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Quelle: IMAGO / Rainer Schulz, Contrast

Interview | Zeithistoriker über Unions Chance auf die Champions League

"Ich hoffe sehr, dass es die anderen ostdeutschen Vereine beflügelt"

Der Einzug des 1. FC Union als Ex-DDR-Oberligist in die Champions League wäre ein historisches Novum. Was Zeithistoriker Daniel Küchenmeister an dieser Betrachtung stört - und warum es ausgerechnet der DDR-Fahrstuhlmannschaft gelingen könnte.

rbb|24: Herr Küchenmeister, der 1. FC Union hat gute Chancen, der erste ehemalige DDR-Oberligist zu sein, der als gesamtdeutscher Starter an der Champions League teilnimmt. Wie geschichtsträchtig wäre dieser Einzug?

Daniel Küchenmeister: (überlegt) Ich muss etwas vorwegschicken: Bei mir gibt es bei dieser Art der Betrachtung eine gewisse Grundskepsis.

Warum?

Ich finde es problematisch, dass sich nach mehr als drei Jahrzehnten immer noch auf die DDR-Historie und die des Oberliga-Fußballs bezogen wird. Diese Zeitspanne ist fast so lang wie die Geschichte der DDR selbst. Und sie ist sogar länger als die, in der die Oberliga in der Qualität ausgetragen wurde, wie wir sie seit Mitte der sechziger Jahre kannten. Man sollte also vorsichtiger sein, diese Phase heranzuziehen - auch wenn es natürlich naheliegend ist.

Zeithistoriker Daniel Küchenmeister. | Quelle: privat

Weil es so naheliegend ist, passiert es in diesen Tagen dennoch fast zwangsläufig. Löst trotz der Grundskepsis der mögliche Champions-League-Einzug des 1. FC Union etwas aus - mehr als dreißig Jahre, nachdem Hansa Rostock als letzter DDR-Meister am höchsten europäischen Vereinswettbewerb teilnahm (damals noch: Europapokal der Landesmeister, Anm. d. Red.)?

Aus der historischen Perspektive würde ich antworten: Er zeugt von einer Weiterentwicklung. Die Qualität, die der 1. FC Union jetzt an den Tag legt, wäre in der DDR-Oberliga nicht möglich gewesen. Sie ist in den achtziger Jahren immer schwächer geworden. Das hat sich auch international niedergeschlagen. Es lag nicht zuletzt an sportpolitischen Weichenstellungen, unter anderem der Dominanz und der Serien-Meisterschaft des BFC Dynamo.

Hansa Rostock nahm als letzter DDR-Meister am Europapokal der Landesmeister teil und qualifizierte sich neben Dynamo Dresden damals auch für die Bundesliga, die höchste gesamtdeutsche Spielklasse. Der 1. FC Union verpasste bei der Zusammenführung hingegen den Sprung in eine der ersten beiden Ligen. Es war nicht daran zu denken, dass Union als der beste Ex-DDR-Oberligist dasteht - geschweige denn an Champions League ...

Allerdings. Der 1. FC Union von damals war eine sogenannte Fahrstuhlmannschaft. Die sportliche Qualität reichte für den Spitzenfußball in der DDR nicht aus. Das heißt nicht, dass es keine tolle Mannschaft mit großartigem Publikum war. Aber sportlich darf man nicht vergessen, dass es in der DDR massive Eingriffe gab. Ich erinnere nur daran, dass man in einen Klub delegiert wurde. Spielerwechsel wurden von oben dekretiert. Das war ein System, das enorme Grenzen setzte, sich als Verein zu entfalten. Das galt für Union stärker als für andere Klubs.

Weil Union keine besondere Priorität bei der Staatsführung genoss?

Ja, das zum einen. Sie hatten aber auch nicht den großen Rückhalt in den Betrieben, die die Voraussetzungen mit geschaffen haben, wie das zum Beispiel beim Europapokalgewinner Magdeburg mit dem Schwermaschinenbau-Kombinat 'Ernst Thälmann' der Fall gewesen ist. Die Verbandelung war nicht so eng wie heute etwa mit Wolfsburg und VW, aber es gab ein Interesse, im Umfeld dieser großen Betriebe und in den Regionen erfolgreichen Fußball zu etablieren.

Der Weg des 1. FC Union nach oben in der Bundesrepublik sollte ein langer und mühsamer werden - und einer, der nicht ohne Rückschläge war. Doch nun ist der 1. FC Union zuhause in der Bundesliga-Spitze, während Hansa Rostock im Tabellenkeller der zweiten und Dynamo Dresden in der Spitzengruppe der dritten Liga kickt. Gibt es entscheidende und übergeordnete Gründe für diese Verschiebung der Kräfteverhältnisse?

Berlin bietet für Union ein ideales Umfeld. Es ist ein Wirtschaftsraum, der ein hohes Wachstum aufweist. Wenn man Ostdeutschland einmal räumlich nimmt, wohnen zudem im Großraum Berlin vier, viereinhalb Millionen Menschen. Bei den etwa 16 Millionen Ostdeutschen sieht man, was für einen Anteil das ausmacht. Ein solches Umfeld - von der Zahl der möglichen Fußballbegeisterten und der Wirtschaftskraft - kann keine andere ostdeutsche Mannschaft aufweisen. RB Leipzig ist insofern ein Sonderfall, weil genau diese fehlende Wirtschaftskraft dort hineingepumpt wird.

Kader, Finanzen, Historie, Stadion

Was der Einzug in die Champions League für den 1. FC Union bedeuten würde

Was wie ein Märchen klingt, hat längst reale Züge: Im Saison-Endspurt steuert der 1. FC Union auf die Champions League zu. Johannes Mohren über die historische Dimension, Auswirkungen auf Kader und Finanzen - und die Stadionfrage.

Der 1. FC Union wird also eine Ausnahmeerscheinung bleiben - und die viertklassige Regionalliga Nordost der Ort, an dem sich die meisten der einst glorreichen DDR-Klubs tummeln?

Ja, denn das Problem ist eben strukturell bedingt und wird sich mittelfristig nicht auflösen lassen. Momentan fehlt mir jegliche Fantasie. Aber ich weiß aus der Geschichte und der Fußballgeschichte im Besonderen, dass das nicht heißen muss, dass es nicht anders kommt.

Gibt es trotz der Singularität von Berlin Punkte, in denen Union für diese Vereine Vorbild für einen Weg in bessere Zeiten sein kann?

Ja. Das gilt aber nicht nur für die ostdeutschen Klubs, sondern für viele Fußball- und Sportvereine. Natürlich ist im Profibereich wirtschaftlicher Erfolg die Grundlage. Aber Union ist ganzheitlich vorbildlich entwickelt worden. Das beginnt schon beim Standort. Der Klub hat immer am Stadion An der Alten Försterei festgehalten und hat es geschafft, ihn so zu entwickeln, dass er authentisch bleibt. Sie haben dabei ihre Vergangenheit nicht abgeworfen. Allein, wenn man aufs Stadion zugeht, sieht man, wie architektonisch durch die optische Übereinstimmung mit den Industriebauten in Oberschöneweide eine Verbindung zu den Wurzeln des Vereins hergestellt wird. An anderen Orten stehen Retortenstadien.

Inwiefern würde nun eine mögliche Champions-League-Teilnahme über den 1. FC Union als Klub hinausstrahlen?

Ich hoffe sehr, dass es die anderen ostdeutschen Vereine beflügelt. Aber nicht nur die. Es ist ein Zeichen, dass man tatsächlich etwas erreichen kann, wenn man sich treu bleibt und Schritt für Schritt seine Entwicklung vollzieht. Dann bleibt es auch keine Eintagsfliege, wie bei Union in den vergangenen Jahren zu sehen ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Johannes Mohren, rbb Sport.

Sendung: rbb24, 06.05.2023, 18 Uhr

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