Letzter Hertha-Sieg bei Bayern München 1977
Sage und schreibe 46 Jahre liegt der letzte Hertha-Sieg bei Bayern München mittlerweile zurück. Der Stürmer Karl-Heinz Granitza war damals dabei und erinnert sich, wie der scheinbare unmögliche Auswärtserfolg beim Rekordmeister gelang.
Herthas Abwehr steht fest und lässt kaum Chancen gegen die großen Stars zu. Vorne spielen die Angreifer in den blau-weißen Trikots die Defensive des FC Bayern ganz schwummrig, ihre Torchancen ergreifen sie auch. Am Ende gewinnen die Gäste aus Berlin äußerst verdient mit 2:0 und rauschen in der Tabelle an den Münchnern vorbei.
Klingt wie ein Märchen oder der Traum jedes Hertha-Fans in der Nacht vor dem Spiel beim Rekordmeister am kommenden Sonntag um 15:30 Uhr. Ist aber echt passiert, in einer anderen Zeit. Der 29.10.1977 war der Tag, an dem die Berliner das letzte Mal in München gewinnen konnten.
Karl-Heinz Granitza war mittendrin. Heute ist er 71 Jahre alt, aber in der Saison 1977/78 war er mit 17 Treffern Herthas bester Torjäger. In Münchener Olympiastadion traf Granitza damals zwar nicht, blickt aber immer wieder gerne auf den Sieg zurück, wie er erzählt. "Das sind selbst nach über 40 Jahren noch schöne Erinnerungen, dass wir damals gegen die großen Bayern gewonnen haben", sagt der ehemalige Mittelstürmer.
Damals wie heute war der Kader des FC Bayern mit Spitzenpersonal gespickt. Hinten hielt Sepp Maier die Bälle, vor ihm verteidigten Klaus Augenthaler und Georg Schwarzenbeck und vorne entfesselte das Trio aus Gerd Müller, Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß Torgefahr. "Viele von denen waren natürlich unsere Vorbilder. Aber auch wir hatten in der Mannschaft gute Leute", erinnert sich Granitza.
Vor allem die flinken Außenverteidiger Hans Weiner und Michael Sziedat hätten mit ihrer Schnelligkeit damals die Flügel-Stars der Münchner komplett aus dem Spiel genommen. "Jetzt am Sonntag muss das genauso sein. Gegen Bayern München muss man die Weltklasse-Spieler auf den Außenbahnen neutralisieren. Sonst hat man keine Chance, überhaupt einen Punkt mitzunehmen", sagt Granitza.
Aber nur mit starker Abwehr holt man in München noch lange keinen Sieg. Man muss schon auch die wenigen Gelegenheiten vor dem Tor des Rekordmeisters nutzen, so man sie denn überhaupt bekommt. Gilt heute, galt auch schon vor 46 Jahren. "Wir haben nicht viel aufs Tor geschossen, aber eben in den entscheidenden Situationen zweimal getroffen", fasst Granitza es mit eigenen Worten zusammen.
15.000 Zuschauer sahen damals im Olympiastadion, wie die Gastgeber die Partie am Anfang dominierten. Aber in der 29. Minute gingen die Berliner überraschend in Führung. Weiner hatte sich auf der rechten Seite durchgesetzt und fand mit seinem Querpass im Strafraum Gerhard Grau. Der musste den Ball nur noch reinschieben.
Danach verteidigte Hertha sich gegen jegliches Aufbegehren der Münchner. Vorne zeigte der Däne Jörgen Kristensen seine Zauber-Dribblings und für die Abwehr der Bayern war das bisweilen peinlich. Eine Minute vor dem Abpfiff tauchte dann Bernd Gersdorff vor dem FCB-Torwart Sepp Maier auf. Maier beeindruckte Gersdorff nicht wesentlich. Der lupfte den Ball zum 2:0-Siegtreffer ins Netz.
46 Jahre später erinnert sich Karl-Heinz Granitza, wie geschockt die Gegner wirkten. "Die Bayern waren danach total weggetreten und konnten sich gar nicht vorstellen, dass sie gerade von Hertha BSC besiegt worden sind. Da gab es dann kein großes Händeschütteln oder Unterhalten nach dem Spiel mehr. Wir haben aber genüsslich in der Kabine gefeiert", sagt Granitza. Für Hertha war dieser 13. Spieltag damals der Start einer richtig guten Saison, der Klub schaffte es am Ende auf den dritten Platz. Auch das Rückspiel in der Hauptstadt gewannen die Berliner gegen die Bayern klar mit 3:1. Für München sollte die Bundesliga-Saison 1977/78 als schlechteste aller Zeiten in die Vereinshistorie eingehen - die Bayern wurden am Ende nur Zwölfter.
Granitza verließ Hertha zwei Jahre später und wechselte zu den Chicago Sting in die USA. Dort wurde er zweimal Meister und erfolgreicher Torschütze. Und es gelang ihm nach den Siegen gegen Bayern mit Hertha ein weiterer großer Erfolg gegen einen scheinbar unbezwingbaren Gegner. 1984 schlug Granitza den wohl besten Basketballer aller Zeiten: Bei einer Umfrage einer großen Bibliothek, als diese ihre jungen Mitglieder danach fragte, mit welchem Sport-Star sie am liebsten einen Tag verbringen wollen würden. "Da wurde ich mit weitem Abstand Erster vor Michael Jordan", sagt Granitza und wirkt immer noch froh darüber.
Mittlerweile wohnt der ehemalige Stürmer und Linksfuß mit seiner Familie wieder nahe der Hauptstadt in Potsdam. Und auch seinem Ex-Klub Hertha fühlt er sich noch verbunden. Bei der aktuell schwierigen sportlichen Situation glaubt er seit dem Trainerwechsel noch an eine Rettung in letzter Sekunde, wie er erzählt. "Ich schätze Pal Dardai sehr und traue ihm zu, eine junge und dynamische Mannschaft aufzubauen. Egal ob sie absteigen oder drin bleiben hoffe ich, dass er über die Saison hinaus eine Chance bekommt", sagt er.
Am Sonntag in München traue er den Berlinern sogar ein Unentschieden oder nur eine knappe Niederlage zu. "Weil bei Bayern gerade so eine katastrophale Stimmung ist", begründet Granitza seine Hoffnung. Dafür brauche es aber viel Herzblut und eine tausendprozentige Einstellung. "Das können auch junge Spieler. Deshalb kann man Jessic Ngankam und Derry Scherhant auch ruhig in so einem Spiel mal reinschmeißen", rät er. Vielleicht schaffen die beiden ja sogar, was Grau und Gersdorff 1977 gelang - und sie schießen Hertha in München nach mehr als viereinhalb Jahrzehnten mal wieder zum Sieg.
Sendung: rbb24, 25.04.2023, 21:45 Uhr
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