Vor dem Saison-Endspurt
Der Sieg gegen Frankfurt zeigt auf, was Union braucht, um sich in den Champions-League-Rängen zu halten. Besseres Kombinationsspiel und Stürmertore könnten den herausragenden Torwart und die psychische Fitness ergänzen. Von Till Oppermann
Ein besseres Kompliment hätte Frankfurt-Trainer Oliver Glasner dem 1. FC Union nicht machen können: "Das hat gar nichts mit Fußball zu tun", schimpfte er nach der Niederlage seines Teams im Stadion An der Alten Försterei über das Tor von Kevin Behrens, der den 2:0-Endstand erzielte. Union habe gezeigt, wie man gewinnen könne, auch ohne eine Torchance herauszuspielen, sagte Glasner. Und überhaupt seien seine Frankfurter das bessere Team gewesen.
Diese Worte zeigen, dass Urs Fischers Team, drei Tage nachdem Union höchst un-unionig als heillos unterlegene Mannschaft aus der Europa League geflogen war, zurück zu seinen Stärken gefunden hat. So werden die Berliner auch in den kommenden Wochen nicht einbrechen.
Gegen Frankfurt hat Union ein Spiel gewonnen, das die Mannschaft so ähnlich schon häufig in dieser Saison gespielt hat. Mit wenig Ballbesitz und den schlechteren Chancen, aber Effizienz und hoher Laufleistung und Intensität. Natürlich habe man hier und da ein wenig Spielglück gehabt, räumte Fischer ein, "aber auch das muss man sich erarbeiten".
Damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Nach dem enttäuschenden 0:3 in Brüssel und den kräftezehrenden englischen Wochen war der Sieg nicht selbstverständlich, aber die Spieler gingen einmal mehr bis an ihre körperlichen Grenzen und darüber hinaus. Das ist nur mit einer besonderen Mentalität möglich, aber noch viel mehr - und das sollte man nicht unterschätzen - Ergebnis der psychischen Fitness der Mannschaft. Im Kopf ist die laufstärkste Mannschaft der Liga mindestens ebenso gut trainiert wie in den Beinen. Union kann weiterhin mit Rückschlägen umgehen - eine wichtige Qualität im Kampf um die Champions League.
Trotzdem sollte niemand bei Union den Sieg gegen den direkten Konkurrenten Frankfurt zu hoch hängen. Schließlich ließ die Abwehr mehrere klare Chancen zu. Lange war es in dieser Saison kaum möglich, gegen Union überhaupt gefährlich zum Abschluss zu kommen. Die kompakten Köpenicker drängten ihre Gegner erst auf die Flügel und verteidigten die dann folgenden Flanken mit ihren drei großen Innenverteidigern meist relativ locker.
In den vergangenen Wochen hat sich das etwas gedreht: Insbesondere Fehlpässe im Spielaufbau luden Gegner immer wieder zu Chancen ein. Frankfurt war dann am Sonntag gar nicht auf solche individuellen Patzer angewiesen. Die Offensive um Randal Kolo Muani und Daichi Kamada kam reihenweise frei zum Abschluss, weil die Verteidiger nicht rechtzeitig klärten oder zu weit wegstanden. Rani Khedira sprach später von "ein wenig Matchglück". Darauf können er und seine Kollegen sich aber nicht immer verlassen. In den nächsten Wochen sollte die Abwehr wieder zu ihrer üblichen Stärke finden, um Spiele zu gewinnen.
Khedira und Fischer waren sich nach der Partie gegen Frankfurt einig. Beide sagten wörtlich: "Wir hatten einen super Torwart". Frederik Rönnow rettete mehrfach in letzter Not. Und nicht erst seit dem Wochenende kann sich der 1. FC Union auf den Dänen verlassen. Von allen Keepern, die mehr als zehn Spiele absolviert haben, hat Rönnow mit 80,5 Prozent die mit Abstand beste Paradenquote der Liga. Mit nur 17 Gegentoren und acht zu Null-Spielen bewegt er sich ebenfalls in der Spitzengruppe der Liga.
Dass Union im Vergleich zu Mannschaften wie Leipzig, Dortmund, München oder Frankfurt individuell schwächer besetzt ist, würde wohl niemand anzweifeln. Wenn aber ein Spieler davon ausgenommen ist, dann Frederik Rönnow. Vielleicht ist er aktuell sogar der beste Spieler auf seiner Position in der Bundesliga. Champions-League-Fußball hätte er sich für seine Leistungen jedenfalls ganz sicher verdient.
Damit das sicher klappt, sind in den neun verbleibenden Spielen insbesondere auch die Angreifer gefragt. Jordan Siebatcheu und Sheraldo Becker - das Traumduo der ersten Saison-Wochen - scheinen ihren Torriecher verloren zu haben.
Zwar ist Becker mit sieben Toren immer noch der beste Torschütze der Mannschaft, aber er wartet mittlerweile seit November auf seinen achten Erfolg. Gegen Frankfurt traf der Nationalspieler Surinams immerhin mal das Tor, wurde aber wegen Abseits zurückgepfiffen. Kevin Behrens hatte mehr Glück und erzielte sein fünftes Saisontor. "Ich bin froh, dass ich den Ball gut getroffen habe", sagte er nach dem Spiel. Nachdem das seit Weihnachten eher den Abwehr- und Mittelfeldspielern gelang, kommt die neue Zielgenauigkeit der Angreifer wie gerufen.
Behrens, Becker und die anderen Stürmer sind aber auch auf die Zuarbeit ihrer Hintermänner angewiesen. Nur 70 Prozent Passquote gegen Frankfurt und 77 Prozent im Saisonschnitt sind zu wenig. Oft fehlen den Eisernen im eigenen Ballbesitz die Ideen und die Genauigkeit.
In dieser Hinsicht könnte sich das Aus in der Europa League als Glücksfall erweisen. Durch die ständigen Reisen und den eng getakteten Spielplan blieb kaum Zeit, um im Training auch inhaltlich unabhängig vom nächsten Gegner zu arbeiten. Winterneuzugang Aissa Laidouni kam nach dem Trainingslager und hat deshalb bisher kaum mit der Mannschaft trainiert. Gerade dem kreativen Mittelfeldspieler wird das Training guttun und vielleicht verschafft es Union genau rechtzeitig für den Endspurt in der Liga neue Ideen mit dem Ball. Die Champions League ist auch mit dem aktuellen Stil möglich, aber dann würden sogar Oliver Glasner die Gegenargumente ausgehen.
Sendung: rbb24, 21.03.2023, 18 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
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