Volleyball-Bundesliga
Die Volleyball-Bundesliga der Männer findet in der Öffentlichkeit kaum statt. Mit einem jungen, modernen Vermarktungskonzept wird nun um eine neue Zielgruppe gekämpft. In Zentrum stehen Streaming und Social Media. Von Lynn Kraemer
Hildesheim, 11 Uhr an einem Freitag: Ein paar hundert Menschen erleben, wie die BR Volleys mit einem 8:0-Lauf den TSV Haching auseinandernehmen. Der Einzug ins Halbfinale des Bounce House Cups ist nach drei flotten Sätzen gesichert. Im Twitch-Stream schauen zur gleichen Zeit 1.350 Menschen zu. Als die Netzhoppers ein paar Stunden später Düren besiegen, sind im Stream rund 2.000 Menschen dabei. In der Halle sind zwei der Tribünen nicht mal zur Hälfte gefüllt.
Der Bounce House Cup ist ein neuer Ansatz der Deutschen Volleyball-Bundesliga der Männer (VBL), den Sport präsenter zu machen. Statt des Supercups, bei dem in den vergangenen Jahren der Pokalsieger gegen den Meister spielte, startet die Saison 2022/23 mit einem Turnier, an dem alle acht Mannschaften aus der Vorsaison teilnehmen. "Wir wollten die Möglichkeit zu nutzen, alle Teams an diesem Saisonauftakt zu involvieren", sagt Julia Retzlaff, Geschäftsführerin der VBL. Bei den Spielern kommt dieses Konzept gut an. "Es fühlt sich irgendwie so ein bisschen an wie Klassentreffen", so BR Volleys-Zuspieler Johannes Tille. Die Sportler sind alle in einem Hotel untergebracht und treffen sich schon auf dem Weg zum Frühstück.
An drei Tagen finden im Turniermodus zwölf Spiele statt. Jede Mannschaft ist pro Tag einmal zu sehen. Alle Partien werden vom Medienpartner Spontent umfangreich auf Twitch übertragen. Den Zuschauern soll vor Ort und im Netz ein Event geboten werden. Während der Hallensprecher: "Ich kann euch nicht hören!" ins Mikro brüllt, fragen die Kommentatoren im Stream: "Was sagt der Chat?" Doch wer in der Halle ist, bekommt von dem, was online passiert, kaum etwas mit. So sind die Interviews zwischen den Partien nur im Stream zu hören. "Das Ziel muss wirklich sein, dass man alles, was im Stream passiert, auch vor Ort hinkriegt", so Dirk Funk von Spontent. Für Talkrunden oder auch Minispiele sei in der Vorbereitung zu wenig Zeit gewesen.
Die Volleyball-Bundesliga der Männer hat innerhalb eines Jahres eine kleine Parallelwelt geschaffen. Neben den Fans in der Halle schaut auf Twitch eine deutlich jüngere Zielgruppe zu. "Das ist ein komplett anderes Auftreten, eine komplett andere Präsentation der Spiele", sagt VBL-Geschäftsführerin Julia Retzlaff. Der Neustart sei riskant gewesen, aber das Risko habe sich gelohnt.
Spontent unterscheidet sich deutlich von Anbietern wie Sky oder Magenta Sport. Die Spiele werden kostenlos gezeigt und Interaktion ist erwünscht. Das Team hinter den Kulissen ist jung und probiert sich gerne aus. Fester Bestandteil von Übertragungen sind Videoanrufe für Spielerinterviews und eine Memeschau. Ein Konzept, mit dem vor allem eine jüngere Zielgruppe angesprochen werden soll, das allerdings die älteren Stammfans potenziell abschrecken kann. "Das muss, glaube ich, aber auch so sein, damit der Volleyball den nächsten Schritt in die Moderne machen kann", sagt Funk. Er wolle das ältere Publikum aber nicht vor den Kopf stoßen. Trotzdem werden einige Inhalte von Spontent kontrovers diskutiert.
Denn Spontent liefert der Liga neben der klassischen Spielberichterstattung verschiedene Unterhaltungsformate. Bei "Voll im Netz" durchsuchen Funk und sein Kollege Alexander Walkenhost die Social-Media-Profile der Volleyballprofis nach alten Fotos, bewerten Datingprofile oder zeigen Instagram-Storys, die eigentlich nach 24 Stunden verschwinden. "Bei einigen frage ich vorher auch im Zweifel nach, wie eigentlich so der Beziehungsstatus ist. Sowas wollen wir da nicht aufs Spiel setzen", sagt Dirk Funk. Wer in einer Karaokebar feiert, muss davon ausgehen, dass sein Gesangstalent danach bei Spontent landet.
Eine ungewohnte Situation für die Sportler, die das in Teilen gelassen sehen. "Bisher bin ich ja noch nicht so viel 'Voll im Netz' gewesen. Drum, mich hat es noch nicht so getroffen", sagt Johannes Tille. Von ihm sei bisher nur ein "Ugly Game Face" gezeigt worden. Tille ist nur unregelmäßig auf Social Media aktiv: "Ich will einfach nicht alles posten, was ich den ganzen Tag mache." Man müsse sich vorher überlegen, was man online stelle. Das Posten der Datingprofile sehen aber einige der Spieler kritisch.
Für die Volleyball-Bundesliga ist Nahbarkeit Teil der neuen Strategie. "Wir brauchen Hintergrundstorys und wenn es selbst mal ein schlechter Facebook- oder Instagrampost ist", sagt Netzhoppers-Sportdirektor und Mannschaftskapitän Dirk Westphal: "Ich denke, da sind wir alle so selbstbewusst, dass wir auch mal über uns selber lachen können." Die Macher von Spontent wollen die Spieler mit kleinen Geschichten so greifbarer machen. "Das ist der einzige Weg, wie man wirklich da Leidenschaft in dieser Community entfachen kann", sagt Dirk Funk. Tollen Sport gebe es überall.
Ein Spieler, der häufig im Spontent-Format auftaucht, ist Erik Röhrs. "Teilweise denke ich, das sind ganz normale Sachen, die ich auf Instagram hochlade, aber die picken sich da echt viel raus. Offensichtlich muss ich irgendwie ganz lustig sein", sagt der Außenangreifer der powervolleys Düren. Er habe bisher aber noch nicht durch Sponsorenverträge oder Ähnliches davon profitiert. Für ihn sei der Umgang mit Spontent auch ein Lernprozess gewesen: "Ich habe zum Beispiel mal ein Livevideo gemacht, wo sie mitgeschnitten haben und da muss ich auch ehrlich sagen, dann bin ich halt selber Schuld."
Für eine Liga, die zwar nahbarer, aber gleichzeitig professioneller sein will, ist ein solches Format beim Medienpartner ungewöhnlich. "Im Zweifel schlagen wir vielleicht mal eher ein kleines bisschen über die Stränge, um aber insgesamt auf jeden Fall in die richtige Richtung zu gehen", so Dirk Funk. Die Liga stehe immer wieder mit Spontent im Austausch. "Ich kann total nachvollziehen, dass vielleicht erfahrene Volleyballgucker – da gehören sicherlich auch meine Eltern zu – an der ein oder anderen Stelle vielleicht so ein Störgefühl haben, aber das war miteinkalkuliert", sagt Retzlaff.
Die Vorlage, die Spontent den Vereinen mit einem Fokus auf Social Media liefert, muss von den Vereinen allerdings auch umgesetzt werden. "Irgendwann ist das auch ein bisschen aus unserer Reichweite dafür zu sorgen, dass jeder Verein geilen Social Media Content hat", so Funk. Der Vorteil der Plattformen: Mit wenigen Mitteln können schnell viele Menschen erreicht werden. Der Nachteil: Wer das Smartphone in der Hand hat, muss auch wissen, wie es eingesetzt werden muss. Ein schlecht umgesetzter TikTok-Trend wird entweder nicht beachtet oder zur Lachnummer. Während die BR Volleys ein Team für die Öffentlichkeitsarbeit haben, wird diese Aufgabe in anderen Vereinen oft von Einzelpersonen übernommen.
Zwar steigt durch die Twitch-Präsenz der Wiedererkennungswert der Liga, doch nach einer Saison bei Spontent haben die Netzhoppers noch keine Auswirkungen auf ihre Zuschauerzahlen bemerkt. "Ich glaube nicht, dass es zeitnah einen Umschwung gibt oder ein Durchmischen passiert", sagt Dirk Westphal. Die Liga müsse für beide Zielgruppen weiter zweigleisig fahren. Von Kooperationen mit der TH Wildau und mehr Beachvolleyballkursen im Sommer versprechen sich die Netzhoppers eher ein jüngeres Publikum.
Social Media als Allzwecklösung für die Volleyball-Bundesliga der Männer funktioniert nicht. "Je nach Verein ist die Eventexperience eher dahinorientiert, wie die Fanbase bisher ist", sagt Dirk Funk von Spontent. Das müsse sich perspektivisch ändern, um junge Leute dauerhaft in die Hallen zu bekommen. Beim Bounce House Cup in Hildesheim zeigt sich im Verlauf des Wochenendes die Stärke des Livesports. Von Spiel zu Spiel wird die Halle voller. Die Fanlager tun sich zusammen, um gemeinsam zu feiern. Beim Finale am Sonntag ist die Halle gut gefüllt, vor dem Spiel wird "Breaking Free" gesungen und zum Abschluss lassen sich die BR Volleys als erster Turniersieger feiern. Im Stream sind knapp 5.000 Menschen dabei. Das Publikum jubelt, der Chat kommentiert und irgendwie schauen am Ende doch alle zusammen.
Kaum hat sich Volleyball-Deutschland an Spontent und Twitch gewöhnt, wird sich das ganze System ab der Saison 2023/2024 erneut ändern. Dann soll die Volleyball-Bundesliga der Männer bei "Dyn" übertragen werden. Die neue Streamingplattform von Ex-DFL-Chef Christian Seifert und Axel Springer hat sich neben dem Volleyball auch Übertragungsrechte für Basketball und Handball gesichert. "Inhaltlich wird sich da relativ wenig ändern, weil sich da auch die Verantwortlichen von Dyn unserem Medien- und Produktionskonzept vertrauen", sagt Dirk Funk. Das Angebot ist allerdings nicht länger kostenlos. Innerhalb der Saison stehen Liga und Klubs vor der Aufgabe, so für sich zu begeistern, dass die Menschen künftig ein Abo abschließen.
Sendung: rbb|24 Inforadio, 3.10.2022, 11:15 Uhr
Beitrag von Lynn Kraemer
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