Canan Taş vor den deutschen Meisterschaften
Erst vor drei Jahren kam Canan Taş zum Boxen. Es war der Beginn eines rasanten Aufstiegs. Deutsche Vize-Meisterin im Federgewicht ist die Cottbuserin schon - diese Woche soll der Meistergürtel her. Von Thomas Juschus
Der 2. September 2019 ist im Leben von Canan Taş ein wichtiger Tag. "Ja, es stimmt, das Datum werde ich nicht vergessen, da hatte ich meine erste Einheit und alles hat angefangen", sagt die 27-Jährige mit einem Lächeln. An jenem Montag absolvierte Canan Taş in der Sporthalle in der Cottbuser Gartenstraße unter Anleitung von Trainer Steffen Rehn ihre erste Trainingseinheit - im Boxen.
Rund drei Jahre später hat Taş die Chance, erstmals deutsche Meisterin im Federgewicht zu werden. "Diesmal hole ich mir das Ding", sagt die junge Frau vor den nationalen Titelkämpfen, die am Dienstag in Rostock beginnen.
Canan Taş' Geschichte ist eine der derzeit wohl spannendsten in Sport-Deutschland. Aufgewachsen in Cottbus legt Taş an der Theodor-Fontane-Schule zunächst ihr Abitur ab, es folgt eine kaufmännische Ausbildung in Hannover und Leipzig. Sportlich macht die junge Frau erste Bekanntschaft mit Kampfsport - beim Taekwondo. 2019 kehrt Canan zurück in ihre Lausitzer Heimat und entscheidet an einem lauen Sommerabend nach einem Gespräch mit ihrer Mutter: "Ich gehe mal zum Boxen." Vater Ahmet, selbst ehemaliger Boxer und in Junioren-Zeiten in der Auswahl des Deutschen Boxsport-Verbandes (DBV), kennt die richtigen Leute und organisiert mit Hilfe des Cottbuser Boxverein 2010 die erste Trainingsstunde.
"Irgendwie bin ich auch mit Boxsport aufgewachsen. Angst hat nie eine Rolle gespielt - und ich hatte immer die komplette Unterstützung meiner Familie", erinnert sich Canan Taş an ihre Anfänge vor knapp drei Jahren. Mitte November 2019 steigt sie im Cottbuser Jugendkulturzentrum Glad-House zu ihrem ersten Kampf in den Ring. Und gewinnt.
"Eins kam dann zum anderen, ich wurde so mitgezogen", erinnert sie sich. Auch bei einem Kampf beim Lausitzer Autokinofestival im Sommer 2021 mit Boxlegende Axel Schulz als Co-Kommentator überzeugt Taş und erhält das Angebot, an den Stützpunkt in Frankfurt (Oder) zu wechseln. "Da habe ich meinen Job gekündigt und mein ganzes Leben umgekrempelt."
Seitdem geht die Entwicklung noch schneller. Seit Ende 2021 hat Taş Kaderstatus und gehört zur Sportfördergruppe der Feuerwehr, macht an der Landesschule und Technische Einrichtung für Brand- und Katastrophenschutz (LSTE) in Eisenhüttenstadt eine Ausbildung. 14 Kämpfe stehen inzwischen in ihrer Vita (elf Siege). Von ihrem ersten internationalen Einsatz für den DBV im Juli 2022 beim "Acropolis Cup" in Athen bringt sie die Silbermedaille mit zurück.
Auch bei den deutschen Meisterschaften 2021, die im August 2022 in Heidelberg nachgeholt werden, steht sie im Finale und wird Zweite. Nach einer umstrittenen Punkt-Niederlage gegen Lokalmatadorin Asya Ari. "Mein Finalkampf ist sehr, sehr knapp ausgegangen. Mein Ziel ist es deshalb, in Rostock aus Silber Gold zu machen", sagt Canan Taş, die allerdings in der Hansestadt auf eine lieb gewordene Routine verzichten muss: Vater Ahmet kann nicht dabei sein, weil er arbeiten muss.
Aber sie kann sich auf ihre Qualitäten verlassen. Steffen Rehn - ihr erster Förderer als Landestrainer am Stützpunkt in Cottbus - schwärmt über sie: "Canan ist sehr kampfstark und wissbegierig, sie saugt alles auf: Technik, Taktik, Ausdauer. Vor allem hat sie aber ein Boxer-Herz." Ähnlich klingt es auch, wenn die 27-Jährige über sich selbst spricht: "Mein Biss und meine Willenskraft sind ziemlich groß - ich war schon immer eine Kämpferin", sagt die Cottbuserin, die gewöhnlich aus einer sicheren Deckung ihre Kämpfe führt. Ihr Nachteil ist die fehlende Box-Erfahrung: Ihre Gegnerinnen haben meistens deutlich mehr Kämpfe in der Vita stehen.
Die geringere Ring-Praxis macht Canas Taş bislang mit ihrer Unbekümmertheit wett. "Ich habe den Sport aus einer Laune heraus mit einer gewissen Leichtigkeit angefangen, hatte bisher keinen Druck von Außen und immer Spaß und Freude am Boxen", sagt die amtierende deutsche Vize-Meisterin. Mit ihrer rasanten Erfolgsgeschichte werden jedoch die Ansprüche allmählich größer.
Auch die Olympischen Spiele 2024 in Paris schwirren schon ein bisschen durch ihren Kopf. "Das Thema wird natürlich immer interessanter und immer größer. Natürlich ist das auch für mich ein kleiner Traum, den ich gern erleben möchte", sagt Taş. Zunächst will sie aber bei den deutschen Meisterschaften in Rostock auf der Überholspur bleiben - mit dem Gewinn des Meistergürtels im Federgewicht. "Ja, ich soll, möchte und muss Gold gewinnen", sagt Taş. Dann würde der 3. Dezember 2022 - der Finaltag - sicher einen ebenso besonderen Platz in ihrer Erinnerung bekommen wie der 2. September 2019.
Sendung: Antenne Brandenburg, 28.11.2022, 16 Uhr
Beitrag von Thomas Juschus
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