Über Katar in die Hauptstadt?
Die aktiven Fan-Szenen von Hertha und Union boykottieren die Fußball-WM in Katar. Die Geschäftsführer Fredi Bobic und Oliver Ruhnert suchen jedoch dort nach Neuzugängen. Von Till Oppermann
Während die Spieler von Hertha BSC derzeit für die Rückrunde trainieren, schiebt Geschäftsführer Fredi Bobic in diesen Tagen Doppelschichten. Neben seinen Aufgaben als Chef bei Hertha analysiert der 51-Jährige für den Bezahlsender Magenta die Fußball-Weltmeisterschaft.
Dabei hat sein Haupt-Arbeitgeber zum Turnier in Katar eine klare Meinung. Weil sich Werte und Grundsätze des Vereins im Ausrichterland nicht wiederfänden, halte der Verein die Ausrichtung der WM im Emirat für falsch.
Bobic rechtfertigte den Einsatz auf der Mitgliederversammlung damit, dass er seine Gage spenden würde. Sollte am Ende sogar Hertha von Bobics Nebenjob profitieren, würden ihm wohl viele Fans verzeihen.
Auf der Mitgliederversammlung vor zwei Wochen hatte Bobic klargestellt: "Ich bin als Experte für Fußball da. Es ist für mich unsäglich, dass die WM in Katar stattfindet." In seiner Funktion als Geschäftsführer eines Bundesligavereins ist für Bobic sowieso jede WM ein Pflichttermin.
Denn neben Stars wie Messi, Neymar oder Mbappe - die für Hertha schon vor den verheerenden Geschäftszahlen der letzten Mitgliederversammlungen unerschwinglich waren - präsentieren sich bei den Turnieren zahlreiche Spieler aus weniger starken Ligen auf der Weltbühne. Für diese Spieler sind Weltmeisterschaften ein Schaufenster und damit eine Chance auf einen Vertrag in Spanien, England, Italien oder eben Deutschland. Die Ligen, in denen für Spitzenfußball besonders gut bezahlt wird.
Bobic scheute sich noch nie davor, ausländische Spieler ohne Deutschkenntnisse zu verpflichten. Zu Hertha holte er mit dem Uruguayer Agustin Rogel, dem Nigerianer Chidera Ejuke und den Kroaten Ivan Sunjic und Filip Uremovic im Sommer gleich vier Ausländer, die ihr Bundesligadebüt im Hertha-Dress feierten. Auch in Stuttgart und Frankfurt stand Fredi Bobic für internationale Transfers. Im Interview mit der TZ schwärmte der ehemalige Nationalspieler kürzlich von Stürmer Shinji Okazaki. Der Japaner habe sich schnell angepasst, Deutsch gelernt und sei immer selbstkritisch gewesen. Auch Japans aktuellen Topstar lotste Bobic in die Bundesliga: 2017 verpflichtete er Daichi Kamada vom japanischen Verein Sagan Tosu.
Mit Peter Pekarik und Vladimir Darida könnten im Winter gleich zwei altgediente Herthaner den Verein verlassen. Gleichzeitig sehnen sich die Talente Linus Gechter und Marton Dardai nach mehr Spielzeit und wollen ebenfalls wechseln. Es wäre also fahrlässig, wenn Bobic nicht auch bei der WM nach Ersatz suchen würde. Zwar müssen die Herthaner sparen, aber: "Wir wollen ja konkurrenzfähig sein und Bundesliga spielen. Man muss sich bei jeder Personalie genau überlegen, ob man es macht oder nicht", so Bobic. Immerhin muss er sich keine gesteigerten Sorgen machen, dass seine eigenen Stammspieler bei der Weltmeisterschaft neue Begehrlichkeiten wecken. Torhüter Oliver Christensen ist Herthas einziger WM-Teilnehmer. Bei Dänemark ist er nur Ersatz. Kurioserweise teilt er sich die Bank mit Frederik Rönnow vom 1. FC Union. Der Torhüter ist ebenfalls der einzige Spieler, den die Eisernen abstellen müssen.
Wie Christensen wird auch Rönnow in Katar eher nicht zum Einsatz kommen. Wie Bobic wird Unions Geschäftsführer Profifußball Oliver Ruhnert trotzdem genau bei der WM zuschauen. Nachdem Ruhnert bei den Eisernen lange viel Wert darauflegte, möglichst viele Spieler mit guten Deutschkenntnissen zu verpflichten, hat sich diese Strategie zuletzt etwas geändert. Die Sommerneuzugänge Morten Thorsby, Jordan Siebatcheu und Danilho Doekhi kamen allesamt aus dem Ausland und Union ist ihr erster Verein in der Bundesliga. Ruhnert ist dafür bekannt, dass er auch im Winter auf dem Transfermarkt aktiv wird. Warum dann nicht Spieler verpflichten, die bei der WM als Außenseiter überzeugen und bis dato für kleinere Klubs spielen? Einen ersten Transfer dieser Art scheint der schottische Rekordmeister Celtic Glasgow einzutüten: Kanadas Außenverteidiger Alistair Johnson wechselt aus der nordamerikanischen Profiliga MLS nach Europa.
Fünf Wochen bevor das Transferfenster im Januar öffnet, wird Union bereits mit dem Ex-Nationalspieler Luca Waldschmidt und dem norwegischen U-21-Nationalspieler Sivert Mannswerk in Verbindung gebracht. Über das Profil für neue Spieler sagte Ruhnert kürzlich im rbb-Interview, die Spieler müssten bereit sein, das Profil, das Trainer Urs Fischer brauche, anzunehmen. "Dazu gehören eine taktische Disziplin, ein laufintensives Verhalten und eine komplette Bereitschaft, sich auf das einzulassen, was einen beim 1. FC Union erwartet." Spätestens seitdem Sandro Schwarz Hertha trainiert, sucht auch Bobic solche Spieler. Aber sollte ein WM-Teilnehmer vor der Entscheidung stehen, zu welchem Berliner Bundesligisten er wechselt, hat Union derzeit finanziell gesehen die etwas besseren Karten. Zumal Geschäftsführer und TV-Experte Fredi Bobic warnt: "Der Januar ist ein sehr schwieriger Monat. Man kann sehr viel falsch machen."
Sendung: rbb24, 25.11.2022, 18 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
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