Rivalität zwischen Hertha und Schalke
Hertha-Anhänger hegen eine besondere Abneigung gegen Schalke 04. Unserem Autor war das nicht bewusst. Vor dem anstehenden Kellerduell einige Gedanken zur einseitigsten Rivalität im deutschen Fußball. Von Shea Westhoff
Der Film "The Banshees of Inisherin" ist auch deswegen ein unvergessliches Filmerlebnis, weil das Thema so verblüfft: das einseitig erklärte Zerwürfnis. "Ich mag dich einfach nicht mehr", knurrt Colm zu Pádraic, und der versteht die Welt nicht mehr. Gestern war doch noch alles in Ordnung. Warum kannst du mich nicht leiden?
Womit wir bei Hertha BSC und Schalke 04 wären, zwei blau-weiße Fußballklubs, die eine zumindest im deutschen Fußball einzigartige Rivalität verbindet, weil diese nur in eine Richtung zeigt. Nämlich mit dem Finger aus Berlin auf das verdutzte Gelsenkirchen.
Es soll hier um die Schalker Perspektive gehen, genauer: um meine. Zur Farbe Königsblau fühle ich mich stark hingezogen. Beim Thema Rivalität in der Bundesliga dachte ich bislang nur an die Farben schwarz und gelb.
Doch im Vorfeld der Begegnung mit Hertha (Freitag, 20:30 Uhr) kam mir, einem zugezogenen Berliner, Merkwürdiges zu Ohren. Einige Hertha-Anhänger würden nur von "Gelsenkirchen" sprechen, wenn eigentlich von Schalke 04 die Rede ist. Die Triebfeder sei Antipathie. Selbst Herthas Klubverantwortliche hätten in der Vergangenheit in Medienrunden bereits auf dieser semantischen Klaviatur gespielt und tunlichst die aufeinanderfolgenden Silben "Schal" und "ke" vermieden.
Alles Neuland für mich. Vielleicht währt meine Liebe zu S04 aber auch einfach noch nicht lang genug, um alle Beziehungskonstellationen zu anderen Klubs zu kennen.
"Das gibt's doch nicht", sagt am anderen Ende der Leitung der hörbar irritierte Vater, Schalke-Fan seit Klaus Fischers Fallrückziehern. Von Herthas Hass auf Kuzorras Erben habe auch er noch nie gehört.
Weil jede Kuriosität nur ein paar Klicks im Internet entfernt ist, fällt natürlich auch die Ursachenforschung für die einseitige Feindschaft zwischen Hertha und Schalke gar nicht schwer. Hintergrund ist demnach die Enthüllung des Bundesliga-Bestechungsskandals von 1970/71, in deren Folge zahlreiche Spieler mehrerer Klubs saftige Sperren absitzen mussten – allen voran die Kicker von Schalke, aber auch einige Herthaner.
Als diese die Knappen in der Folgesaison mit 3:0 aus dem DFB-Pokal warfen, legten pfiffige Schalker prompt Protest ein: Hatte für die Berliner nicht ein Spieler namens Zoltan Varga auf dem Platz gestanden (und zweifach getroffen)? Und hatte nicht auch er ein halbes Jahr zuvor wegen Bestechlichkeit Schuld auf sich geladen? Herthas Sieg wurde mit einigem bürokratischem Aufwand für nichtig erklärt, Schalke zog in die nächste Runde ein, trotz der sportlichen Niederlage.
Ein gewisser Argwohn von Berliner Seite scheint nachvollziehbar. Aber ein halbes Jahrhundert später immer noch? Obwohl der ahnungslose Schalker Anhang seitdem eigentlich nichts getan hat, um die Rivalität weiter anzufachen?
Unterwegs zum Schacht, einem Wilmersdorfer Restaurantkeller, wo Veltins aus dem Zapfhahn strömt und die Wände mit königsblauen Devotionalien verziert sind. Ein Schalker Hotspot mitten in Berlin. Schon auf dem Treppenabgang hinunter in die Fankneipe ist die grollende, erhitzte Atmosphäre spürbar. Unter lautem Geplapper und Gemecker starren 40 oder 50 Augenpaare gebannt auf die flackernden Bildschirme. Gezeigt wird das Krisenduell gegen die TSG Hoffenheim, es geht um viel.
Die einseitige Berliner Gegnerschaft, vielleicht ist sie den Menschen im Schacht ein Begriff. Die köchelnde Stimmung steht allerdings in starkem Kontrast zur Sachlichkeit, sobald die Hertha-Rivalität zur Sprache gebracht wird.
"Uns hasst doch eh jeder, da macht ein Verein mehr oder weniger auch keinen Unterschied", sagt ein langhaariger Fan im nach wie vor umwerfenden Kärcher-Trikot der Saison 1996/97. Ein Anzugträger, der sich als Schalke-Fan aus dem Odenwald vorstellt, behauptet, dass Hertha eine Fanfreundschaft zu Borussia Dortmund habe und die Rivalität daher rühre. "Ist doch klar, dass die sich solidarisieren", schlussfolgert er.
Nur Annelie, eine der Initiatorinnen der Fankneipe und Mitglied des Fanklubs "Königsblau Berlin", hat tatsächlich bittere Erfahrungen gemacht mit der einseitigen Rivalität. Zweimal sei die Schalker Fahne vor dem Eingang des Restaurants geklaut worden, von Herthafans, wie sie vermutet. Und in der Bahn sei sie bepöbelt worden, als sie ein T-Shirt ihres Herzensvereins trug.
Dabei gäbe es, nur mal so, aus der Vogelperspektive Einiges, das beide Klubs verbindet. Blau und weiß, der Hang zum Drama, das leuchtende Einst, das triste Jetzt.
Klar ist: Am Freitag wird der Tabellenletzte Schalke 04 gegen den Vorletzten Hertha BSC beim Abstiegskracher alles in die Wagschale werfen, um die bitter nötigen Punkte einzufahren für den ersehnten Klassenherhalt. Und vielleicht wird die Partie dann sogar den Anschein erwecken, als gehe es um eine beidseitige Rivalität.
Sendung: rbb24 Inforadio, 12.04.2023, 18:15 Uhr
Beitrag von Shea Westhoff
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