Zur kommenden Saison
Vergangene Woche stimmten die Mitglieder von Blau-Weiß 90 und Tasmania Berlin einer Kooperation beider Teams zu. Für den Ex-Kurzzeit-Bundesligisten BW 90 bedeutet diese den Rückzug aus der Oberliga. Johannes Mohren über Frust und neue Hoffnungen.
Michael Meister hat Redebedarf. Schon die erste Frage im rbb|24-Interview mit dem Präsidenten von Blau-Weiß 90 führt zu einem minutenlangen Monolog. Es sind Worte, aus denen vor allem eines klingt: Frust. Der Nordostdeutsche Fußball-Verband (NOFV) ist Adressat von Meisters Enttäuschung, aber auch die Senats- und Bezirkspolitik. Schließlich sagt er: "Weiter perspektivlos in der Oberliga zu spielen und gegen Wände zu rennen, macht keinen Sinn."
Es ist dieser resignierte Satz, der einen Erkläransatz für die Entwicklung der vergangenen Wochen bietet. Kurz zusammengefasst: Blau-Weiß 90 wird seine erste Mannschaft aus der Oberliga zurückziehen und ab der kommenden Saison nur noch in der Berlin-Liga spielen. Der Kern des aktuellen Teams - immerhin starker Vierter - soll nach dem freiwilligen Abstieg wechseln und den derzeitigen Liga-Konkurrenten Tasmania verstärken. Mit diesem geht BW 90 eine offizielle Kooperation ein. Auch das künftige Berlin-Liga-Team ist Teil dieses Plans, mit dem die beiden Klubs ihre Kräfte bündeln wollen. Es soll zu einer Art U23 für Tasmania werden.
Dieses Vorhaben ist das (vorläufige) Ende großer Ambitionen von BW 90, das 1986/87 eine Saison in der Bundesliga spielte. Noch Anfang dieses Jahres hatte Meister gesagt: "Wir werden das Ziel dritte Liga verfolgen, nur nicht mit aller Macht." Das 'Wir' deutet auf ein Gemeinschaftsprojekt hin, zumindest finanziell ist es aber vor allem eines des Unternehmers Meister. Er war es auch, der 2015 überhaupt erst wieder die großen Träume nach Mariendorf zurückbracht hatte.
Damals bekam der Klub - tief gestürzt nach Konkurs 1992 und Löschung aus dem Vereinsregister - seinen geschichtsträchtigen Namen zurück. Zuvor hatte der Nachfolgeverein als SV Blau Weiss Berlin die Tradition fortgeführt. Meister rief in diesem Zuge einen Fünf-Jahres-Plan für den damaligen Landesligisten aus. Die Slogan war gleichzeitig eine Ansage: "Blau-Weiß is back!" Zurück in die Berlin-Liga ging es ein Jahr später, 2018 weiter in die Oberliga. Sechster, zweimal Achter und einmal Fünfter war Blau-Weiß 90 seitdem in der Abschlusstabelle.
Sportlich fehlt der ersten Mannschaft nicht viel zum Sprung in die Regionalliga Nordost - dem Gesamtverein jedoch eine ganze Menge. Es sind zwei entscheidende Bereiche, in denen Blau-Weiß 90 sich mit Verband und Politik rieb. Bis sie sich zerrieben fühlten. Der eine ist die Jugendarbeit. So schreibt der NOFV in seiner Spielordnung (Paragraf 3, Punkt 5) vor:
"Jeder Verein der Herren-Regionalliga und der Herren-Oberliga muss mindestens mit vier Mannschaften (darunter mindestens eine A-Junioren-Mannschaft), wobei nur eine Mannschaft je Altersklasse zur Anrechnung gelangt, am Jugendspielbetrieb teilnehmen."
BW 90 fehlen die notwendigen Strukturen im Unterbau. Der Verein hat weder eine C- noch eine B-Jugend. Die verpflichtende A-Jugend ist nur notdürftig zusammengesammelt und existiert aus der reinen Notwendigkeit, die Lizenz nicht zu verlieren. Das Alibi-Team ist in der Bezirksliga Letzter und tritt nur unregelmäßig an. Jüngst auf dem Verbandstag des NOFV habe er einen Antrag gestellt, berichtet Meister. Er wollte erreichen, dass zunächst eine C-Jugend ausreiche, um - so sagt er - den Unterbau nachhaltiger aufzubauen. Eine Mehrheit fand er nicht.
Warum Blau-Weiß 90 nicht schon früher Jugend-Strukturen geschaffen habe? Meister hat dafür eine eigene Erklärung. "Wir sind zwar ein ehemaliger Bundesligist, aber wir sind nur ein ganz kleiner Verein. Wir haben nur 250 Fußball-Mitglieder", sagt er. In der Nachbarschaft gebe es Klubs wie den TSV Mariendorf oder Viktoria 89 mit großen Nachwuchsbereichen. "Da ist ja klar, wo ambitionierte Jugendliche hingehen", sagt der Unternehmer. Er habe sich auf die erste Herren-Mannschaft fokussiert "und die entsprechend entwickelt".
Sportlich funktionierte das. Auch wenn angepeilte Investoren-Deals platzten. Die potenziellen Geldgeber hätten mit ihm "zwei Jahre mit den Ämtern gekämpft", um dann - entnervt von Berlin - aufzugeben, sagt Meister. Während es fußballerisch trotzdem aufwärts ging, stockte es bei der Infrastruktur. Vor zwei Monaten kam dann ein weiterer Rückschlag. Es sollte der finale sein. "Da hat es mit dem Senat eine Begehung in unserem Stadion im Volkspark Mariendorf gegeben. Und man hat definitiv festgelegt, dass es künftig nicht weiter ausgebaut wird."
Es war der Zeitpunkt, zu dem Meister - nun endgültig im Gefühl der Perspektivlosigkeit - an Almir Numic herantrat. Der Enddreißiger ist Präsident von Tasmania Berlin. Die beiden Männer kennen sich lange und gut. Eigentlich von Immobiliengeschäften. Jetzt - so war die Idee - könnten sie ja auch im Fußball gemeinsame Sache machen. "Es gibt nicht viele Vereine, die so etwas eingehen können. Meistens sind das in den Klubs Alpha-Tiere, die schwierig zusammenarbeiten können. Bei uns war aber von Anfang an klar, dass das funktioniert", sagt Numic.
Auf Vorstandsebene - auch mit dem dritten starken Mann, Tasmanias zweitem Vorsitzenden Hussein Ahmad - war die Kooperation also schnell ausgehandelt. In der vergangenen Woche stimmten auch die Mitglieder beider Klubs auf außerordentlichen Versammlungen zu. "Jeweils mit klarer Mehrheit", wie es in den Mitteilungen der beiden Oberligisten hieß [sv-tasmania-berlin.de]. Anders war und ist die Stimmungslage in der Fanszene von Blau-Weiß 90. Sie kam Mitte November aus Protest nicht zum Spiel gegen den Rostocker FC [fussball-woche.de].
Meister teilt die Sorge eines Identitätsverlusts von Blau-Weiß 90 nicht. "Es ist keine Fusion der Vereine, sondern eine Kooperation bei den ersten Herren. Ich werde als alter Blau-Weißer - solange ich hier was zu sagen habe - verhindern, dass der Verein liquidiert und gelöscht wird." Nicht umsonst habe er jahrelang gekämpft, "um den alten Namen wiederzubekommen."
Der Unternehmer betont stattdessen die Vorteile - und scheut dafür nicht den Superlativ: "Es kann Blau-Weiß nichts Besseres passieren", sagt Meister. "Was ist denn, wenn ich mal vom Himmel falle?", fragt er - um selbst zu antworten: "Dann haben wir das gleiche Problem wie 1992 [Jahr der Konkurs-Anmeldung, Anm. d. Red.] und der Verein hat auf einmal Verbindlichkeiten, denen er gar nicht nachkommen kann", sagt Meister. Es ginge also auch darum, Blau-Weiß wie Tasmania wirtschaftlich unabhängiger zu machen. "Beide Vereine werden dann auch wirtschaftlich auf drei Schultern getragen. Das ist eine andere Hausnummer", sagt auch Numic.
Für die ersten Herren seien die Voraussetzungen bei Tasmania deutlich besser, sagt Meister: "Sie haben die ganzen Voraussetzungen, die bei uns nicht vorhanden sind", sagt Meister. Für den heimischen Werner-Seelenbinder-Sportpark in Neukölln haben sie genau das Versprechen, das BW 90 in Mariendorf fehlte. "Wir haben eine ganz klare Zusage von der Politik und dem Sportamt, dass das Stadion regionalligatauglich gemacht wird", sagt Numic. Erste Arbeiten seien gemacht, andere stocken. "Man muss Geduld haben. Wir sind erstmal froh, dass wir vonseiten des Bezirks so viel Unterstützung bekommen. Weil wenn man sich Blau-Weiß anschaut: Das ist ja eine Frechheit, was dort passiert ist. Dass man so einen Traditionsverein hängen lässt."
Auch das zweite Manko von Meisters BW 90 gibt es bei Tasmania nicht. Von G- bis A-Jugend ist der Nachwuchs beim künftigen Kooperationspartner bestens aufgestellt - mit mehreren Teams pro Altersklasse. Es ist das Ergebnis eines anderen Ansatzes als bei den Mariendorfern. Präsident Numic vertritt diesen ganz offensiv: "Es ist wichtig, dass der gesamte Verein entwickelt wird. Wir haben also auch mit der Jugend klare Zielsetzungen ab der nächsten Saison."
Am 5. Dezember wollen die Vorstände sich erneut zusammensetzen. Dann sollen die weiteren Schritte bis zur Kooperation besprochen werden, die im Sommer starten wird. Klar ist: Die Ambitionen der Beteiligten sind groß. Wohin der Weg für die erste Mannschaft führen soll? "Definitiv in die Regionalliga. Tasmania muss ein gestandener Regionalligist sein", sagt Numic. Blau-Weiß, sprich: die U23, solle dann "irgendwann wieder in die Oberliga aufsteigen", um die jungen Spieler auf hohem Niveau an das Herrenteam heranführen zu können.
Michael Meister denkt sogar noch weiter. Der Traum vom Profifußball, der ihm mit BW 90 verwehrt blieb, soll nun auf anderem Wege doch noch Realität werden. "Unser langfristiges Ziel bleibt die dritte Liga", sagt der Unternehmer. Die erste Mannschaft von Tasmania könnte dafür perspektivisch aus dem eingetragenen Verein ausgegliedert werden. Bei Meister klingt dieser Plan schon sehr konkret, bei Numic noch deutlich vorsichtiger: "Man darf sich nie eine Tür zuschließen. Am Ende müssen das unsere Mitglieder entscheiden."
Die Gegenwart ist aber noch eine ganz andere. Tasmania Berlin steckt tief im Keller der Oberliga Nordost-Nord. Stiegen sie ab, wäre die Idee der Zusammenarbeit - mit Blau-Weiß 90 und Tasmania in der Berlin-Liga - zumindest vorerst gescheitert. Daran verschwenden sie aber in Neukölln keine Gedanken. "Ich habe null Zweifel, dass wir das mit der jetzigen Mannschaft schaffen", sagt Numic. Er klingt bestimmt. Denn Frust führte schon zum Ende der Träume von BW 90. Er soll nicht auch am Anfang der neuen Kooperation stehen.
Sendung: rbb24, 30.11.2022, 18:15 Uhr
Beitrag von Johannes Mohren
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