Unions Niederlage in Hoffenheim in der Analyse
Union verpasst in Hoffenheim die historische Chance, sich vorzeitig für die Champions League zu qualifizieren. Weil Mannschaft und Trainer durch eigene Fehler selbst daran schuld waren, erinnerte das an die Vergangenheit der Köpenicker. Von Till Oppermann
"Kurz bevor etwas Großes passieren kann, patzt der 1. FC Union". Lange gehörte dieses Selbstbild fest zur Identität der Eisernen. Als der Verein nach der Wende eine Bankbürgschaft fälschte und so trotz des sportlichen Aufstiegs in die zweite Liga drittklassig blieb, demonstrierten einige Fans vor der DFB-Zentrale. Nachdem Kapitän und Leistungsträger Steffen Menze im Jahr 2000 in der Relegation den entscheidenden Elfmeter verschoss, riefen die Eisernen bei Niederlagen scherzhaft "Menze ist schuld."
Selbst vor dem Aufstieg in die Bundesliga im Jahr 2019 musste Union den Umweg über die Relegation nehmen, weil das Team am letzten Spieltag in Bochum völlig unnötig mit 0:2 in Rückstand geriet. Demonstriert wurde nicht mehr. Man kannte das schon. Nachdem Union in der Relegation doch noch aufstieg, folgten vier rauschhafte Jahre in der Bundesliga. Der Samstagnachmittag in Hoffenheim war da bei allem Ärger über die 2:4-Niederlage eine erfrischende Erinnerung an diesen alten 1. FC Union.
Ein Sieg hätte beim Abstiegskandidaten gereicht und die Champions League wäre den Eisernen sicher gewesen: wegen drei Punkten Vorsprung und der deutlich besseren Tordifferenz gegenüber der Konkurrenz aus Freiburg. Doch es kam anders - und zwar völlig selbstverschuldet: "Auf einmal liegen wir 0:2 hinten, das war unnötig und das darf so nicht passieren", schimpfte Trainer Urs Fischer und fügte an: "Bei den Gegentoren helfen wir auch wieder mit."
Nachdem ein verpatzter Kopfball von Diogo Leite in der 22. Minute nicht zu Torwart Frederik Rönnow, sondern zu Hoffenheims Ihlas Bebou sprang, erzielten die Gastgeber das 1:0. Danach dauerte es nur wenige Minuten, bis Leite erneut im Mittelpunkt stand. Diesmal trat der Portugiese Bebou mit offener Sohle vor das Schienbein. Nach VAR-Einsatz gab es Elfmeter und auch wenn der Verteidiger vor dem Schienbein den Ball touchierte, war das berechtigt - das Einsteigen war einfach zu stümperhaft. Auch eine Stunde ärgerte sich Urs Fischer in der Mixed Zone noch über die "Geschenke, die man Hoffenheim gemacht hat."
Womöglich ärgerte er sich aber auch über sich selbst. Denn schon zur Pause musste sich Fischer zwei Fehler in seiner Startaufstellung eingestehen und wechselte nicht nur den Unglücksraben Leite aus, sondern tauschte auch Mittelfeldspieler Morten Thorsby gegen Aissa Laidouni. Von den zwölf Pässen des Mittelfeldspielers Thorsby kam nur jeder Dritte an und auch in Zweikämpfen wirkte er völlig überfordert. Weil zusätzlich auch Dauerbrenner Rani Khedira in der Zentrale einen schlechten Tag erwischte, fehlte Union die gewohnte Dominanz in der Feldmitte.
"Die erste Hälfte haben wir einfach verschenkt", klagte Khedira. Man habe wenig Intensität und Feuer gezeigt. Dass es Union in der zweiten Hälfte besser machte, hing stark mit der Leistung des eingewechselten Laidouni zusammen, der nicht nur unermüdlich und zweikampfstark über den Platz rannte, sondern mit seiner Technik auch das Offensivspiel verbesserte. Von Laidounis 18 Pässen fanden 89 Prozent einen Mitspieler. Seine akkuraten langen Pässe ermöglichten den Eisernen endlich den Takt des Spiels zu bestimmen und damit auch über die Intensität zu entscheiden. Schlussendlich hatte Union mit 56 Prozent deutlich mehr Ballbesitz und lief trotzdem einen Kilometer weiter als Hoffenheim.
Aber mit der Statistik war das am Samstag so eine Sache: Union setzte auch zu mehr Sprints an, gewann mehr Zweikämpfe, hatte die bessere Passquote und erspielte sich mehr Chancen als Hoffenheim und trotzdem siegten die Gastgeber. Normalerweise ist das Unions Weg, um Spiele zu gewinnen. Am Samstag sah das anders aus - nicht nur, weil auch das dritte Tor der Hoffenheimer auf einen individuellen Patzer der Eisernen folgte. Denn Einladungen müssen auch angenommen werden und insbesondere in dieser Hinsicht war die TSG die bessere Mannschaft.
"Du musst deine Chancen nutzen", haderte Urs Fischer und dachte unter anderem an zwei Szenen, in denen Sheraldo Becker völlig frei vor dem Tor auftauchte, aber nicht traf. "Fußball ist ein Fehlerspiel", kalauerte Urs Fischer. Aber auch wenn dieser Satz in einem bekannten Fußballtalkformat mehrere Euros ins Phrasenschwein kosten würde, hat er einen wahren Kern. Denn in diesem Sinne waren die Kraichgauer am Samstag das bessere Team: Sie fabrizierten weniger Fehler und nutzten die des Gegners besser aus. So einfach ist es manchmal.
Trotz der Trauer über die vorerst verpasste Qualifikation für die Königsklasse vergaß es Rani Khedira nicht, den Union-Fans für ihre Unterstützung zu danken: "Wenn man sich anschaut, wie viele Unioner uns hier heute angefeuert haben, obwohl wir 2:4 verloren haben, können wir uns glücklich schätzen", so der stolze Sechser. Eine Chance bleibt der Mannschaft noch, um die punktbeste Saison der Vereinsgeschichte mit dem ganz großen Wurf zu krönen und die vielen Pleiten der Geschichte noch weiter auf die hinteren Seiten der Union-Chronik zu verbannen.
Und ist es nicht sowieso viel schöner, wie nach dem Aufstieg 2019 im eigenen Stadion zu feiern? Bis dahin ist noch viel zu tun. Für eine Mannschaft, die sich vor dem letzten Heimspiel wieder auf ihre Stärken besinnen muss. Und einen Trainer, der gegen Bremen mit Sicherheit nicht bereits zur Pause schon zwei seiner Entscheidungen in der Startelf revidieren will.
Sendung: rbb24, 20.05.2023, 21:45 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
Artikel im mobilen Angebot lesen