Interview | Landessportbund-Präsident
Erst Corona-Pandemie, nun Energiekrise: Auch der Berliner Sport und seine Vereine sind seit Jahren herausgefordert. Landessportbund-Präsident Thomas Härtel spricht im Interview über Belastungen, Zeichen der Hoffnung - und ein zehnstelliges Problem.
rbb|24: Was sind Ihre Gefühle, wenn Sie - als Präsident des Landessportbundes Berlin - auf das Jahr 2022 zurückblicken?
Thomas Härtel: Das sind sehr gemischte Gefühle. Wir waren auf der einen Seite froh, dass die Corona-Pandemie sich dem Ende zuneigte. Und auf der anderen Seite - durch den Angriff Russlands auf die Ukraine - standen wir vor völlig neuen Herausforderungen. Das bedrückt uns nach wie vor sehr und beeinflusst auch unsere Arbeit.
Wie hoch ist denn die Belastung für die Vereine aktuell?
Nach wie vor sehr hoch. Wir hatten während der Corona-Zeit die höchste Belastung, weil der Sport ja fast gar nicht stattfinden konnte. Die Sportwelt in Berlin lag sozusagen brach, gerade was den Breitensport und den Kinder- und Jugendsport betraf. Jetzt haben wir wieder Zuwachs, aber dafür andere Belastungen wie die Energiekosten, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Auswirkungen auf die Frage, wer wie wann und wo Sport treiben kann, haben diese zurzeit jedoch nicht. In Berlin haben wir eine Situation, in der wir unsere Sport- und Schwimmhallen trotz der hohen Belastungen für die Betreiber weiter nutzen und unseren Sport ausüben können. Wir sind also nicht beschränkt, wir sind belastet durch die entsprechenden Energiekosten. Und da hoffen wir auch auf Hilfe.
Von einer "Verdrei- oder Vervierfachung der Energiekosten" für einige Vereine haben Sie zuletzt in einem Interview gesprochen. Lässt sich das genauer beziffern?
Leute, die jetzt im Winter beispielsweise Tennishallen aufbauen, haben enorme Belastungen. Die gehen in den fünfstelligen Bereich. Da müssen wir helfen. Aber auch Schwimmbäder sind betroffen durch die Temperaturabsenkungen, durch die sich der eine oder andere womöglich doch gehindert fühlt, schwimmen zu gehen. Wir sind jedoch froh, dass die Berliner Bäderbetriebe alles dafür tun, dass Schwimmen trotz der Energiebelastungen möglich ist. Auch kleinere Vereine haben Belastungen durch ihre Büros oder Strom- und Gaskosten durch Sportflächen, die sie anbieten. Wir haben ausgerechnet, dass auf die Vereine insgesamt im Moment geschätzt etwa 16 bis 17 Millionen Euro Belastungen alleine durch die Energiekrise zukommen.
Konnten und können solche Belastungen abgefedert werden - und wenn ja, wie?
Wir waren in guten Gesprächen mit dem Senat, der uns eine entsprechende Unterstützung zugesagt hat von acht Millionen Euro für Vereine, die durch die Energiekrise in eine schwierige Situation geraten sind. Die Bewilligungen werden über den LSB ausgereicht und ab sofort sind entsprechende Anträge online bei uns zu stellen. Es gibt bestimmte Kriterien. Die Vereine müssen beispielsweise durch eigene Einsparungen einen Beitrag von 25 Prozent leisten. Aber die weiteren Belastungen sollen durch diesen Rettungsschirm abgefedert werden.
Für welchen Zeitraum sind diese acht Millionen vorgesehen?
Die Antragsstellung ist zunächst bis Ende des nächsten Jahres möglich. Wir müssen ja alle bewerten, wie sich die Strom- und Gaspreise tatsächlich entwickeln und wie hoch die Belastungen für die Vereine vor Ort dann wirklich sind. Die Antragstellung ist schon etwas komplizierter. Wir müssen sehr differenziert schauen, dass es tatsächlich auch eine Eigenleistung gibt und nicht ohne Beachtung der Strom- und Gaspreise Energie verbraucht wird. Das ist nicht verantwortlich. Jeder muss da seinen eigenen Beitrag leisten, kostendämpfend und energiesparend zu handeln. Das muss in der Antragsstellung mitberücksichtigt werden. Das wissen die Vereine aber. Wir beraten sie. Die ersten Anträge sind jetzt auch eingegangen und werden dann zu Beginn des Jahres bearbeitet. Und dann wird es auch Abschlagszahlungen geben, damit die Vereine weiter handlungsfähig bleiben.
Mitgliedsbeiträge sind - abgesehen von den Hilfspaketen - für die Vereine ein entscheidender wirtschaftlicher Faktor. Wie entwickeln sich die Mitgliederzahlen im Angesicht der Krisenlagen?
Wir haben noch nicht die endgültigen Zahlen für das zurückliegende Jahr 2022. Wir hatten 2021 wieder einen Zuwachs. Nachdem wir rund 36.000 Mitglieder verloren hatten, konnten wir 2021 wieder rund 22.000 dazugewinnen. Diese Entwicklung hat sich 2022 fortgesetzt und wir sind guter Dinge, dass wir wieder an die Zahlen von vor der Corona-Pandemie herankommen werden. Die Entwicklung ist positiv und das freut uns. Viele haben gemerkt, was ihnen in der Pandemie gefehlt hat und gerade Kinder und Jugendliche haben wieder den Zugang zu den Vereinen gefunden.
Gab es 2022 zwischenzeitlich existenzbedrohende Szenarien im und für den Berliner Vereinssport?
Ängste hatten wir schon. Aber wir haben auch festgestellt: Existenzbedrohend war die Situation für die Vereine nicht. Sie sind dann doch auch widerstandsfähig - vor allem, weil im Verhältnis wirklich viele Mitglieder die Vereinstreue gehalten haben. Die Vereine haben in der Pandemie auch gelernt, ihren Mitgliedern über Online-Angebote den Zugang zu erhalten. Das haben diese gespürt. Es ist kein Verein in irgendeiner Weise insolvent gegangen aufgrund der Corona-Pandemie oder der Energiekrise.
Stimmt Sie das optimistisch auch für das kommende Jahr?
Wir sind alle nach wie vor betroffen durch die schrecklichen Bilder in der Ukraine. Insofern ist das dann immer sehr schwer, optimistisch nach vorne zu blicken. Aber ich bin ein optimistischer Mensch und der Sport hat den Optimismus ja auch ein wenig inne. Man möchte etwas erreichen für sich und auch für andere. Insofern hoffen wir erst einmal, dass - mit Blick auf die Ukraine - Frieden einkehrt. Das ist wirklich das Allerwichtigste und dass wir in unserer kleinen Sportfamilie unseren Beitrag leisten. Dass wir hier miteinander zusammenkommen und gemeinsam Sport treiben. Friedlich und vorurteilsfrei. Das ist das, was ich mir immer wünsche und wie wir den wichtigsten Beitrag für den Zusammenhalt in der Gesellschaft leisten können. Denn solche Konflikte zeigen ja immer wieder, wie wichtig menschliche Beziehungen sind. Und das kann der Sport bieten.
Was haben Sie als vordringlichste Aufgaben für das kommende Jahr definiert?
Wir haben gespürt, dass wir verstärkt Menschen benötigen, die sich ehrenamtlich engagieren und auch Übungsleiter, die in der Pandemie teilweise in andere Bereiche ausgewichen sind. Das bereitet uns am meisten Sorgen. Daran müssen wir arbeiten und da werden wir Werbekampagnen entwickeln, damit wir Menschen finden, die sich im Sportverein engagieren. Denn das sind diejenigen, die für uns letztendlich systemrelevant sind. Natürlich wollen wir auch weiterhin Mitglieder gewinnen, weil das den Sport insgesamt stabilisiert und deutlich macht, welche Auswirkungen er hat. Wir wollen vor allem auch die Familien mit in den Blick nehmen und ein Zeichen setzen, dass man gemeinsam in der Familie viel für die Kinder oder auch für die Großeltern erreichen kann.
Dafür braucht es auch den nötigen Platz ...
Ja, das ist ein weiterer wichtiger Wunsch: Wir brauchen sanierte und funktionsfähige Sportstätten. Das beschäftigt uns intensiv angesichts der Tatsache, dass wir einen Sanierungsbedarf von fast einer Milliarde Euro in Berlin haben. Wir wünschen uns, dass es mit dem Jahn-Sportpark weitergeht. Da gab es ja ein entsprechendes Wettbewerbsverfahren. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist, dass sich auf dem Gelände des ehemaligen Flughafen Tegel ein 'Band des Sports' errichten lassen könnte.
Ein latentes Dauerthema wird 2023 sicherlich auch weiter eine mögliche Olympiabewerbung 2036 aus Deutschland sein. Sie haben sich gegen ein "Wettrennen" mehrerer Austragungsorte und für eine gesamtdeutsche Bewerbung ausgesprochen. Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten ein?
Es wird sich insofern etwas tun, dass der Deutsche Olympische Sportbund eine sogenannte "Roadmap" erstellt hat, um zu klären, in welcher Weise und unter welchen Voraussetzungen sich Deutschland für olympische und paralympische Spiele bewerben kann. Es soll Dialogverfahren geben und Diskussionsforen - sowohl in Städten wie München und Berlin, die schon Spiele ausgerichtet haben, aber auch in Städten, die sich schon einmal erfolglos beworben haben. Damit soll ausgelotet werden, wie weit man sich mit einer Bewerbung für 2036 oder auch 2040 nach vorne bewegen sollte.
Was erwarten Sie von diesem Prozess?
Das muss ein Verfahren sein, mit dem man deutlich macht, wie wir uns olympische und paralympische Spiele vorstellen. Das heißt, dass wir innerhalb des deutschen Sports ein Konzept entwickeln, bei dem wir meinen: Das sind Spiele, die man rechtfertigen kann, die nachhaltig sind, die Menschenrechte mitberücksichtigen, die bestehende Sportstätten mitnutzen und so vor allem auch die Menschen mitnehmen. Dieses Verfahren wird 2023 in Gang gesetzt. Wenn man über Nachhaltigkeit von olympischen und paralympischen Spielen spricht, muss man natürlich genau schauen, wo diese in der Vergangenheit stattgefunden haben.
Wenn wir wenig neu bauen wollen und Bewährtes erhalten, sanieren und zügig und gut für den Sport herrichten wollen, kann man auf München und Berlin blicken, das ist ja klar. Man kann aber auch bis nach Rostock und Warnemünde schauen, weil dort bestimmte Voraussetzungen geschaffen worden sind. Man muss sich überlegen, ob man eine Achse des olympischen und paralympischen Sports in Deutschland in den Blick nimmt, um nicht immer nur den Gigantismus im Vordergrund zu haben, der auch bei den Bürgerinnen und Bürgern auf Ablehnung stoßen wird.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Johannes Mohren, rbb Sport.
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