Hertha nach dem Trainingslager in Florida
Palmen, blauer Himmel, 23 Grad. Ideale Bedingungen für Hertha im Trainingslager in Florida. Nach elf Tagen geht es für die Mannschaft nun wieder zurück ins kalte Deutschland. Trainer Sandro Schwarz fühlt sich bereit für die Bundesliga. Von Philipp Höppner
Unter der Flagge mit den breiten Streifen und den hellen Sternen wurde in den vergangenen Tagen fast nur Deutsch gesprochen - zumindest auf dem Soccer Complex der IMG Academy. Sandro Schwarz ruft seinen Spielern beim Standard-Training zu: "Mit richtig Dominanz dann aber auch!" Die Ecke von Jonjoe Kenny segelt in den Sechzehner. Stevan Jovetic schiebt den Ball am zweiten Pfosten ein. "Bam! Bravo!", ruft Schwarz. "So sieht's aus, Jungs!"
Hertha muss mehr Tore schießen. 19 Treffer in 15 Spielen ist in der Bundesliga nicht einmal Durchschnitt. Deswegen lag der Fokus im Trainingslager auf der Offensive. "Viel Tiefenspiel nach Balleroberung oder aus dem Spiel heraus - Spieleröffnung", erläutert der Trainer in einer Medienrunde. Trainiert werden: Kurze Pässe im Mittelfeld, raus auf die Flügelspieler in Richtung Grundlinie. Flanke, Schuss und Tor. So die Theorie.
An jeweils zwei Tagen gibt es in Florida zwei Testspiele. Sandro Schwarz teilt seine Spieler in zwei Mannschaften auf. Dass es sich dabei um eine A-Elf und eine B-Elf handelte, streitet er zwar ab, diese lassen sich aber durchaus erahnen. Drei der vier Spiele gewinnt Hertha ohne Probleme gegen Amateurmannschaften.
Im vierten Spiel geht es gegen den 15-fachen kolumbianischen Meister FC Millonarios. Der Härtetest. Dort schickt Schwarz folgende Elf auf den Platz: Christensen - Kenny, Rogel, Kempf, Mittelstädt - Boetius, Tousart - Richter, Boateng, Scherhant - Kanga. Ein 4-2-3-1, das aber auch schnell zum 4-3-3 werden kann. Herthas Topscorer Dodi Lukebakio fehlt. Hier bestätigt Schwarz allerdings, der Grund sei seine Gelbsperre beim Bundesliga-Restart gegen Bochum.
Vom offensivem Fußball, der in den Vortagen so viel geübt wurde, ist in der ersten Halbzeit jedoch nichts zu erkennen. Die Kolumbianer sind spielbestimmend, angriffslustig und leidenschaftlich. Hertha kommt auf lediglich zwei Schüsse. Einer davon aufs Tor.
Nach 53 Minuten führt der FC Millonarios mit 2:0. Doch nach einem Eckengerangel bekommt Hertha einen Elfmeter, den Wilfried Kanga souverän verwandelt. Dieses Tor aus dem Nichts belebt Herthas Spiel. Jetzt spielen die Berliner mit und setzen die Trainingsinhalte um. Lucas Tousart startet mit einem Tiefenlauf in den 16er und wird von einem 30-Meter-Zuckerpass von Kapitän Kevin-Prince Boateng perfekt bedient. Der Franzose erzielt das 2:2 - das Endergebnis. "In der ersten Halbzeit hatten wir zu viele Ballverluste", sagt Schwarz nach dem Spiel. "Aber in der zweiten Halbzeit haben wir dann auch zu Recht unsere Tore erzielt."
Die Bilanz der Testspiele: Drei Siege, ein Unentschieden und ein Torverhältnis von 19:3. Geschäftsführer Sport Fredi Bobic ist zufrieden. "Da waren viele gute Sachen dabei. Gerade das Umschaltspiel war sehr gut, richtig gute, schöne Tore dabei. Vor allem haben auch unsere Offensivspieler viel getroffen, was sehr wichtig für ihr Selbstvertrauen ist."
Gemeint ist damit besonders Wilfried Kanga. Er ist wohl der Gewinner des Trainingslagers. In der Bundesliga ließ er zahlreiche Großchancen liegen und erzielte nur zwei Tore. Im Trainingslager beweist er: Kanga kann Tore. Im Training traf der bullige Stürmer ständig und in seinen beiden Testspieleinsätzen erzielte er ganze vier Treffer. "Du merkst das Selbstvertrauen, die Brust wird breiter. Er arbeitet, das hat er die letzten Wochen und Monate immer gemacht, aber jetzt kommt eine Selbstverständlichkeit hinzu, was den Abschluss betrifft", sagt Trainer Sandro Schwarz.
Erfreulich ist für Trainer und Geschäftsführer Sport auch, dass es im Trainingslager nur eine einzige Verletzung gibt. Der einsame Unglücksrabe: Chidera Ejuke. Während der Nigerianer in den ersten Tagen noch mit bester Laune und breitem Lächeln über den Platz läuft, steht sein Abgang für das Gegenteil. Im Zuge der ersten Testspiele bekommt Ejuke einen Schlag aufs Knie. Nach Minutenlanger Behandlung muss er verletzt ausgewechselt werden und verlässt fluchend den Platz, zieht sich das Trikot über das Gesicht.
Die Diagnose folgt schon am nächsten Tag: "Es ist ein Schaden am Bandapperat im Knie", sagt Fredi Bobic. "Kein Riss, aber schon ein Schaden, der ihn einige Woche außer Kraft setzt". Ejuke muss vorzeitig wieder zurück nach Berlin reisen. Die Alternativen auf Linksaußen sind Maximilian Mittelstädt, Myziane Maolida und Derry Scherhant. Vermutlich düfte Linksverteidiger Mittelstädt eine Position nach vorne rücken, wenn Kapitän Marvin Plattenhardt wieder zur Mannschaft stößt. Dieser durfte auf Grund seines Impfstatus nicht in die USA einreisen und trainierte derweil mit der U23 in Berlin.
Während des Trainingslagers wurde in verschiedenen Medien auch viel um Fredi Bobic spekuliert. Dieser sei ein heißer Kandidat auf den Posten als Sportdirektor des DFB gewesen. Kurz vor Ende der Zeit in Florida berichtet dann "Sky": Bobic bleibe bei Hertha, da sich der DFB seine Ablösesumme nicht leisten könne. Eine halbe Stunde nach dieser Meldung findet dann mit Herthas Geschäftsführer Sport eine Medienrunde statt.
"Ich habe nichts gehört, auch von Kay Bernstein nicht, dass irgendjemand angerufen hat und gesagt hat: 'Was kostet eine Ablöse?', weil es ja gar kein Thema war", so Bobic. Welche Namen mit dem Posten des Sportdirektors des DFB durch die Medien kursieren, sei nicht sein Thema. "Ich bin happy bei Hertha. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, aber macht total Spaß. Mein Thema ist Hertha."
Viel lieber spricht er Klartext über die sportliche Situation in der sich Hertha aktuell befindet. Die Stimmung sei in der Tat gut, aber der Ernst der Lage allen bewusst. "Für uns ist jedes Spiel ein Endspiel. Das wissen wir ja", sagt Bobic. "Wir wissen, wie brutal die Bundesliga ist. Du musst liefern, du musst punkten." Zwar habe Hertha keine schlechten Fußball gespielt, aber zu oft gab es am Ende keine Punkte. "Es kann auch mal ruhig schlimmer aussehen, von der Art und Weise, wie man Fußball spielt, als dass man jedes mal Lob und Blumen bekommt. Mit Blumen kann man nichts anfangen."
Das erste "Endspiel" steht schon eine Woche nach der Wiederankunft in Berlin an. Am 21. Januar geht es auswärts nach Bochum. Dort gibt es keine Palmen und über 20 Grad werden die Temperaturen wohl auch nicht klettern. Sorgen mache sich Schwarz deswegen aber nicht. "Ich glaube nicht, dass das Klima eine Rolle spielt. Wir haben genug Zeit, uns daran zu gewöhnen."
Und auf die Frage, ob die Mannschaft wieder bereit ist für die Bundesliga, gibt es eine klare Antwort von Schwarz: "Ja. Ich finde wir haben sehr gut und fleißig gearbeitet." Ein wenig Bräune werden viele Spieler sicherlich mitnehmen. Was noch, wird sich dann in Bochum zeigen.
Sendung: rbb24, 13.01.23, 18 Uhr
Beitrag von Philipp Höppner
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