Berliner Eiskunstlaufpaar erhebt Vorwürfe
Trotz zuletzt großer Erfolge steht das Berliner Eiskunstlaufpaar Annika Hocke und Robert Kunkel finanziell vor dem Aus. Ihre Vorwürfe in Richtung Verband stehen sinnbildlich für die mangelhafte Sportförderung in Deutschland. Von Marc Schwitzky
Grazil, elegant, vollendete Athletik, mit einem Lächeln im Gesicht – beim Training fegen Annika Hocke und Robert Kunkel scheinbar völlig unbeschwert über das Eis. Die Deutsche Meisterschaft, EM-Platzierung drei und WM-Platzierung neun haben dem Berliner Eiskunstlaufpaar als jüngste Erfolge ein großes Selbstverständnis verliehen. Nach der Übungseinheit verfinstern sich die Gesichtsausdrücke der Beiden jedoch: Sorgenfalten, ein strenger Blick, der beim Suchen nach den richtigen Worten durch den Raum irrt.
Grund dafür ist das Gesprächsthema, das sich um ihre Zukunft als Profisportler:innen dreht. "Das andere Paar, das bei der letzten Weltmeisterschaft Zehnter geworden ist, hat bereits aufgehört. Unsere Deadline ist Oktober und wenn sich bis dahin nichts ändert, hat die Deutsche Eislauf-Union nächste Jahr anstatt eines EM-Dritten- und Vierten gar keinen Teilnehmer mehr von diesen Paaren", hält Robert Kunkel im Interview mit rbb|24 fest.
Wie absolut Kunkels Ansage ist, mag von außen überraschen. Schließlich gehören er und Partnerin Annika Hocke national zu den erfolgreichsten Vertretern ihres Sports. Weshalb also eine mögliche Trennung vom Verband? Kurzum: Es geht um mangelhafte Unterstützung – auf allen Ebenen [sportschau.de]. Das beginnt bereits bei den Trainingseinrichtungen. Als eines der letzten Eislaufpaare haben Hocke-Kunkel Deutschland für ihre Wettbewerbsvorbereitungen das Land verlassen, um sich internationalen Standards angleichen zu können.
Berlin als Standort reichte mit seinen Bedingungen schlicht nicht mehr aus, vergangenes Jahr sind Hocke-Kunkel nach Bergamo in Italien gegangen. "Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir in Bergamo in allen Bereichen ein deutlich professionelleres Umfeld haben. Dadurch, dass man etwas zahlt, kann man auch eine gewisse Gegenleistung erwarten", erklärt Kunkel. "Man kann anhand unserer Ergebnisse objektiv belegen, weshalb Bergamo der bessere Standort für uns ist."
Doch das Training in Bergamo hat seinen Preis. 35.000 bis 45.000 Euro jährlich, um genau zu sein. "Da sind Wettkämpfe, die wir dieses Jahr bestreiten, noch gar nicht mit einberechnet. Wir haben in der letzten Saison ganz gute Preisgelder bekommen und können uns damit bis Oktober finanzieren", blickt Kunkel voraus.
Das große Problem daran: Hocke und Kunkel stemmen die jährlich aufkommenden Kosten für ihren Sport beinahe komplett alleine. "Wir finanzieren es von unserem Sportsoldaten-Gehalt, auch wenn es eigentlich nicht dafür da ist", erklärt Hocke. Da das Paar momentan keine Sponsoren unter Vertrag hat, ist es zudem auf die Unterstützung von Familie und Freunden angewiesen.
Der Verband, die Deutsche Eislauf-Union, würde laut Kunkel lediglich "unter zehn Prozent" der aufkommenden Kosten übernehmen. "Es gibt wenig andere olympische Sportarten – mit unseren Erfolgen – denen es ähnlich geht. Wir können es leider nicht ändern, dafür ist Verband zuständig und hoffen, dass sich dort auf lang etwas ändert. Uns wurde gesagt, dass die Aussichten eher düster sind."
Angesprochen auf diesen Vorwurf, teilt die DEU dem rbb mit, dass Hocke/Kunkel "die höchste Förderung, die der DEU im Rahmen der vom BMI [Bundesministerium des Innern] bewilligten Förderleistungen des Bundes für den Olympiazyklus 2023-2026" erhalten würden. Eine genaue Zahl nennt der Verband allerdings nicht. "Darüber hinaus genießen beide Athleten den Status einer Bundeswehr-Sportförderstelle, die ebenfalls eine Sportförderleistung im deutschen Sportsystem darstellt."
Die mangelhafte finanzielle Unterstützung des Verbandes wäre für die beiden Athlet:innen womöglich verkraftbar, gäbe es Sponsoren, die einspringen. Doch auch hier macht die fehlende Infrastruktur des Verbandes Probleme. "In anderen Sportarten kümmert sich auch der Verband darum, der entweder selbst Sponsoren hat oder sie vermittelt. Unser Verband hat aber keinerlei Sponsoren und kann keine vermitteln – da gibt es großen Aufholbedarf", erklärt Kunkel und wird von Hocke ergänzt: "Gerade für Randsportarten wie Eiskunstlaufen ist es gar nicht so leicht, jemanden zu finden, der den Sport fördern möchte – auch weil wir kaum in den Medien stattfinden." Der Verband reagiert auch darauf knapp: "Zur Zeit gibt es keine personellen Ressourcen, die diesen Service bieten können. Das Problem ist erkannt und die DEU arbeitet an der Generierung von Sponsoren für die Sportart Eiskunstlaufen", heißt es in einer Stellungnahme an den rbb.
Eine weitere Hoffnung des Paares ist eine konstruktivere Zusammenarbeit mit dem Verband. "Wir würden uns wünschen, dass ein größerer Teil unserer Kosten finanziert wird, um in vorhinein zu wissen, womit man rechnen kann. Anstatt zur Hälfte des Jahres zu hören: 'Hier kriegt ihr 400 Euro, dort 1.200 Euro und das hier können wir gar nicht bezahlen'", so Kunkel, der den Verband mit einem weiteren Vorwurf konfrontiert: "Außerdem haben wir zuletzt recht viel Preisgeld durch eigene Investitionen erlaufen und da hat der Verband leider einen Teil für sich einbehalten und ist nicht bereit, in irgendeiner Weise in Verhandlungen zu treten, damit wir das bekommen, was wir auch investiert haben." Laut der DEU sei dies das "übliche Prozedere der Regularien der International Skating Union" und würde "alle Athleten gleichermaßen" treffen, so die kurze Antwort des Verbands.
Die finanziell so ungewisse Situation hinterlässt laut Kunkel auch mental Spuren. "Man überlegt nicht, welcher Wettbewerb für den eigenen Trainingsplan am meisten Sinn ergibt, sondern, ob man ihn sich überhaupt leisten kann." Eine Gemengelage, die dem Eiskunstlauf auch perspektiv schaden könnte, sagt Hocke: "Es ist natürlich traurig, da man auch auf den Nachwuchs guckt und weiß, wie schwer man es selbst hatte und wenn sich daran nichts ändert, immer mehr Paare aufhören, fragt man sich, wie neue Personen überhaupt zu diesem Sport kommen sollen."
Sollte im Oktober tatsächlich keine zufriedenstellende finanzielle Sicherung gewährleistet sein, denken Hocke, 22 Jahre alt, und Kunkel, 23, aufgrund ihrer guten sportlichen Perspektive nicht ans Aufhören – sie stellen ein Ultimatum. "Wir würden dann wohl für eine andere Nation laufen, da gibt es recht viele Angebote und Länder, in denen es nicht so katastrophal abläuft", so Kunkel auffällig abgeklärt. "Es wäre sehr schade, da wir als gebürtiger Berliner sehr gerne Deutschland repräsentieren wollen, aber wenn uns derart die Hände gebunden sind, geht es nicht mehr anders."
Das mögliche Aus von Annika Hocke und Robert Kunkel bei der Deutschen Eislauf-Union würde sich als weiterer Fall in die lange Liste von Athlet:innen aus Randsportarten, die aufgrund mangelnder Förderung in Deutschland keine Perspektive mehr sehen und aufhören oder den Verband wechseln, einreihen.
Sendung: rbb24 mit Sport, 18.04.2023, 18:00 Uhr
Beitrag von Marc Schwitzky
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