Kommentar | Abstieg in die 2. Liga
Mit dem 1:5 gegen Leverkusen ist Turbine Potsdam aus der Frauen-Bundesliga abgestiegen. Die erfolgreichen Zeiten des Traditionsklubs mit Titeln und Pokalen waren schon länger vorbei - nun hat der Niedergang einen neuen Tiefpunkt erreicht. Ein Kommentar von Lars Becker
Das ist ein trauriger, ein ganz bitterer Tag für Turbine und seine Fans, für die Stadt Potsdam und für den gesamten Frauenfußball in Deutschland. Turbine Potsdam, über Jahrzehnte einer der prägendsten und erfolgreichsten Klubs in Deutschland, steigt aus der Bundesliga ab. Sechs DDR-Meisterschaften, sechs weitere Meistertitel im vereinten Deutschland plus drei Pokalsiege und zwei Champions League-Triumphe verschwinden in der Zweitklassigkeit. Gerade noch Pokal-Finalist und nur knapp an der Qualifikation für die Champions League gescheitert - und ein Jahr später komplett abgestürzt. Das muss man erstmal hinkriegen.
Aber die Katastrophe ist nicht über Nacht gekommen. Sie hatte sich über einen längeren Zeitraum angedeutet und schließlich wie eine Lawine beschleunigt - durch zwei parallele Entwicklungen: durch gravierende Versäumnisse und Fehler bei Turbine und eine grundlegende Veränderung im Frauenfußball.
Bereits in den Erfolgsjahren bis 2012 unter Bernd Schröder hatte es der Verein versäumt, moderne und professionelle Strukturen zu schaffen. Gleichzeitig übernahmen mit Wolfsburg und den Bayern die ersten Frauen-Teams von Männer-Bundesligisten die Macht - mit deutlich höheren Etats und ganz anderen Möglichkeiten -, während die finanziell zunehmend abgehängten Turbinen in einer immer kleiner werdenden Nische werkelten. Auch die Kooperation mit Hertha BSC wurde von beiden Seiten nur halbherzig betrieben und die Nachwuchsarbeit auf dem Potsdamer Sportinternat - ein wesentlicher Faktor der Erfolgs-Ära - brachte immer weniger Talente hervor.
Die Beschleunigung des Niedergangs war dann komplett selbstverschuldet: Abgänge von Führungsspielerinnen, Trainer-Entlassung, Rücktritt des Präsidenten, zerstrittene Gremien, fehlende sport-fachliche Kompetenz, heilloses Chaos. Der Absturz war nicht mehr aufzuhalten. Und der Deutsche Fußball-Bund zeigt wenig Interesse, die Traditionsklubs des Frauen-Fußballs zu unterstützen. Im Gegenteil: Der DFB verpflichtet die Männer-Bundesligisten mehr Geld in ihre Frauen- und Mädchen-Abteilungen zu investieren.
Die Zeit der reinen Frauen-Fußball-Vereine in Deutschland ist wohl abgelaufen. Wie in den anderen europäischen Top-Ligen, in England, Frankreich und Spanien, wo längst die Frauen-Teams der Groß-Klubs dominieren. Aktuell steigt RB Leipzig in die Bundesliga auf. Für Turbine ist da - leider - kein Platz mehr.
Ein Leuchtturm des Frauen-Fußballs in Deutschland verabschiedet sich von der großen Bühne. Vermutlich auf Nimmerwiedersehen. Wahrlich ein trauriger, ein ganz bitterer Tag.
Sendung: rbbUM6, 13.05.2023, 18 Uhr
Beitrag von Lars Becker
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