Tolga Cigerci im Porträt
Erst seit knapp einem Monat bei Fußball-Bundesligist Hertha BSC, aber schon jetzt ein Fixpunkt im Mittelfeld der Blau-Weißen: Tolga Cigerci. Der türkische Nationalspieler bringt die Tugenden mit, die Hertha lange gefehlt haben.
Es gibt eine Szene im Spiel gegen den FC Augsburg, die mag vielen Zuschauern im Olympiastadion kaum eine Bemerkung wert gewesen sein, doch sie verdeutlicht, welchen Unterschied Tolga Cigerci für die Hertha macht: Zu Beginn der ersten Halbzeit pflückt Torwart Oliver Christensen eine Flanke herunter. Die Körpersprache des Keepers lässt im Anschluss vermuten, dass er erstmal Ruhe ins Spiel bringen möchte. Am Strafraum steht aber ein Herthaner, der das anders sieht, der unablässig gestikulierend den Ball fordert, obwohl er von einem gegnerischen Spieler flankiert wird.
Christensen zögert, wirft dann aber doch den Ball zu Tolga Cigerci. Der lässt mit einer kurzen Körpertäuschung den Gegner ins Leere laufen, hebt den Kopf und spielt direkt einen Steilpass in die Spitze auf Jessic Ngankam. Auch wenn der Stürmer den Ball knapp verpasst und ein Fehlpass aus der Aktion resultiert, verdeutlicht die Szene doch, wie sehr Cigerci nicht nur der Fixpunkt von Herthas Aufbauspiel geworden ist, sondern wie er auch eine Führungsrolle eingenommen hat – und das nach gerade einmal einem Monat im Verein.
"Ich habe versucht, der Mannschaft so schnell wie möglich zu helfen", sagt Cigerci am Rande einer Medienrunde am Dienstagnachmittag auf dem Hertha-Gelände. "Darauf konzentriere ich mich am Ende." Vier Bundesligaspiele hat der 30-jährige Cigerci nach seinem Wechsel von Ankaragücü bislang bestritten, bei dreien stand er mehr als 75 Minuten auf dem Platz, zwei Partien davon (gegen Gladbach und Augsburg) konnte Hertha gewinnen.
Sein Trainer Sandro Schwarz sieht Cigerci als absoluten Gewinn für seine Mannschaft. "Er ist ein Spieler mit einem sehr hohen Verantwortungsbewusstsein", sagte Schwarz bereits Mitte Februar. Bei Cigerci äußert sich das in seiner aktiven, lauten Art, den Ball zu fordern. Läuft eine Aktion nicht wie gewünscht, möchte er sofort korrigieren und zeigt seinen Mitspielern an, welche Räume sie künftig besetzen sollen. "Jeder hat seinen eigenen Charakter in der Truppe. Jeder versucht zu reden und zu helfen, das habe ich auch gespürt. Ich habe versucht, ein bisschen mehr zu geben und ich glaube, das hat gut funktioniert", erklärt Cigerci seine Rolle in der Mannschaft.
Neben seinen kommunikativen Fähigkeiten verfügt der türkische Nationalspieler auch über eine ausgeprägte Ballsicherheit und Zweikampfstärke, die ihn zu einer Art alleinigem Abfangnetz im neuen 3-5-2-System von Sandro Schwarz macht. Cigerci ist schon jetzt der Leader im defensiven Mittelfeld, der Hertha so lange gefehlt hat. "Ich denke, dass ich erfahrener bin, die Situationen besser löse als früher. Mit dem Alter lernt man dazu, in vielen Situationen ruhig zu bleiben und manchmal aber auch schneller zu spielen", so Cigerci.
Ruhig, wenn es sein muss. Schnell und zielstrebig, wenn es die Situation verlangt. So agierte Tolga Cigerci zusammen mit seinen beiden Nebenleuten Luca Tousart und Suat Serdar zuletzt in Herthas Zentrum. "Wir haben eine gute Kommunikation. Luca und ich sind die, die dazwischen gehen und Suat ist einer, der mit seiner Technik die Bälle gut halten kann", fasst Cigerci die Vorzüge des Trios zusammen und macht keinen Hehl daraus, dass er sich diese Konstellation auch in den kommenden Spielen vorstellen kann, wobei am Ende natürlich Sandro Schwarz entscheide.
Dabei war der 30-Jährige, der zwischen 2013 und 2016 bereits 45 Pflichtspiele für die Hertha bestritten hatte, mit 350.000 Euro Ablöse (ohne Bonuszahlungen) ein wahres Schnäppchen und der erste Transfer, den Herthas neuer Sportdirektor Benjamin Weber einfädeln konnte. Schon jetzt lässt sich sagen: Cigerci hat eingeschlagen. Ein Prädikat, das man in der eineinhalb Jahren von Fredi Bobic als Geschäftsführer Sport, bei Transfers unter seiner Federführung wahrhaft selten benutzen konnte.
Dass der Mentalitätsspieler Cigerci noch ein äußerst wichtiger Faktor werden kann, ist in dieser abermals schwierigen Hertha-Saison schon jetzt absehbar. Seine positive Art steckt an. Er stellt immer die Mannschaft in den Vordergrund und betont, dass er "viel positive Energie" im Verein spüre. Seine Erfahrung, unter anderem bei türkischen Top-Klubs wie Galatasaray und Fenerbahce, haben ihn zudem als Führungsspieler reifen lassen. "Vielleicht stecke ich die Leute auch an. Ich versuche, positiv zu sein und viel mit den Spielern zu reden", sagt er. Drucksituationen kennt er aus der Türkei zu Genüge, wo Vereinsfunktionäre, aber auch die Medienlandschaft wesentlich unerbittlicher sind als hierzulande.
Dass Cigerci dieses Feuer von Beginn an in Herthas Mittelfeld entfachen konnte und auch sofort die Akzeptanz von Team, Trainer und Fans zu spüren bekommt, kommt nicht von ungefähr. Cigerci ist Berlin und der Hertha trotz seiner sechseinhalb Jahre in der Türkei auch spürbar verbunden geblieben. "Man freut sich, dass man wieder zurück ist, überall alte, bekannte Gesichter und die Familie ist da."
Mit Familie meint er besonders seinen Bruder Tolcay Cigerci, der in der Regionalliga Nordost für die VSG Altgliniecke spielt. "Wir sind oft zusammen. Aber ich will ihn nicht zu oft nerven, denn der Junge ist schließlich verheiratet. Aber die Tür für ihn ist immer offen."
In Herthas Mittelfeld sollten die gegnerischen Offensivspieler, wenn es nach Cigerci und den Hertha-Fans geht, dagegen kaum noch offene Türen einrennen.
Sendung: rbb24, 01.03.2023, 21:45 Uhr
Beitrag von Fabian Friedmann
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