Nach der Niederlage gegen Bremen muss Turbine Potsdam die Hoffnung auf den Klassenerhalt wohl endgültig begraben. Für Neu-Trainer Marco Gebhardt ist damit das Saisonziel quasi schon passé. Nun geht es um Weichenstellungen. Von Marc Schwitzky
Am Tag seines offiziellen Amtsantritts sitzt Marco Gebhardt bereits auf der Trainerbank von Turbine Potsdam. Der 50-Jährige nimmt vielmehr eine Beobachterrolle ein als aktiv auf das Spiel einzuwirken. Er und das Team kennen sich schließlich noch nicht - es gab noch keine gemeinsame Trainingseinheit. Gebhardt muss miterleben, wie Turbine das so entscheidende Spiel gegen Werder Bremen mit 1:2 verliert. Es ist die zehnte Niederlage in Serie, nach zwölf Spieltagen steht Potsdam gänzlich abgeschlagen mit nur einem Punkt auf dem letzten Tabellenplatz der Frauen-Bundesliga.
Bremen sollte der Beginn der Potsdamer Kehrtwende sein. Die Werderanerinnen sind vor dem Spieltag nur sechs Punkte entfernt, damit direkte Konkurrentinnen. Mit einem Sieg hätte Turbine zu den Norddeutschen aufgeschlossen und sich Selbstvertrauen für die Partien gegen den MSV Duisburg und 1. FC Köln - ebenfalls unmittelbare Konkurrenz - geholt. Doch es kommt anders: eine blutleere erste und eine etwas verbesserte zweite Halbzeit reichen nicht für den ersten Saisonsieg, Bremen zieht mit dem Sieg ebenfalls davon.
Die Niederlage ist vermutlich die Vorentscheidung für Potsdam, da es wohl neun Punkte aus den Abstiegskampf-Duellen gebraucht hätte, um noch einmal Auftrieb zu bekommen.
"Es geht um Körpersprache, Zweikampfverhalten und taktisches Verschieben. Aber die Spielerinnen wollen, die Stimmung ist gut. Wir können versprechen, bis zum Schluss alles zu geben", analysiert Marco Gebhardt nach der Niederlage am Mittwochabend. Er trägt eine dicke Winterjacke seines neuen Vereins, die die Initialen "DH" eingestickt hat – sie stehen für Dirk Heinrichs, der seit 20 Jahren Co- und immer wieder Interimstrainer bei Turbine ist. Für eine eigene Jacke ist noch keine Zeit gewesen, ein passendes Symbol für hektischen Zeiten des einst so schillernden Klubs.
Potsdam hat ein katastrophales Jahr 2022 hinter sich. Nachdem sich Erfolgscoach und Patriarch Bernd Schröder im Jahr 2016 aus dem operativen Geschäfft verabschiedet hat, spürt der Verein nun endgültig die Konsequenzen, nicht nachhaltig moderne Strukturen und weitere sportliche Kompetenz aufgebaut zu haben. Zahlreiche Abgänge von Leistungsträgerinnen und eine Trainerentlassung im Sommer, der Präsident wirft hin, der nächste Trainer muss nach vier Monaten gehen und dessen Nachfolger tritt nach nur drei Monaten selbst zurück: Potsdam hat sich aufgrund chaotischer Bedingungen den perfekten bitter schmeckenden Abstiegscocktail gemischt.
Gebhardt übernimmt eine undankbare Aufgabe
Nun soll Gebhardt den Verein in ruhigere Zeiten führen. Der 50-Jährige kommt von Oberligist Blau-Weiß 90 Berlin, bei dem er fast acht Jahre wirkte und zweimal aufstieg. Als Spieler kann Gebhardt knapp über 200 Pflichtspiele in Liga zwei und drei bei unter anderem Energie Cottbus und Union Berlin vorweisen. Er soll zusammen mit Dirk Heinrichs - die beiden kennen sich schon lange - ein Doppelgespann bilden. Heinrichs fehlt die A-Lizenz, um Cheftrainer zu sein.
Es ist eine höchst undankbare Aufgabe für Gebhardt, denn bevor die Mission Klassenerhalt wirklich beginnen konnte, ist sie mit der Niederlage gegen Bremen schon wieder vorbei. "Ich habe im Fußball schon viel erlebt. Wir haben noch zehn Spiele und schauen am Ende mal", will Gebhardt den Klassenerhalt noch nicht aufgeben. In den zehn verbleibenden Spielen müssten die Brandenburgerinnen neun Punkte Abstand auf einen Nichtabstiegsplatz aufholen.
Er spielte einst für den 1. FC Union und lebt immer noch in Köpenick, auch wenn er seit 2021 den 1. FC Köln trainiert. Vor dem Duell mit seinem Herzensklub spricht Steffen Baumgart über die besondere Beziehung, Urs Fischer - und Köpenicker Qualität.
Potsdam plant bereits zweigleisig
Nicht ohne Grund geht Turbine bereits die Zukunft an. Bereits jetzt ist klar, dass der neue Trainer nicht nur bis Saisonende bleiben soll. "Wir haben in den Gesprächen klar gesagt, dass es um beide Ligen geht. Es ergibt keinen Sinn, nicht perspektivisch zu planen", erklärt Geschäftsführer Stephan Schmidt.
Potsdam muss sich vollumfänglich mit dem Abstiegsfall auseinandersetzen – es ist das wahrscheinlichste sportliche Szenario. Die Lücke der sportlichen Kompetenz soll langfristig mit Ex-Spielerin Inka Wesely gefüllt werden. Die 31-Jährige wird behutsam als sportliche Leiterin entwickelt. Darüber hinaus bestätigte Schmidt, dass die wichtigsten Sponsoren zugesagt haben, dem Verein im Abstiegsfall die Treue zu halten.
Meister: "Gewillt, das Ding noch herumzureißen"
Ob - wie von Schmidt formuliert - der direkte Wiederaufstieg angepeilt werden kann, ist jedoch fraglich. Da sich die sportliche Leitung aktuell im Umbau befindet, wird im kommenden Sommer womöglich noch nicht alles greifen. Zudem hätte der Abstieg finanzielle Auswirkungen, die es erschweren werden, eine aufstiegsfähige Mannschaft zusammenzustellen. Und mit Viktoria Berlin und Union Berlin sorgen gleich zwei ambitionierte Fußballprojekte in direkter Nachbarschaft schon jetzt für Konkurrenz.
Bis dahin wird Potsdam noch einmal alles für den Klassenerhalt investieren. "Es hilft ja nichts, wir müssen die Saison zu Ende spielen und da können wir auch ein paar Punkte mitnehmen. Wir sind nach wie vor gewillt, das Ding noch herumzureißen", sagt Turbine-Urgestein Wibke Meister und klingt dabei gleichermaßen entschlossen wie desillusioniert.