Neue Spielform des Kinderfußballs wird in Berlin vorzeitig verpflichtend
Kleinere Teams und Felder, viele Tore sollen fallen. Ab 2023/24 wird in Berlin der sogenannte Kinderfußball im U9-Bereich verpflichtend - noch bevor die Regelung deutschlandweit greift. Die Zustimmung ist breit, aber es gibt auch Kritik. Von Eddie Neupert
Noch schnell das etwas zu große Trikot in die Hose gestopft, die langen Ärmel hochgekrempelt und die Trinkflasche geschnappt. Schon kann es rausgehen zum Spieltag der G-Jugend. Doch beim Blick auf das Spielfeld kann es für Unwissende schnell verwirrend werden. Denn statt einem Spielfeld mit Kleinfeldtoren sind acht Minifelder mit jeweils vier Toren aufgebaut. Das Feld ist dabei in drei Zonen aufgeteilt. Einer neutralen Mittelfeldzone, sowie zwei Schusszonen. Erst in diesen dürfen Tore erzielt werden, wodurch das Zusammenspiel der Kinder gefördert werden soll.
Seit zwei Jahren ist dieser Aufbau - der sogenannte Kinderfußball - Standard im Berliner G-Jugendfußball (U7). Ab der kommenden Saison 2023/24 wird er auch auf den F-Jugend-Plätzen der Hauptstadt verpflichtend eingeführt. Die aktuelle Saison bildet einen Übergang. Kinderfußball und der klassische Ligaspielbetrieb finden nebeneinander statt. "Die freiwilligen Meldungen für die neue Spielform überwogen dabei bereits deutlich", konstatierte der Berliner Fußball-Verband [berliner-fussball.de]. Das "große Interesse am Kinderfußball" auf der einen und der "unverhältnismäßig hohe Aufwand für die Organisation eines hybriden Spielbetriebs" auf der anderen Seite führten zu dem Entschluss, ab Sommer komplett auf die neue Spielform zu setzen.
Der Blick nach Brandenburg
In Brandenburg wissen sie, dass noch Luft nach oben besteht. Schwierig ist es vor allem aufgrund der vielen verschiedenen Landkreise. So zeigten sich etwa im Havelland sich viele Leute enthusiastisch gegenüber der neuen Spielform. In anderen Teilen des Bundeslandes halte man aber lieber am traditionellen Spielbetrieb fest. Das berichtet Matthias Reer, der Vorsitzende Jugendausschusses. Dieser sei auch nicht mit so viel organisatorischem Aufwand verbunden.
Um neue Teams zu animieren, organisiert der Verband Pilotspieltage, an denen die Teams nur teilnehmen müssen und sämtliche Infos zum Kinderfußball einholen können. Derzeit nehmen über 180 Mannschaften an den Spielfesten teil. (Schätzung, weil der Spielbetrieb nicht verpflichtend ist.)
Weniger Druck, mehr individuelle Förderung
Die ersten Schritte der Entwicklung fanden noch vor der Einführung in der G-Jugend vor zwei Jahren statt. "Da haben sich einige Vereine zusammengeschlossen, um eine kindgerechte Spielform zu finden", erzählt Stephan Löprich, Mitglied im Team Kinderfußball des Berliner Fußball-Verbandes (BFV) und ehemaliger Jugendtrainer.
Kindgerecht heißt, dass es keinen Leistungsdruck gibt und die individuelle Förderung im Mittelpunkt steht. Es stehen sich auch nicht mehr Sieben gegen Sieben auf dem Feld gegenüber, sondern nur Drei gegen Drei plus zwei Rotationsspieler. "Wir sagen bewusst Rotationsspieler, weil nach einer gewissen Zeit oder einem Tor immer der Reihe nach gewechselt wird, sodass der Schwächste nicht aufgrund des knappen Ergebnisses draußen sitzt", erklärt Löprich seine Formulierung.
Gespielt werden sechs oder sieben Spiele, die je nach Altersklasse zwischen sechs bis zehn Minuten dauern. Der Gewinner steigt jeweils ein Feld auf und der Verlier ein Feld ab. Somit stehen sich nach einiger Zeit leistungsähnliche Mannschaften gegenüber und die Kinder können sich mit "Gleichstarken" messen.
Aktuell spielen über 900 Teams Kinderfußball
In Berlin hat die Spielform bereits großen Anklang gefunden und in der aktuellen Spielzeit sind "über 900 Mannschaften im Spielbetrieb gemeldet", sagt Löprich. Daher sei es der logische Schritt für den BFV gewesen, das Ganze in der F-Jugend (U8/U9) weiterzuführen und ab Sommer 2023 verpflichtend zu machen.
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) verfolgt die Entwicklung ebenfalls genau. Im März 2022 bestätigte der DFB-Bundestag die verpflichtende Umsetzung des Kinderfußballs für alle Landesverbände ab der Saison 2024/25. Ein weiteres Jahr mit diesem Schritt zu warten, sei jedoch keine Option gewesen, meint Löprich: "Wir wollten und mussten in Berlin halt ein bisschen schneller sein, weil das Interesse immer größer wurde."
Auch nach der F-Jugend soll die Entwicklung des Kinderfußballs weitergehen. Für die E-Jugend (U10/U11) gibt es bereits jetzt ein Nachfolgemodell: Fußball-Fünf heißt die Spielform hier. Das Spielfeld ist zwar größer hat aber weiterhin den gleichen Aufbau wie zuvor. Allerdings erhöht sich die Anzahl der Spieler auf fünf pro Team und es werden ab dieser Altersklasse nur noch Kleinfeldtore verwendet, wodurch erstmals ein fester Torwart aufgestellt wird.
Nicht nur Begeisterung
Ein komplett neues System, welches es auch für die Trainer, Betreuer und Eltern der Kinder zu verstehen und zu verinnerlichen gilt. "Der Trainer übernimmt eigentlich nur noch die Rolle des Spielbegleiters. Das heißt, dass nicht mehr gecoacht werden soll. Die Kinder sollen frei aufspielen und es geht nur darum, dass man die Felder wechselt, die Schuhe bindet und die Kinder ein- und auswechselt", erklärt Stephan Löprich die neue Funktion des Trainers.
Nicht bei allen Trainern stößt dies auf Begeisterung. "Wir merken, dass gerade in dem Alter die Kinder noch gelenkt werden müssen und Anweisungen brauchen", sagt Jugendtrainerin Mandy Wartenberg von Fortuna Biesdorf. Einen weiteren Kritikpunkt sieht sie bei der Organisation der Spieltage: "Alleine die Vorbereitung. Spielfelder ausmessen, Tore aufstellen, Materialien zusammensuchen. Das ist schon eine Herausforderung und bedarf viel Zeit und viele Helfer."
Christian Zientek, Jugendkoordinator des SV Bau-Union, steht hingegen hinter dem Konzept: "Das Drei gegen Drei ist die beste Lösung im Kinderfußball, weil jeder viele Ballkontakte hat, kaum Standzeit und auch das Flugzeuge-Beobachten ist deutlich weniger geworden."
Ähnlich durchmischt sind die Meinungen bei den Eltern. "Von 'das ist doch kein Fußball' bis hin zu 'ja, das ist doch eine tolle Sache' war alles dabei", erinnert sich Zientek an die ersten Reaktionen. Die Unterschiede zum vorherigen System machen sich dennoch deutlich merkbar, findet Löprich: "Jedes Kind schießt im Normalfall ein Tor. Das ist das, was bei den Kindern hängen bleibt. Die sind glücklich. Und wenn die Kinder glücklich sind, dann sind die Eltern glücklich."