Comeback von Annika Zillekens im Modernen Fünfkampf
Ein verängstigtes Pferd, eine überforderte Reiterin und eine Tierschutz-Debatte: Olympia in Tokio veränderte Annika Schleus Leben. Inzwischen heißt sie Zillekens, ist Mutter - und nach langer Pause zurück im Wettkampf. Mit dem Traum von Paris. Von Jonas Schützeberg
Sie nimmt die Waffe von dem kleinen Hocker, atmet einmal durch und zielt auf die Wohnungstür. Annika Zillekens drückt fünf mal ab und alle LED-Lämpchen auf der kleinen Zielscheibe springen von rot auf grün - Training mit der Laserpistole in den eigenen vier Wänden.
"Ich war früher unglaublich an den Zeitplan gebunden, also wenn irgendwas nicht mega korrekt mit meinem Trainingsplan abgelaufen ist, hatte ich das Gefühl, ich habe nicht ordentlich trainiert. Jetzt muss ich von der unflexibelsten Athletin überhaupt zur flexibelsten werden", erklärt die Moderne Fünfkämpferin. Alles ist anders, seitdem Frieda da ist. Mit der neun Monate alten Tochter hat sich der Alltag der Leistungssportlerin komplett gedreht.
Nach anderthalb Jahren Wettkampfpause ist die 33-Jährige zurück, der Stellenwert des Sports hat sich jedoch etwas verschoben: "Ich lasse ihn nicht mehr das 100 Prozent Wichtigste in meinem Leben sein, weil ich gesehen habe, wie das alles zusammenbrechen kann." Sie wechselt sich mit ihrem Ehemann Christian Zillekens in der Kinderbetreuung ab. Einer trainiert, der andere passt auf die kleine Frieda auf.
Vor allem gibt die Tochter viel Kraft, beschreibt die mehrmalige Weltmeisterin: "Ich habe das Gefühl, ich bin im Wettkampf lockerer, weil ich danach gleich wieder in eine andere Rolle schlüpfen muss. Frieda interessiert es nicht, ob ich vorher schlecht gelaufen bin. Sie möchte, dass ich danach wieder mit ihr Spaß habe."
Sie bürstet über den dunkelbraunen Rücken. Castillo steht ruhig in seiner Box. Annika Zillekens hat Einzeltraining im Reitstall im Olympiapark. Sie genießt die freie Zeit mit den Pferden, die Liebe zum Reiten ist immer geblieben: "Es ist für mich noch etwas hart zu akzeptieren, dass es leider immer ein Teil meiner Geschichte sein wird. Aber ich weiß, dass es so ist und ich kann es nicht ändern, deswegen kann ich damit auch umgehen."
Unvergessen bleiben die Bilder von den Olympischen Spielen in Tokio 2021. Damals hieß Annika mit Nachnamen noch Schleu. Sie lag im Modernen Fünfkampf klar auf Goldkurs, bis der olympische Ritt ihr Leben veränderte: Ein verängstigtes Pferd verweigerte im Parcours, Schleu war mit der Situation überfordert. Sie setzte unter Tränen mehrere Hiebe mit der - im Reglement zulässigen - Gerte ein, um Saint Boy durch den Parcours zu führen. Bundestrainerin Kim Raisner rief: "Hau drauf, hau richtig drauf!" und gab dem Pferd einen Schlag mit der Faust.
Schleu musste den Wettkampf aufgeben - und es entbrannte eine General-Debatte über den Tierschutz und die Disziplin Reiten im Modernen Fünfkampf. "Ich schaue mir die Bilder nicht so gern an, aber ich bin auch nicht in der Situation, dass ich es nicht kann. Für Menschen, die mir sehr nahe stehen, ist das schwieriger", so Zillekens heute.
Bundestrainerin Kim Raisner entschuldigte sich später, wies die Vorwürfe der Tierquälerei aber entschieden zurück: "Ich liebe Tiere, genau wie Annika und bin weit davon entfernt, ein Pferd zu quälen. Im Nachhinein kann man sagen, der Klaps auf den Hintern war zu harsch, der hätte nicht sein müssen, aber der war nicht doll."
"Tatsächlich hat sich nicht viel geändert, ich freue mich immer aufs Reiten, es ist ein extrem guter Ausgleich. Ich bin eher ziemlich traurig, dass es so einfach aus dem Fünfkampf rausgekürzt wurde und sich nicht mehr mit den Regeln auseinander gesetzt wurde", erklärt die 33-Jährige.
In Paris wird Reiten zum letzten Mal eine der fünf Disziplinen des olympischen Fünfkampfes sein, danach wird es durch "Obstacle", eine Art Hindernislauf ersetzt. Doch auch aktuell dreht sich die Sportart weiter - mal wieder. Die fünf Disziplinen sind im Finale in nur noch 90 Minuten gepresst: "Es ist ein absolut anderer Wettkampf geworden. Ab dem Weg zum Schwimmen und dann zum Laser Run ist es wirklich totaler Stress. Man plant vorher alles im Detail, wo liegt etwas, sind meine Wettkampfschuhe schon am Start, die Trainer befestigen die Startnummer etc."
Vor gut zwei Wochen absolviert Annika Zillekens ihren ersten großen Einzelwettkampf seit Olympia, beim Weltcup in Sofia. Es ist die erste Standortbestimmung, Vergleiche hat sie aktuell wenig. Wegen des vollen Zeitplans mit der kleinen Tochter, trainiert Zillekens viel allein, ohne Trainingsgruppe.
"Als ich dorthin gekommen bin, war ich so unsicher. Aber als ich gesehen habe, dass ich schon wieder irgendwie mithalten kann, dass ich nicht das letzte Ende der Schlange bin, sondern im Mittelfeld mit tummele, das hat dann auch wieder richtig Spaß gemacht." Die Sportsoldatin wird überraschend starke Elfte und meldet sich eindrucksvoll in der Fünfkampfwelt zurück.
Ende Juni wird Zillekens bei den European Games in Krakau an den Start gehen, denn dort werden bereits die Tickets für die ersten Startplätze bei Olympia vergeben. Wer sich hier schon qualifiziert, kann sich lang und in Ruhe auf das sportliche Highlight vorbereiten.
Einmal möchte sie noch auf die Olympische Bühne, gemeinsam mit ihrem Ehemann, der selbst Moderner Fünfkämpfer ist: "Natürlich ist der Traum in Paris immer noch die Medaille, was ja dann wie ein Märchen wäre. Andererseits hoffe ich, durch die Familie, die ich gegründet habe, dass ich mit etwas mehr nötiger Lockerheit reingehe und es auch nochmal richtig genießen kann - meine letzten Olympischen Spiele."
Sendung: rbb24, 24.05.2023, 18 Uhr
Beitrag von Jonas Schützeberg
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