Fünf Siege in Folge und prominente Neuzugänge
Die VSG Altglienicke ist mit einem Remis und zuletzt fünf Siegen in Folge nahezu perfekt aus der Winterpause gekommen. Die Serie hat den Klub mitten ins Meisterschaftsrennen gespült - auch dank zwei prominenter Zugänge. Von Marc Schwitzky
"Ich hatte mir vorher mit Absicht nichts angeschaut, um unvoreingenommen an die Sache heranzugehen. Als ich dann ankam, war ich doch kurz geschockt", muss Philip Türpitz etwas schmunzelnd feststellen. Der 31-Jährige ist im Januar zur VSG Altglienicke gewechselt, nachdem er viele Jahre in der dritten und sogar zweiten Liga gespielt hatte. Die Regionalliga Nordost – ein anderes Pflaster. "Es hat aber auch seinen Charme: So haben wir alle mal angefangen. Wir brauchen einen Ball und einen Platz – das ist alles gegeben", sagt der Offensivspieler über die Bedingungen in Berlin.
Türpitz hat ein bewegtes Jahr hinter sich. 2021 schließt er sich dem ambitionierten Drittligisten Türkgücü München an, der jedoch wenig später Insolvenz anmelden muss. Plötzlich stehen Türpitz und seine Mannschaftskollegen vor dem Nichts. Der Mittelfeldspieler ist ein halbes Jahr vereinslos, ehe er bei Altglienicke unterschreibt. Mit ihm kommt auch Innenverteidiger Steffen Schäfer, immerhin drittligaerfahren und mit 28 Einsätzen für VVV Venlo in der niederländischen ersten Liga gewappnet. Es sind zwei Transfers, die durchaus die Ambitionen widerspiegeln, die die VSG Altglienicke in der laufenden Saison hat. Denn nach 21 Spielen klopft der Klub ganz oben in der Tabelle an.
Doch der Reihe nach. Die Saison der VSG beginnt hervorragend, nach sechs Spielen hat sie bereits 14 Punkte auf dem Konto. Doch danach folgt der plötzliche Einbruch, bis zur Winterpause holt Altglienicke nur noch neun Zähler in neun Partien. Die Konstanz wird trotz ordentlicher Leistungen schmerzlich vermisst. "Wir haben jedem Gegner – und damit meine ich wirklich jeden Gegner – zu viele Möglichkeiten gegeben. Es waren teilweise individuelle Fehler, aber auch mannschaftstaktische Dinge, in denen der letzte Fleiß gefehlt hat", nennt Trainer Karsten Heine das Defensiverhalten als Hauptproblem.
"Zudem: Wenn eine Mannschaft in dieser brutal ausgeglichenen Liga nicht jeden Gegner ernst nimmt, kann es immer wieder böse Überraschungen geben. Das ist uns in der Hinrunde sehr oft passiert." Heine muss es wissen, er kennt die Regionalliga Nordost in- und auswendig. Seit 2019 trainiert der 67-Jährige Altglienicke. Für den Saisonwiederbeginn im neuen Jahr 2023 fordert der gebürtige Berliner daher vor allem eins von seinen Spielern: die nötige Portion Konsequenz – sowohl im Nutzen von Chancen als auch im Defensivverhalten.
Die Abwehrschwäche der Hinrunde rührt auch von personellen Problemen. Altglienicke muss viele Ausfälle gleichzeitig beklagen. "Wir hatten absoluten Handlungsbedarf", so Heine. Mit Schäfer will man diese Lücke stopfen und gleichzeitig die Gesamtqualität des Kaders erhöhen. Der Abwehrspieler und Türpitz können von außen durchaus als sportliche Ausrufezeichen gesehen werden, doch Heine dämpft die Erwartungshaltung. "Diese Dinge funktionieren nicht automatisch. Beide Spieler haben natürlich eine interessante Vita, vor allem für Regionalligaverhältnisse. Auf der anderen Seite sind es Spieler, die sehr lange keine Spielpraxis hatten. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass Spieler, die höher gespielt haben und in die nächstuntere Liga wechseln, nicht automatisch eine Bereicherung sind", so der Übungsleiter.
Heine erklärt: "Es spielen viele Faktoren mit rein, es sind nicht die gleichen Bedingungen. Ich habe viele Spieler erlebt, die die Liga unterschätzen und unter ferner liefen geblieben sind. Wir haben nicht nach Namen gesucht, sondern danach, wer zu uns passt und was möglich ist." Und doch gibt er zu, dass die beiden Neuverpflichtungen untermauern, dass sich Altglienicke nicht mit der Hinrundenausbeute zufrieden gibt: "Wir haben nicht das Ziel aus den Augen verloren, zumindest alles dafür zu tun, nicht im Ligamittelfeld herumzudümpeln, da das nicht sonderlich reizvoll ist. Wir wollten oben dranbleiben."
Türpitz hat mit zwei Torbeteiligungen in seinen ersten drei Einsätzen für Altglienicke direkt seine Qualität bewiesen. Er und Heine kennen sich aus einer gemeinsamen Zeit in Chemnitz. "Den könnte man auch in die Kreisliga schicken und er würde alles geben. Er ist unglaublich akribisch und hat einen enormen Erfahrungsschatz. Er ist technisch versiert, hat einen super Abschluss und hilft unserer ohnehin schon guten Offensive weiter." Türpitz zeigt sich motiviert: "Ich will allen zeigen, was ich noch kann."
Doch auch unabhängig von den Neuzugängen ist seit Jahresbeginn ein verändertes Altglienicke zu sehen. Mit einem Unentschieden und fünf Siegen in Folge ist die Mannschaft herausragend aus der Pause gekommen. Alle Dreier wurden gegentorlos eingefahren, sogar gegen Rot-Weiß Erfurt und Energie Cottbus. Heine sieht nun die nötige Ernsthaftigkeit im Spiel seiner Mannschaft. "Wir haben endlich begriffen, dass es nur so geht, wie wir aktuell spielen; dass wirklich jeder bereit ist, durchgängig seinen defensiven Beitrag zu leisten." Auch die Systemumstellung auf das 5-4-1 ist zuträglich, "die Mannschaft fühlt sich sehr wohl."
Nach 21 Spielen – Altglienicke muss noch ein Nachholspiel austragen – steht der Klub aus Treptow-Köpenick auf Rang vier. Die Siegesserie hat die VSG schlagartig in das so enge Meisterschaftsrennen katapultiert, nur fünf Punkte trennen sie von der Tabellenspitze. "Sportlich sind wir auf einem sehr guten Niveau. Wir möchten das Maximale herausholen und so lange wie möglich oben dabei sein – das sollte der Anspruch sein", zeigt sich Türpitz ambitioniert.
Auch Trainer Heine kann sich nicht wehren, im Windschatten der Topklubs auf die Überraschung zu schielen. "Wir wollen die Liga für uns interessant machen, und interessant ist sie, wenn wir Tuchfühlung nach oben haben und wir weiter so konstant unseren Leistungen zeigen. Wir wollen den Mannschaften, die vor uns stehen, Stress bereiten", sagt er - auch wenn Erfurt und Cottbus für ihn die Favoriten auf die Meisterschaft bleiben.
Heine wagt die Prognose, "dass die Entscheidung erst am letzten Spieltag fallen wird". Der erfahrene Trainerfuchs stellt auch in Aussicht: "Das Interessante ist: Unser letztes Spiel ist zu Hause gegen Erfurt." Altglienicke hat also klammheimlich die Sensation im Auge.
Sendung: rbb24, 01.03.2023, 18 Uhr
Beitrag von Marc Schwitzky
Artikel im mobilen Angebot lesen