Para-Schwimmerin Elena Semechin
Die Internationalen Deutschen Meisterschaften im Para-Schwimmen in Berlin sind für Elena Semechin ein besonderer Saison-Auftakt. Die Schwimmerin hat ihren Kampf gegen den Krebs gewonnen - und will 2024 in Paris Gold verteidigen. Von Anton Fahl
Ein bisschen muss sie über sich selbst schmunzeln, als Elena Semechin am Donnerstagabend im Gespräch mit rbb|24 sagt: "Ich denke immer etwas größenwahnsinnig. Im Finale so schnell zu sein, war trotzdem eine Überraschung für mich. Ich bin sehr, sehr froh und beruhigt, weil ich jetzt weiß, dass ich relativ viel richtig gemacht habe – oft musste ich auf mein Gefühl und meinen Körper hören", so die 29-jährige Schwimmerin. "Manchmal ist weniger mehr. Heute habe ich den Beweis dafür bekommen. Wir haben eine gute Balance zwischen Training und Erholung gefunden. Ich denke, da sind auch noch Kapazitäten – ich möchte jetzt immer weiter und immer schneller."
Kurz zuvor hatte Semechin bei den 37. Internationalen Deutschen Meisterschaften im Para-Schwimmen (IDM) über 100 Meter Brust die Goldmedaille gewonnen. Aufgrund der seltenen Erbkrankheit Morbus Stargardt verfügt sie nur noch über eine Sehfähigkeit von zwei Prozent.
Bei den Wettkämpfen, die vom 11. bis 14. Mai in Berlin stattfinden, gehen rund 550 Sportler aus über 50 Ländern an den Start. Die Medaille und ein Teddybär, den Semechin im Zuge der Siegerehrung ebenfalls überreicht bekam, sind der Beweis. Ein besonders eindrucksvoller noch dazu, denn es ist nur wenige Monate her, dass Semechin ihren Kampf gegen eine Krebserkrankung gewonnen hat.
Im September 2021 gewann sie bei den Paralympischen Spielen in Tokio die Goldmedaille über 100 Meter Brust, ihre Paradedisziplin. Nur wenige Wochen später, im Oktober, erhielt sie dann eine besonders bittere Diagnose: bösartiger Hirntumor. Semechin wurde operiert und musste 13 Zyklen Chemotherapie über sich ergehen lassen. Auch während der Behandlung trainierte sie weiter, nahm an Wettkämpfen teil und gewann bei der Para-Schwimm-Weltmeisterschaft 2022 eine Silbermedaille.
Seit Februar hat sie den Krebs offiziell besiegt - wenn auch vielleicht nur vorübergehend: "So ganz aus dem Kopf ist der Krebs nicht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er wieder auftaucht", sagt Semechin.
"Der Sport hilft mir aber ganz gut, dass ich nicht die ganze Zeit daran denken muss. Direkt nach dem Abschluss der Chemo hatte ich ein kleines, mentales Tief. Da habe ich gedacht: Ich habe ja gar keine Kontrolle, der Krebs könnte jederzeit wieder wachsen. Dieser Angstzustand war demotivierend", sagt Semechin weiter. "Jetzt bin ich wieder im Flow. Ich trainiere, ich reise, ich habe wieder Wettkämpfe, ich habe wieder einen ganz anderen Rhythmus und muss eben nicht alle vier Wochen die Chemo machen. Ich muss sagen: Das ist schön. Klar, ich bin immer platt nach dem Training. Aber jetzt ist es ein schönes Plattsein. Ich habe etwas gemacht und fühle mich lebendig. Vorher habe ich Pillen geschluckt und war deswegen extrem platt. Das ist ein ganz anderes Lebensgefühl."
Dabei immer an ihrer Seite: Trainer Philipp Semechin, den sie im Jahr 2021 heiratete. Über dessen "Doppelfunktion" und fachliche Einschätzung zum gelungenen Start in die IDM-Wettkämpfe sagt Elena Semechin: "Der war sehr froh. Für ihn war es – auch aus Trainer-Sicht - ein sehr wichtiges Zeichen, dass wir das gut gemacht haben."
Die IDM sind für Semechin, die in Kasachstan auf die Welt gekommen ist und seit 2015 für den Paralympischen Sport-Club Berlin schwimmt, nicht nur der erste Wettkampf seit der überstandenen Chemotherapie, sondern gleichzeitig auch der Auftakt in eine aufregende Zeit: "Das war ein toller Start in die Saison. Eine bessere Atmosphäre hätte man sich nicht wünschen können. Das habe ich sehr genossen."
Nun kämen für sie bei den IDM noch "die Fun-Sachen", wie Semechin es formuliert, "kurze Sachen, die ich seit Ewigkeiten nicht geschwommen bin." Konkret: 50 Meter Brust und 50 Meter Kraulen am Samstag, 50 Meter Schmetterling am Sonntag.
Dann sollen die nächsten großen Ziele angeschwommen werden. Im Sommer heißt es: Para-Schwimm-WM in Manchester (31. Juli bis 6. August). "Vom Trainingsaufwand bin ich bei 80 Prozent. Ich bin noch lange nicht da, wo ich wieder sein möchte", sagt Semechin. "Die Nachwirkungen der Chemo merke ich natürlich schon. Die Regenerationszeit ist viel länger, die Belastungsverträglichkeit ist auch noch nicht wieder so richtig da. Wir versuchen, bis zur WM so viel wie möglich herauszukitzeln und werden das Training vielleicht noch etwas intensiver gestalten."
In Paris – bei den Paralympischen Spielen 2024 – möchte sie dann erneut ganz nach oben, ihre Goldmedaille verteidigen. "Das ist mein Ziel. Es ist nicht mein Anspruch zu sagen: Nee, ich bin krank und es ist okay, wenn ich da im Finale schwimme. Dafür stehe ich nicht jeden Tag auf und quäle mich, um dabei zu sein." Größenwahnsinnig ist diese Einstellung – nach allem, was Elena Semechin schon erreicht und durchgemacht hat – beileibe nicht.
Sendung: rbb24, 10.05.2023, 18:00 Uhr
Beitrag von Anton Fahl
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