Rückkehr zur Normalität
Nach drei Saisons im Zeichen der Corona-Pandemie können die Profivereine jetzt ihre Tribünen wieder uneingeschränkt füllen. Gerade im Hallensport waren die Zuschauer zu Beginn noch zögerlich. Mittlerweile haben sich die meisten Ligen erholt. Von Lukas Witte
Vor fast drei Jahren begann für viele Berliner Profivereine die wohl schwierigste Zeit ihres Bestehens. Die Corona-Pandemie sorgte auch im Sport für große Einschränkungen. Monatelang mussten die Klubs ihre Türen für die Fans verschließen, spielten in leeren Hallen und Stadien und hatten kaum Kontakt zu ihren Anhängern. "Es ist atmosphärisch furchtbar. Gerade für die Spieler sind Zuschauer das A und O. Das gibt wichtige Impulse, und dafür macht man es eigentlich. Alles andere wirkt dann wie Training", erinnert sich Albas Geschäftsführer Marco Baldi an die Zeit ohne Fans.
Die Pandemie sorgte nicht nur für leere Tribünen, sondern auch leere Kassen. Die fehlenden Zuschauer stellten vor allem die Vereine in den Sportarten abseits des Fußballs vor große Probleme, schließlich sind diese stark auf Ticketverkäufe angewiesen. Beim deutschen Basketball-Meister Alba Berlin macht das Publikum zwischen 35 und 40 Prozent des Gesamtbudgets aus, verrät Baldi. "Und da hängen ja noch andere Einnahmen rund um den Spieltag dran. Es ist also schon ein absoluter Pfeiler. Wenn der wegbricht, hat man ein existenzielles Problem, das man nicht ohne weiteres kompensieren kann." Auch bei den anderen Hallensport-Profiteams der Hauptstadt ist das Ticketing ein entscheidender finanzieller Faktor.
Es brauchte viel Mühe, Geduld und auch finanzielle Unterstützung des Berliner Senats, um die Klubs durch diese schwierige Zeit zu bringen. Doch für die aktuelle Spielzeit heißt es endlich wieder aufatmen. Es ist die erste Saison seit Aufkommen der Pandemie, die völlig ohne Zuschauer-Beschränkungen ausgespielt wird. Eine große Erleichterung für die Mannschaften – oder?
Tatsächlich verlief die Rückkehr der Fans teilweise etwas schleppend. Denn anders als bei der Fußball-Bundesliga, wo die Stadien vom ersten Spieltag an wieder gut gefüllt waren und die sofort wieder auf einem Niveau mit der letzten Saison ohne Einschränkungen (2018/19) lag, haben sich die Hallensportarten nicht sofort wieder erholt. "Am Anfang war noch ein deutliches Zögern zu spüren", sagt Baldi.
Einer der Hauptgründe dafür war wohl die Sorge der Menschen vor einer möglichen Infektion mit dem Virus in geschlossenen Räumen. "Die Gesellschaft ist sehr, sehr vorsichtig geworden. Die Zuschauerinnen und Zuschauer in die Arena zu bekommen, wird sehr schwierig", sagte Thomas Bothstede, Geschäftsführer des deutschen Eishockey-Meisters Eisbären Berlin, zu Saisonbeginn.
Neben dem Infektionsschutz sieht Dr. Christoph Bertling vom Institut für Kommunikations- und Medienforschung an der Deutschen Sporthochschule in Köln aber noch einen weiteren entscheidenden Punkt für die Anlaufschwierigkeiten. "Die Bindung an die Randsportarten ist eine andere als beim Fußball. Die Fanbase und die Anzahl der Menschen, die eine große Bindung dazu haben, sind viel kleiner. Man muss sehr viel mehr investieren, um Gewohnheitseffekte zu bekommen. Mit Corona sind diese Gewohnheiten zerstört und hinterfragt worden. Das trifft die Randsportarten dann einfach stärker", erklärt er.
Das betreffe nicht nur den Sport, sondern auch die Kultur, wie Dr. Sasha Raithel, Professor für Marketing an der Freien Universität Berlin, erläutert. "Die Menschen haben sich während der Pandemie andere Beschäftigungen und Aktivitäten für ihre Freizeit gesucht und an diesen Spaß gefunden. Dann wieder in die alten Muster zurückzukehren, ist relativ schwierig", sagt er. Anders als während der Pandemie, als die Menschen ihr Verhalten gezwungenermaßen hätten verändern müssen, fehle nun der starke Anreiz dafür.
Dabei spielt auch eine Rolle, dass sich die Ligen während der Pandemie stark auf das Ausbauen von digitalen und Übertragungs-Angeboten fokussiert haben, um ihre Fans auch auf der heimischen Couch weiter zu erreichen. Ein Besuch der Halle ist nicht mehr zwingend notwendig, um sein Lieblingsteam spielen zu sehen. Der Kanal "Spontent" überträgt seit der Saison 2021/22 auf der Streaming-Plattform Twitch mehr als 80 Spiele der Volleyball-Bundesliga live. Und auch die Abonnentenzahlen von Magenta-Sport, das Pay-TV-Angebot der Deutschen Telekom, welches die Partien der DEL und BBL zeigt, sind in den letzten Jahren rapide gestiegen.
"Digitalisierung ist Fluch und Segen zugleich. Ein Segen, weil mehr Menschen über die Medien ihre Sportart verfolgen können. Und ein Fluch, weil gerade Randsportarten von den Zuschauern vor Ort abhängig sind und mit diesen mehr Geld verdienen als mit dem Verkauf von Übertragungsrechten", sagt Dr. Bertling.
Doch hat die Pandemie tatsächlich für nachhaltige Veränderungen gesorgt und sind die Hallen auch Anfang 2023 noch nicht wieder gefüllt? Zumindest die Volleyball-Bundesliga scheint noch Schwierigkeiten zu haben. "Über alle Standorte hinweg betrachtet, haben wir bisher noch nicht wieder das Zuschauerniveau der Spielzeiten vor Corona erreicht", sagt Geschäftsführerin Julia Retzlaff. Etwa 20 Prozent liegt die VBL derzeit unter dem Besucherschnitt der Saison 2018/19.
In der DEL war der Zuschauerschnitt in den Jahren vor Corona stetig gestiegen. Von diesen starken Zahlen ist man derzeit allerdings noch ein Stück entfernt. Doch die Entwicklung während der aktuellen Saison sorgt bei den Verantwortlichen für Optimismus. "Wir sind aktuell sehr zufrieden. Gerade die letzten Wochen stimmen uns zuversichtlich, und die Zahlen sind gut. Wir hoffen natürlich, dass die Fans gerade auch zur heißen Phase der Hauptrunde sowie den Playoffs wie gewohnt zahlreich kommen", teilt die DEL auf Nachfrage mit.
Hoffen auf die Playoffs – das teilen sich DEL und VBL. Beide Ligen erleben erfahrungsgemäß in den Endrunden noch einmal einen deutlichen Zuschauerzuwachs, der den Schnitt bis zum Saisonende nach oben korrigieren wird. "Die Playoff-Finalserie in der vergangenen Saison, bei der 8.553 Zuschauer und Zuschauerinnen das entscheidende fünfte Spiel zwischen den BR Volleys und dem VfB Friedrichshafen in der ausverkauften Max-Schmeling-Halle sahen, zeigt, dass die Volleyball-Euphorie in den Hallen wieder da ist und es uns teilweise schon sehr gut gelingt, die Fans in die Hallen zurückzuholen", erklärt VBL-Chefin Retzlaff.
Beim Handball liegt der Zuschauerschnitt hingegen jetzt schon fast auf einem Niveau mit 2018/19. "Das hängt mit der Attraktivität unserer Bundesliga zusammen, aber auch mit einer ausgeprägten Fantreue und -nähe, die den Handball auszeichnet", sagt HBL-Geschäftsleiter Oliver Lücke. Davon profitieren auch die Füchse, die durch ihren aktuellen sportlichen Erfolg zusätzliche Anziehungskraft auf ihre Fans haben und die Max-Schmeling-Halle schnell wieder regelmäßig füllten.
Ähnlich sieht das auch beim Basketball aus. Nur etwa sechs Prozent liegt der Besucherschnitt unter dem von 2018/19. "Im Einzelnen ist die Zuschauersituation vor Ort natürlich standortabhängig, aber über die gesamte Liga gesehen sind wir - nach etwas zögerlichem Start zu Saisonbeginn - mittlerweile praktisch wieder auf dem Vor-Corona-Niveau angekommen", sagt BBL-Geschäftsführer Dr. Stefan Holz.
Schon vor dem Beginn der Zwischen- und Endrunden sind die vier Hallensport-Profiligen also wieder auf einem guten Weg und haben sich teilweise schon wieder völlig von der Pandemie erholt. "Corona hat in dieser Saison keine schwerwiegenden Folgen hinterlassen", zieht Alba-Geschäftsführer Baldi Bilanz. Eine bemerkenswerte Entwicklung, wenn man bedenkt, dass nach der Pandemie direkt die nächsten Krisen auf die Vereine gewartet haben. Doch trotz gestiegener Energiepreise und hoher Inflation sind die Menschen zurück in die Hallen gekommen.
Damit das so bleibt, organisiert die Basketball-Bundesliga alle sechs Wochen digitale Meetings zwischen den Vereinsverantwortlichen. "Dort werden sehr offen Best Practices diskutiert, unter anderem auch zu neuen, zeitgemäßen Ticketing-Produkten wie beispielsweise Zehner-Karten oder flexiblen Abo-Modellen, die die Menschen mittlerweile aus anderen Lebensbereichen gewohnt sind", erzählt BBL-Geschäftsführer Holz.
Die Fans sind also zurück und bescheren den Teams die so wichtigen Einnahmen durch Ticketverkäufe. Und bei Alba freut man sich nach der Pandemie sogar über zusätzliche Zuschauer. Das Frauen-Team lockt in seiner Premierensaison in der 1. Bundesliga jede Menge Fans in die Sömmeringhalle nach Charlottenburg. "Dass das so angenommen wurde, ist fantastisch. Wenn man sich die Zahlen im Frauen-Hallensport anguckt, sind die über 1.000 Zuschauer im Schnitt in einer Stadt wie Berlin wirklich außergewöhnlich. Das macht einen glücklich."
Beitrag von Lukas Witte
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