Berliner Koalitionsvertrag
Die Mitglieder der SPD konnten bis Freitag über den Koalitionsvertrag abstimmen. Im Falle einer Befürwortung wäre der Weg frei für eine CDU-geführte Landesregierung. Ein Überblick, welche Auswirkungen das auf den Profi- und Breitensport in Berlin hätte.
Was plant die mögliche neue Berliner Regierung für die selbsternannte "Sportmetropole"? Der Koalitionsvertrag steht bereits, in den nächsten Tagen soll er offiziell unterzeichnet werden.
Am Sonntag wird die Berliner SPD das Ergebnis ihres Mitgliedervotums über den ausgehandelten Vertrag mit der CDU bekannt geben. Die Union will einen Tag darauf auf einem Parteitag über das Papier abstimmen. Am 26. April könnten dann die Unterschriften unter das Regierungsprogramm gesetzt werden.
Besonders relevant für die Profiklubs sowie für die rund 700.000 in Vereinen organisierten Sportlerinnen und Sportler sind sechseinhalb Seiten im Koalitionspapier, in denen es um die Vorhaben im Hinblick auf den Sport in der Berlin geht - unter anderem um die Errichtung sowie Sanierung von Sportarenen, die Neuvergabe von Fördermitteln und die Ausrichtung des weltweit größten Sportevents.
Ein Überblick.
Die Sätze zur offensiv formulierten Bereitschaft, Berlin als Gastgeber der Olympischen Spiele in Stellung zu bringen, riefen große Diskussionen hervor. Angepeilt wird 2036, hundert Jahre nach den Propaganda-Spielen im Dritten Reich.
Stephan Standfuß, sportpolitischer Sprecher der CDU in Berlin, ist sich sicher, dass die Spiele die Möglichkeit bieten, "dass man zeigt, wie sich unsere Gesellschaft verändert hat und wie unser Weltbild jetzt ist", sagt er im Telefonat mit rbb|24. In Deutschland müsse man sich im Vorfeld Gedanken machen: "Wie können wir über unsere düstere Geschichte aufklären? Wie können wir die Erinnerungskultur wachhalten?"
Die sportpolitische Sprecherin der Grünen, Klara Schedlich, hingegen warnt, dass man mit der Ausrichtung der Olympischen Spiele 100 Jahre nach 1936 Unverständnis auslösen könnte. "Es ist eine diplomatische Frage, wie man da vorgeht, und wie Deutschland das kommunikativ hinbekommt", sagte sie vergangene Woche dem rbb.
Schedlich glaubt, dass Berlin gerade wichtigere Baustellen habe als die Planung eines Mega-Sportevents in ferner Zukunft. Allein für die Bewerbung müsse eine hohe Millionensumme aufgewendet werden, etwa um "die Sportstätten fitzumachen". Diese würden aber nach Beendigung der Spiele möglicherweise gar nicht weiter nutzbar sein, "weil sie nicht den Bedarfen der Stadt entsprechen".
Sie verweist auf die missliche Situation der Schwimmbäder, die in Berlin tatsächlich in weiten Teilen als marode und sanierungsfällig gelten. "Da muss man ansetzen, bevor wir für eine Veranstaltung super viel Geld ausgeben, uns verschulden und am Ende die Menschen, die in der Stadt leben und hier Sport treiben, nichts davon haben."
Stephan Standfuß hingegen zeigt sich überzeugt, dass der Breitensport von den Olympischen Spielen profitieren würde. Nach den Wettkämpfen stünden die Sportstätten "natürlich der Allgemeinheit zur Verfügung und sind dann auch gute Ergänzungen für den einen oder anderen Verein, der auch Sportstättenmangel hat", sagt der CDU-Politiker. "Ich glaube, gerade mit so einem Ziel vor Augen kann man ein bisschen mehr Druck ausüben und ein bisschen mehr Priorität auf neue Sportanlagen und neue Sportflächen setzen".
Zur endgültigen Bewerbung Berlins ist es ohnehin noch ein langer Weg. "Darüber werden jetzt Debatten geführt mit allen Beteiligten im organisierten Sport und außerhalb des organisierten Sports", sagt der Präsident des Landesportbundes Berlin (LSB), Thomas Härtel.
Geprüft wird außerdem, ob eine Kooperationsbewerbung mit einer weiteren Stadt oder Region in Deutschland sinnvoll wäre. Damit könnte einer Investitionsschlacht für den Neubau olympiatauglicher Sportstätten vorgebeugt werden. Härtel nimmt als Beispiel die Kooperation zwischen München und Berlin: "Dann haben wir fast 75 Prozent (Anm.: an Sportstätten) zur Verfügung für Olympische und Paralympische Spiele. Das bedeutet, wir müssen natürlich sanieren und modernisieren. Aber wir müssen eben nicht alles neu bauen."
Der BFC Dynamo kann aufatmen. Seine Heimspielstätte, das Stadion auf dem Gelände des Sportforums, soll nun doch gemäß den Drittliga-Richtlinien des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) saniert werden. Damit müsste der Regionalligist im Falle eines Aufstiegs kein Stadion-Hopping betreiben, wie etwa der vormalige Drittligist Viktoria Berlin, der seine Spiele statt im heimischen Lichterfelde im Pankower Jahn-Sportpark austragen musste.
"Das Sportforum und das Stadion mit dem ansässigen Verein BFC Dynamo bedeutet ein Stück Heimat für die Menschen vor Ort", sagt Martin Pätzold, Mitglied im Abgeordnetenhaus für den Bezirk Lichtenberg. Der in Hohenschönhausen aufgewachsene CDU-Politiker hatte sich mit Kai Wegner dafür stark gemacht, dass die benötigten finanziellen Mittel für den profitauglichen Stadionumbau Teil des neuen Regierungsauftrages werden.
Die vorherige Landesregierung hatte im Sommer 2022 einen Masterplan präsentiert für eine umfassende Modernisierung des gesamten Sportforum-Geländes, das als Zentrum des Berliner Spitzensports gilt. Geld für eine Drittliga-taugliche Sanierung des Stadions war darin allerdings nicht vorgesehen.
"Ich freue mich, und das sage ich voller Wertschätzung, dass es uns gemeinsam mit der SPD gelungen ist, den Plan der Stadionsanierung in den Koalitionsvertrag zu schreiben", sagt Pätzold. Die Installation einer Rasenheizung, einer neuen Flutlichtanlage, die Erneuerung der Tribünen sollen etwa vier Millionen Euro kosten und aus öffentlichen Mitteln bereitgestellt werden. "Es geht darum, dem Verein eine Perspektive zu ermöglichen in einem wunderbaren Sportkomplex. Da gehört ein Fußballstadion dazu", so Pätzold weiter.
Alexander Teichmann ist neugierig, was diese beiden Sätze zur Neuausrichtung der Sportförderung am Ende wirklich bedeuten. Der gebürtige Hesse ist Präsident des Tischtennis-Topklubs TTC Eastside, dessen Spielerinnen zur Weltspitze gehören. "Bei Damenmannschaften gibt es mehr Aspekte zu berücksichtigen als bei den Herren und bei den medienwirksamen Sportarten", sagt er. Eine schwangere Spielerin wird irgendwann pausieren müssen, meist um die zwei Jahre, sagt Teichmann. Wie ist ihre Existenz gesichert? Wie kann der Klub nachverpflichten, um sich weiter im Wettbewerbsbetrieb halten zu können?
"Man muss ein Umfeld schaffen, in dem es möglich ist, dass talentierte Athletinnen sagen können: '‘Ich gehe in die Sportlerinnenkarriere'", sagt Teichmann. "Wenn mit dem neuen Koalitionsvertrag wirklich angedacht ist, die Förderung anders aufzusetzen, dann wäre das wirklich wichtig."
Was bedeutete Förderung für sein Team bislang? Vor allem die Möglichkeit, die Halleninfrastruktur kostenfrei nutzen zu können, was man nicht unterschätzen dürfe. "Wenn ich das mit Kollegen vergleiche, die müssen teilweise Nutzungsgebühren zahlen", sagt Teichmann. Zusätzlich gebe es Hilfsmittel vom Landessportbund Berlin (LSB) und der Klassenlotterie. Förderung bedeutete außerdem, dass während der Corona-Hochphase eine sogenannte Equipment-Pauschale an den Verein ausgezahlt wurde, sie lag im unteren vierstelligen Bereich. "Klein Vieh macht auch Mist", fasst Teichmann die bisherigen Unterstützungen lapidar zusammen. Aber diese seien "nicht so, wie man es sich vielleicht vorstellt". Für weibliche Spitzenteams wie den TTC oder Alba Berlin wünscht er sich, dass "die Förderung von Frauenteams wirklich substanziell hinterlegt ist". Eine Nachhaltigkeit, auf die die Vereine bauen konnten, sei bisher nicht zu erkennen gewesen.
Für Kaweh Niroomand, Präsident der BR Volleys und Sprecher der Vereinigung Berliner Profivereine, zeigt sich in dem Absatz, der von einer Etablierung von weiblichen Spitzenteams handelt, ein Grundproblem des Koalitionsvertrags. "Viele Vorhaben sind eher plakativ erwähnt worden. Nach dem Motto: Jeder, der heute einen Plan macht, sollte die Themen Diversität und Nachhaltigkeit einbringen. Aber das sind erst mal Überschriften", sagt er im Gespräch mit rbb|24. "Wenn man den Frauensport in Berlin voranbringen will, wie soll das konkret aussehen? Was will die Regierung dafür leisten, damit der Frauensport vorankommt?" Niroomand vermisse die Nennung konkreter Schritte.
Fragt man die Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport nach den bisherigen Förderungen der Berliner Spitzenteams im Frauen- und Männerbereich, so erhält man eine Idee von der Größenordnung der Hilfeleistungen. Bei insgesamt 1,05 Millionen Euro habe die finanzielle Unterstützung im Jahr 2022 gelegen, heißt es auf rbb|24-Anfrage. Gut eine Million Euro für 32 Profivereine unterschiedlichster Sportarten, "von American Football bis Wasserball". Die Spanne der Unterstützungen reiche von Zahlungen über 5.000 Euro bis hin zu 200.000 Euro für die erfolgreichsten Vereine.
Was die genaue Verteilung der Gelder zwischen Männer- und Frauenteams angeht, dazu erhält man keine näheren Informationen. Klar wird allerdings: Im vergangenen Jahr wurden ebenso viele Bundesligateams bei den Frauen wie bei den Männern gefördert.
Auffällig sind weitreichende Passagen im Regierungsprogramm, die vom Willen der Regierungsparteien zeugen, die mangelhafte Turnhallen- und Schwimmbad-Situation weiter anzugehen. Die Hauptstadt hat ein massives Problem mit zu wenig Sportanlagen und die, die es gibt, sind in vielen Fällen marode.
"Die Sanierung von Sportstätten treiben wir weiter voran", heißt es. So sollen die Mittel für das Sportstättensanierungsprogramm erhöht werden.
"Unser Ziel ist es, dass Wasserfläche auch künftig bedarfsgerecht zur Verfügung steht, technische Ausfälle minimiert werden und kein Bad dauerhaft geschlossen werden muss", heißt es im Papier zu den Schwimmbädern. "Bäder müssen für alle nutzbar, erreichbar und bezahlbar sein."
Was die Diskussionen um die Stadionpläne des Westberliner Fußball-Bundesligisten angeht, hält der Koalitionsvertrag keine substanzielle Lösung bereit. Unterstützt werden solle der Bau eines privat finanzierten 45.000 Zuschauer fassenden Hertha-Fußballstadions am Gelände des Olympiaparks. Doch es wird relativiert: Die Interessen der Anwohner an der Rominter Allee werden geschützt. Und: "Gleichzeitig sind die Interessen der ansässigen Vereine und Verbände zu berücksichtigen", heißt es im Papier weiter.
Wie genau aber die Berücksichtigung einander entgegenstehender Interessen am Ende in eine Fußballarena münden sollen, das bleibt unklar.
Im Frühjahr 2022 hatte Sportsenatorin Iris Spranger (SPD) die Möglichkeit eines Bauplatzes nördlich des Maifeldes ins Spiel gebracht, an das das Olympiastadion grenzt: das sogenannte Lindeneck. Der Vorschlag gilt als aussichtsreich und wird derzeit von einer Expertenkommission samt themenbezogener Projektgruppen geprüft. Reichlich Gegenwind hatte es vor allem vom Reitsportverein am Maifeld e.V. gegeben, der im Falle eines Stadionbaus umziehen müsste und somit zuerst von einer passenden Alternative überzeugt werden muss.
Rückendeckung erhält auch der Ostberliner Bundesligist 1. FC Union für die Umbaupläne seines Stadions an der Alten Förderei. Künftig sollen 37.700 Fans in der Arena Platz finden, dafür müssen während der Saison 2024/25 die entscheidenden Umbaumaßnahmen vollzogen werden. In dieser Spielzeit zieht der Köpenicker Bundesligist ins Olympiastadion um.
Über den Prozess der weitreichenden Sanierungsarbeiten auf dem Vereinsgelände und die Kosten des Gesamtprojekts informiert der Klub die Mitglieder demnächst auf einer Versammlung.
Derzeit wird über die enorme Skateanlage am Mellowpark eine überdimensionierte Dachkonstruktion gebaut, die den Skatern eine wetterunabhängige Nutzung ermöglichen soll. Und das ist erst der Anfang der Erneuerungsarbeiten am Sport- und Freizeitgelände an der Wuhlheide: Vom Bezirk Treptow-Köpenick hatte der Park für ein zukünftiges Jugendzentrum auf eigenem Grundstück 8,5 Millionen Euro aus einem Fördertopf des Bundes bewilligt bekommen. Von der neuen Berliner Regierung gibt es zusätzlich Rückendeckung für die Weiterentwicklung der "Trendsportarten wie BMX und Skaten". So soll auch "die Umsetzung einer neuen Trainingshalle im Mellowpark" unterstützt werden. Die Kosten dafür belaufen sich Schätzungen zufolge auf 13 Millionen Euro.
Sendung: rbb24, 23.04.2023, 18 Uhr
Beitrag von Shea Westhoff
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