein. Zwischenrufe im ortstypisch trockenen Humor erheiterten die Halle regelmäßig.
Etwa als Fabian Drescher über seine bisherige Zeit im Präsidium selbstkritisch sagte: "Ich habe mich bei Transfers zu sehr auf die Expertise der sportlichen Leitung verlassen", und es aus dem Publikum schallte es: "Welche Expertise?" Kay Bernstein tritt auch an, um diese Stimmung zu entschärfen: "Ich möchte den Verein von innen entgiften", sagt er.
Sendung: rbb/24 inforadio, 26.06.2022, 19:15 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
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