Union nach Remis bei Ajax
Der 1. FC Union spielte in Amsterdam eines der größten Spiele seiner Vereinsgeschichte. Die Eisernen müssen sich selbst vor den bekanntesten Gegnern nicht fürchten. Das sagen die Spieler klarer als die Fans und der Trainer. Von Till Oppermann
Wer Union Berlin 2005 in der Oberliga gegen Eberswalde gesehen hat, müsste sich seit Jahren im falschen Film fühlen. Aber die Auslosung der Europa League hat es ergeben: Die Köpenicker durften auswärts in Amsterdam spielen. Entsprechend ungläubig reagierten die 2.700 Gästefans darauf, dass die Eisernen von Beginn an das Spiel machten. Nur einer ahnte es, Trainer Urs Fischer. Der Schweizer wusste schon vor dem Match, dass Union in diesem Spiel aktiv werden muss: "Ich glaube nicht, dass 25 Prozent Ballbesitz reichen werden," sagte er. Und fügte an: "Ich glaube, dass wir uns zutrauen müssen, unter Druck Lösungen mit dem Ball zu finden."
Zugegeben, nach einer Druckphase in den ersten zehn Minuten zogen sich die Unioner zurück. Dann spielte erstmal Ajax, doch zu Torchancen kamen die Niederländer nicht. Das sollte das gesamte Spiel so bleiben: Nach 90 Minuten stand der Rekordmeister bei null Torschüssen. "Das hat die Mannschaft toll gemacht", man habe nichts zugelassen, lobte Fischer. Und doch war er nicht zufrieden. Seine Mannschaft hätte ein Tor erzielen müssen, fügte der Schweizer an. Und das meinte nicht nur er: "Wir hatten unsere Chancen, ich glaube wir hatten vier und sie höchstens eine", haderte Innenverteidiger Danilho Doekhi. Union habe das Mittelfeld dominiert. Am Ende reichten den Eisernen 34 Prozent Ballbesitz, um das Spiel zu bestimmen.
Trotz der 66 Prozent Ballbesitz für Ajax, waren die Verteidiger der Gastgeber deutlich mehr gefordert. 39 Mal versuchten sie den Ball zu klären, Union setzte nur 27 Mal zum Befreiungsschlag an. Weil die zweiten Bälle in der Zentrale mit der Körperlichkeit des Mittelfeldduos Aissa Laidouni und Morten Thorsby in der Regel von Union gewonnen wurden. Auch ohne eine hohe Prozentzahl in Ballbesitz erspielten sich die Eisernen die Feldüberlegenheit. In einem der größten Spiele der Vereinsgeschichte gegen einen der erfolgreichsten Vereine Europas war Union das bessere Team. Ajax ist ein Mythos, einer der bekanntesten Vereine der Welt, aber Fußballspiele finden in der Gegenwart statt und derzeit ist der 1. FC Union eine der stärksten Mannschaften der Bundesliga.
Nur deswegen konnte Union mit Josip Juranovic im Winter einen der besten Rechtsverteidiger der vergangenen Weltmeisterschaft verpflichten. Kein Wunder, dass gerade er sich nach dem Spiel gegen Ajax über das Unentschieden ärgerte und sagte: "Wir können gegen jeden bestehen." Als Beispiel fügte er den 2:1-Auswärtssieg in Leipzig an. Im Topspiel der Bundesliga erspielte sich der 1. FC Union wichtige Punkte im Kampf um die Champions League. Für Juranovic ist das wohl selbstverständlich, immerhin gewann er bei jeder seiner Profistationen die Meisterschaft. Sein Coach Fischer und alle anderen Vereinsoffiziellen von Union werden zwar nicht müde zu betonen, wie besonders die Bundesligazugehörigkeit für Union sei. Aber wer in diesem Frühjahr wirklich wissen will, wo Union steht, muss den Spielern zuhören.
"Wir haben das Selbstbewusstsein", meint Juranovic. Und in diesem Selbstbewusstsein ist ein 0:0 bei Ajax Amsterdam nichts, was die Mannschaft zufrieden stellen könnte. Nach und nach verpflichtet Manager Oliver Ruhnert Spieler, die schon auf höchstem Niveau gezeigt haben, dass sie mithalten können. Sie bringen einen neuen Spirit an die Alte Försterei. Nur das Beste ist gut genug und nichts ist unvorstellbar. Auch kein Sieg bei Ajax Amsterdam. Weil es den nicht gab, wird das Rückspiel zum Endspiel und das wäre nicht nötig gewesen.
Nicht umsonst betonte Fischer im Vorfeld: "Am Schluss geht es darum, effizient zu sein." Genau das gelang Union nicht. Morten Thorsby hatte die besten Chancen der Hauptstädter, aber scheiterte einmal mit einem Flugball aus der Nahdistanz und ein anderes Mal am VAR. Das vermeintliche 1:0 wurde nach einem Handspiel zurückgepfiffen. Wenn Union im Rückspiel in einer Woche etwas besser machen kann, dann nur die Sachen, die schon gut waren: Zweikämpfe gewinnen, Abschlüsse erspielen. Sollte die Defensive um Doekhi, Robin Knoche und Diogo Leite genauso gut stehen wie in Amsterdam, muss man sich zumindest über Ajax' Offensivspiel keine Sorgen machen. Und genau das ist der Film, den die Fischer-Elf aktuell Woche für Woche dreht.
Sendung: rbb24, 17.02.23, 16 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
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