Herthas 0:2-Niederlage in der Analyse
Gegen Bayern München zeigte sich Bundesliga-Schlusslicht Hertha BSC lange Zeit zumindest defensiv auf der Höhe. Warum es am Ende dennoch für keinen Punktgewinn reichte und was nun noch Mut macht im Abstiegskampf.
61 Gegentore nach 30 Spielen lassen es kaum vermuten. Aber auch die statistisch zweitschlechteste Defensive der Fußball-Bundesliga kann anständig verteidigen. Sogar gegen den deutschen Rekord-Meister und Wieder-Tabellenführer Bayern München. Nun muss einschränkend erwähnt werden, dass sich eben jene Bayern derzeit nicht gerade in Rekord-Meister-Form befinden. Die Angriffe der Münchner waren zumeist doch von eher behäbiger Natur.
Aber dennoch: Was Hertha an diesem 30. Spieltag in der Allianz-Arena defensiv geboten hat, war aller Ehren wert. In bester Dardai-Manier zog sich die Mannschaft dabei komplett in die eigenen Hälfte zurück und verdichtete derart massiv das Zentrum, dass die Bayern schon einen Tunnel hätten graben müssen, um durch die Mitte zu Torchancen oder freien Zuspielen zu kommen. Über die Außenbahnen ließ Hertha so zwangsläufig mehr Raum. Das jedoch war zu verkraften. Auch weil die Bayern zwar eine gute Strafraumbesetzung hatten, aber keinen klaren Zielspieler, der sich über hohe Hereingaben gefreut hätte.
Der im Zentrum agierende Sadio Mané jedenfalls wirkte über weite Strecken wie diese Hertha-Saison: unglücklich. Auch in den Zweikämpfen bewiesen die Herthaner durchaus Geschick. Etwa dabei, Münchner Freistöße in gefährlichen Regionen zu vermeiden. Defensiver Malus aus Berliner Sicht: Am Ende fiel das aus bayrischer Sicht erlösende 1:0 eben doch durch die Mitte. Zwar nicht nach Tunnelgrabung. Dafür nach einem Chip-Ball. Und aus guten Gründen. Denn ...
Dass es so lange 0:0 stand, in diesem an sich ungleichen Duell, lag vor allem auch daran, dass die Herthaner lange Zeit wenige schwerwiegende Fehler machten. Ballverluste in der Vorwärtsbewegung gab es zwar viele, allerdings fast durchweg fernab vom eigenen Tor.
So konnten die Bayern so gut wie nie gegen unsortierte Herthaner anlaufen. War kein klarer Ball in die Spitze möglich, wählten Pal Dardais Spieler immer mal wieder auch die Option, hintenrum zu spielen. Und auch Torhüter Oliver Christensen, der zwar über starke Reflexe verfügt, im Spiel mit Ball jedoch immer wieder für Aussetzer gut ist, leistete sich gegen die Bayern keinen gravierenden Patzer.
Der kam dafür vor dem 0:1 durch Serge Gnabry in Person von Innenverteidiger Filip Uremovic. Der Kroate klärte statt mit dem Fuß mit dem Unterschenkel und damit nur bis vor die Füße des völlig freistehenden Joshua Kimmich, der dann wiederum Gnabry bediente. Hertha war in dieser Szene erstmals völlig aus der Ordnung gerissen und wurde prompt bestraft.
Obwohl Hertha beim Dardai-Comeback gegen Werder Bremen (2:4) am vergangenen Wochenende de facto chancenlos war, sprachen gegen die Hanseaten alle relevanten Statistiken für die Berliner. Die Hauptstädter hatten gegen Bremen mehr Ballbesitz, eine bessere Pass- und Zweikampfquote, eine höhere Laufleistung und mehr Schüsse auf das Tor.
Gegen die Bayern nun das komplett gegenteilige Bild. Zur Halbzeit wiesen die Statistiken ein vermeintlich drückend überlegenes Bayern München aus. Sowohl bei den Torschüssen (14 zu 1) als auch bei der Passquote (90 zu 55 Prozent), dem Ballbesitz (79 zu 21 Prozent) und der Zweikampfquote (57 zu 43 Prozent) führten die Gastgeber mit weitem Abstand. Die Realität auf dem Platz war eine andere. Blöd nur für alle Herthaner, dass eine Statistik am Ende immer entscheidet - die Anzahl der Tore.
In einer Statistik war Hertha in der ersten Halbzeit dann doch fast auf Augenhöhe mit den Bayern - bei der Anzahl der Dribblings. 17 zu 15 hieß es nach 45 Minuten für die Münchner, 27 zu 21 nach 90 Minuten. Dass die Berliner in dieser Kategorie mit Gnabry, Coman und Co. mithalten konnten, lag vor allem an Dodi Lukebakio. Der belgische Nationalspieler ist, sofern mit Lust bei der Sache, der wertvollste Offensivspieler im Kader von Pal Dardai. Schnell, trickreich, durchaus abschlussstark. Immer wieder nahm es Lukebakio auch gegen die Bayern erfolgreich mit mehr als nur einem Gegenspieler auf.
Doch irgendwann ging seinen Sprints stets der Rasen aus, stellte sich seinen Dribblings dann doch dieser eine Gegenspieler zu viel in den Weg. Oft schien es, Lukebakio ist dabei selbst für seine Mitspieler zu schnell. Ein wirkliches Zusammenspiel mit Sturmpartner Florian Niederlechner war jedenfalls keines zu beobachten. Auch Jean-Paul Boetius, Jessic Ngankam oder Maximilian Mittelstädt konnten ihn nicht hinreichend unterstützen. Für Hertha könnte es im Kampf um den Klassenerhalt deshalb elementar werden, ob Pal Dardai rechtzeitig den passenden Sturmpartner findet.
"Traditionelle Eintrittskarten erhalten" stand auf einem Banner zu lesen, das die mitgereisten Hertha-Fans am Oberrang der Allianz-Arena zeigten. Ob das Ticket zu dieser Niederlage bei den Bayern nun großen Erinnerungswert hat, sei einmal dahingestellt. Unbestritten ist hingegen, dass sich 5.200 mitgereiste Hertha-Fans mehr als sehen lassen können. Zumal zumindest der Support aus der Gästekurve erstligareif war.
Wie hatte Kevin-Prince Boateng nach der 2:4-Niederlage gegen Werder Bremen gesagt? "Wir brauchen die Fans. Ich weiß, dass es sehr schwer ist. Ich bin selber Hertha-Fan, mir tut das auch weh. Ich würde auch pfeifen, glaube ich. Aber wenn wir Hertha lieben, so wie wir es sagen, müssen wir es probieren." Die Antwort der Hertha-Supporter in München war eindeutig.
Sendung: rbb24, 30.04.2023, 22:00 Uhr
Beitrag von Ilja Behnisch
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