Analyse zum Sieg gegen Augsburg
Mit dem 2:0 über den FC Augsburg ist Hertha BSC ein äußerst bedeutsamer Sieg gelungen. Die Berliner zeigten am Samstag zwar keine Glanzvorstellung, bewiesen jedoch wieder ihre womöglich größte Stärke: den Umgang mit Druckspielen. Von Marc Schwitzky
"Typisch Hertha", heißt es oftmals, wenn der Verein aus Berlin-Westend einmal mehr ein Spiel in den Sand setzt. Eine vielversprechende Ausgangslage nicht nutzen, dusselig in Rückstand geraten, Punkte in letzter Minute unbedarft herschenken – alles "typisch Hertha", als würden die Berliner Pleiten, Pech und Pannen magisch anziehen.
Doch da gibt es noch eine weitere, etwas verborgene Eigenschaft, die "typisch Hertha" ist: die Fähigkeit, in absoluten Druckspielen das so dringend benötigte Ergebnis zu erzielen. Jene Stärke zieht sich bereits durch die vergangenen, vom Abstiegskampf geplagten Jahre. In der Spielzeit 2020/21 gewann die "alte Dame" unter Retter Pal Dardai stets die Begegnungen, in denen Hertha aufgrund der Saisondynamik dazu gezwungen war, ein Lebenszeichen von sich zu geben.
Und auch 2021/22 gelang die Mission unter Felix Magath dadurch, dass in den größten Muss-Spielen eminent wichtige Siege errungen wurden – mit dem Rückspielsieg in der Relegation in Hamburg als dramaturgischem Höhepunkt.
Auch unter Sandro Schwarz zeigen die Blau-Weißen, wie gefährlich ein in die Ecke gedrängter Boxer sein kann. Die "Druckspiele", wie Herthas Trainer sie nennt, haben die Berliner eigentlich allesamt für sich entschieden: das Hinspiel in Augsburg, die Heimspiele gegen Schalke, Köln und zuletzt Mönchengladbach – und am Samstagnachmittag auch das Rückspiel gegen den FCA.
Trotz der Ausgangslage warf Hertha gegen den FC Augsburg mit dem Anpfiff nicht übermütig alles nach vorne. Die Berliner Hausherren begannen gegen Augsburg sehr besonnen, die erste Halbzeit diente vor allem dazu, Sicherheit zu gewinnen und sich mit dem Gegner abzutasten. Schließlich ist es gegen kaum einen anderen Bundesligisten so schwer, einen Rückstand aufzuholen, wie gegen die so defensiv- wie kampfstarken Fuggerstädter. So entwickelte sich ein äußerst tempoarmes Spiel, in dem keine der beiden Mannschaften entscheidende Akzente setzen konnte.
Zugegeben, die erste Halbzeit hatte eine nahezu einschläfernde Wirkung. Das lag daran, dass beide Teams gegen den Ball vorbildlich eingestellt waren. Hertha und Augsburg beraubten sich gegenseitig ihrer gefährlichsten Offensivmittel. Während die Blau-Weißen Augsburgs lange Schläge und darauffolgend auch die zweiten Bälle äußerst diszipliniert verteidigten, verstanden es die Gäste gut, Hertha nicht in die geliebten Umschaltmomente zu lassen. Die Zweikämpfe wurden zwar durchweg intensiv geführt, führten jedoch jeweils zu keinerlei Raumgewinn.
So fiel beiden Mannschaften im Spiel nach vorne nur wenig ein, sie neutralisierten sich vollständig. Positiv ist jedoch festzuhalten, wie sicher Hertha nach nur wenigen Spielen im neuen System agiert. Im 3-5-2 ließen die Berliner defensiv erneut kaum etwas zu, die Abstimmung der Abwehrspieler funktionierte hervorragend – daran änderten auch der kurzfristige Ausfall von Marton Dardai und der spätere von Marc Oliver Kempf nichts. Die neugewonnene Souveränität im Abwehrverbund ist ein entscheidender Unterschied zu den ersten Partien des neuen Jahres, in den Hertha stets einem Rückstand hinterherlief und teilweise auseinanderbrach.
Anders ausgedrückt: Um ein Spiel zu gewinnen, ist es ratsam, gar nicht erst in Rückstand zu geraten. Das gelang Hertha in den ersten 45 Minuten, mit 0:0 ging es in die Halbzeitpause. Zum Wiederanpfiff brachte Schwarz Dodi Lukebakio in die Partie, der ihr mit seinem Tempo und Spielwitz eine neue Note verlieh. Der Belgier und das Wetter hatten wohl einen entscheidenden Einfluss auf den weiteren Spielverlauf. Mit dem stärker werdenden Schneefall im zugigen Olympiastadion wurde auch die Begegnung etwas offener und schneller.
In der 61. Minute fasste sich Marco Richter ob des für Torhüter unangenehmen Wetters ein Herz. Augsburg klärte einen Freistoß von Marvin Plattenhardt vor die Füße des Flügelspielers, der aus der Distanz einfach mal draufhielt. FCA-Schlussmann Rafal Gikiewcz sah dessen Schuss spät und konnte das 1:0 nicht mehr verhindern. "Ich bin ein Typ, der ab und zu von weiter weg schießt – mit der Innenseite bekomme ich dann manchmal einen guten Flatterball hin, das Schneegestöber hat sein Übriges dazu getan", erklärte Richter, der schon im Hinspiel gegen seinen Ex-Klub getroffen hatte.
Es war ein Treffer aus dem Nichts, der Hertha den Komfort schenkte, nun aus einer eher lauernden Position das geübte Umschaltspiel zu praktizieren. Es war jedoch erneut der ruhende Ball, der das 2:0 (70. Minute) einleitete. Ein weiter Freistoß aus der eigenen Hälfte von Agustin Rogel rutschte durch Freund und Feind, fand Lukebakio, der frei vor Gikiewcz einschieben durfte. Der Angreifer nutzte Augsburgs unerklärliches Abwehrverhalten eiskalt. Da Hertha im Anschluss nichts mehr anbrennen ließ, wurde der 2:0-Sieg recht ungefährdet über die Zeit gebracht.
Offensiv unheimlich effizient, gegen den Ball exzellent organisiert und im Abwehrverbund über 90 Minuten abgebrüht – Herthas Sieg über den FC Augsburg fühlte sich schon beinahe Union-esk an. Zwar mag die B-Note am Samstag gelitten haben, im ergebnisorientierten Abstiegskampf hat sie aber bekanntlich kaum einen Wert. Viel zu oft musste Hertha sich in der Hinrunde nach Niederlagen damit vertrösten, eigentlich ja gut gespielt zu haben.
Einmal am Tiefpunkt – vier Niederlagen in Serie zum Jahresbeginn – angekommen, scheint sich bei Hertha nun einiges zu drehen. Mit der Systemumstellung hat die Mannschaft neue Sicherheit erlangt, sie wirkt seit der zweiten Halbzeit in Frankfurt deutlich gefestigter und widerstandsfähiger. "Unter der Woche habe ich gepredigt, dass das Spiel hart wird, der FCA ist gegen den Ball sehr unangenehm", so Ex-Augsburger Florian Niederlechner. "Wir haben die Situation angenommen, sind füreinander gelaufen und haben füreinander gefightet – nur so geht es im Abstiegskampf."
In dieser Form ist die "alte Dame" eindeutig konkurrenzfähig, doch Tolga Cigerci hält treffend fest: "Darauf können wir uns jetzt aber nicht ausruhen, sondern müssen weiter so arbeiten und punkten." Denn es ist auch Hertha selbst, das sich durch ausbleibende Ergebnisse in Kann-Spielen immer wieder in die Situation für Pflichtsiege bringt. Es wird nun die Aufgabe sein, es gar nicht erst auf Muss-Spiele ankommen zu lassen – denn irgendwann wird diese Rechnung nicht mehr aufgehen, und dann wird sie sehr teuer werden.
Sendung: rbb24, 25.02.2023, 21:45 Uhr
Beitrag von Marc Schwitzky
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