Sommer-Transferperiode
Im Sommer arbeitet Oliver Ruhnert fleißig am neuen Kader des 1. FC Union. Nach der Qualifikation zur Champions League stehen auf vielen Positionen Entscheidungen und harte Verhandlungen an. Von Till Oppermann
"Geduld ist eine Tugend." Das wusste der spätrömische Dichter Prudentius schon im vierten Jahrhundert nach Christus. Wahrscheinlich dachte er bei "Geduld" eher an das christliche Gegenstück zur Todsünde "Zorn" und nicht an Fußballfans eines Bundesligisten aus Berlin-Köpenick. Aber sein Sprichwort ist für die Eisernen brandaktuell. Wer sich in den vergangenen Sommerpausen daran gewöhnt hatte, dass Sport-Geschäftsführer Oliver Ruhnert direkt nach dem letzten Saisonspiel damit anfing, einen neuen Namen nach dem anderen zu präsentieren, muss diesmal länger warten.
Nach der Qualifikation für die Champions League habe man viel zu entscheiden, sagt Ruhnert: "Ich weiß nicht, ob unser Kader zum Trainingsauftakt so vollständig sein wird, wie wir uns das wünschen." Einerseits müssen Ergänzungsspieler gehen, andererseits sollen die neuen das Team zwar sportlich verstärken, aber dabei so wenig kosten, dass sie in einem Jahr ohne internationales Geschäft keine Belastung wären.
Bei seinen Torhütern hat Ruhnert wohl am wenigsten zu tun: Mit Frederik Rönnow haben die Eisernen ligaweit den Stammtorwart mit der besten Abwehrquote (bundesliga.de) und den wenigsten Gegentoren pro Spiel. Rönnows Ersatzmann Lennart Grill kassierte im Schnitt in seinen fünf Spielen zwar mehr als doppelt so viele Gegentreffer, seine Leihe wurde aber im Laufe der Saison bereits zu einem festen Transfer umgewandelt. Jakob Busk bleibt dritter Torwart. Die Gerüchte um eine Verpflichtung von Austria Wiens Christian Früchtl sind deshalb unwahrscheinlich. Auf anderen Positionen herrscht größerer Bedarf.
Das Prunkstück der Mannschaft war die 3er-Innenverteidigung mit Danilho Doekhi, Robin Knoche und Diogo Leite. Letzterer wurde nach seiner Leihe fest verpflichtet - Union Berlin bezahlte 7,5 Millionen Euro für Leites Kaufoption. Angesichts eines geschätzten Marktwerts von 12 Millionen war das ein Schnäppchen. Über seinen Nebenmann Robin Knoche berichten Medien, er habe eine Ausstiegsklausel von zwei Millionen Euro im Vertrag, Ruhnert widersprach schon vor einiger Zeit: Kein Unioner habe mehr eine solche Klausel im Vertrag. So oder so: Knoche wird Union erhalten bleiben. Er fühlt sich wohl, freut sich auf die Champions League und verlängerte im Vorjahr lange bevor das internationale Geschäft richtig klar war.
Doekhi, der dritte im Bunde, zog indes mit seinen fehlerfreien Leistungen und einer außerordentlichen Torgefahr das Interesse einiger Topklubs auf sich. So soll Inter Mailand über ein Angebot nachdenken. Da Doekhi noch Jahre unter Vertrag steht, haben die Eisernen alle Trümpfe in der Hand. Hinter dem Trio lauert Paul Jaeckel auf größere Spielanteile. Ihm ist es in der vergangenen Saison nicht gelungen, Druck auf die Kollegen machen. Weil Union nach dem Abgang von Timo Baumgartl einen weiteren Innenverteidiger verpflichten wird, muss Jaeckel in der Vorbereitung sogar um Platz vier in der Hierarchie kämpfen.
Auf den Außenbahnen haben die Wintertransfers Josip Juranovic und Jerome Roussillon trotz des Abgangs von Julian Ryerson das Niveau ordentlich angehoben. Sie werden weiter eine gute Rolle spielen. Nachdem Niko Gießelmanns Vertrag nicht verlängert wurde, bleibt neben den beiden nur noch Kapitän Christopher Trimmel. Union wird also definitiv einen neuen Spieler verpflichten, der auf der linken Seite mit Roussillon konkurriert. Seit Wochen gibt es Berichte, dass man kurz davorstehe, Barcelonas Sergino Dest zu leihen. Der ist zwar ursprünglich auf der rechten Seite daheim, hat aber auch schon oft links gespielt.
Damit hat Union gute Erfahrungen gemacht: Ryerson hat vor seinem Transfer nach Dortmund zwischen beiden Seiten gewechselt und insbesondere durch die Möglichkeit mit rechts nach innen zu ziehen eine neue Farbe ins Offensivspiel gebracht. Zuletzt wurde auch über ein Interesse an Nationalspieler Robin Gosens berichtet. Der wäre zwar sehr teuer, aber spielt bei Inter. Die möchten Doekhi - vielleicht ist das eine Verhandlungsgrundlage?
Im defensiven Mittelfeld spielte Rani Khedira ebenso zuverlässig wie konkurrenzlos. Alex Kral soll ihm mehr Druck machen. Kral kommt ablösefrei, vorher gehörte er bei Absteiger Schalke zu den Lichtblicken. Der tschechische Nationalspieler ist kopfballstark, arbeitet gut gegen den Ball und dribbelt gerne, um die gegnerischen Linien zu überwinden. Auf dieser Position sind die Planungen damit wohl abgeschlossen.
Aissa Laidouni hat mit seinen Leistungen gegen Ende der Saison schon gezeigt, dass er nach kurzer Eingewöhnungsphase in der Bundesliga angekommen ist und Union auf der Achterposition verstärkt. Laidouni ist derzeit mit Janik Haberer und dem verletzungsgeplagten Andras Schäfer eine von nur drei echten Optionen für die beiden Plätze im Mittelfeld, denen man die Champions League zutrauen kann. Morten Thorsby hat diese Erwartungen nicht erfüllt.
Im zentralen Mittelfeld braucht Union daher mindestens einen, wenn nicht eher zwei neue Spieler von internationalem Format. Der geplatzte Transfer von Isco und Erkundigungen nach Naby Keitas Gehaltsvorstellungen beweisen, dass der Klub hier durchaus bereit ist, ein finanzielles Risiko einzugehen, um spielerisch die nächste Stufe zu zünden. Gerade gegen tiefstehende Gegner kamen aus dem Mittelfeld zu wenig Impulse. Levin Öztunali wurde schon verabschiedet, mit Paul Seguin, Kevin Möhwald und Milos Pantovic sollen drei weitere Spieler gehen.
Die erste Überraschung des Transfersommers gelang Oliver Ruhnert im Angriff: Der 1,90 Meter große aber trotzdem über 35 km/h schnelle Däne Mikkel Kaufmann sammelte in der letzten Rückrunde beim Karlsruher SC 17 Scorerpunkte in der zweiten Liga und schließt sich für eine Ablöse im niedrigen siebenstelligen Bereich Union an. Mit 22 Jahren ist er noch entwicklungsfähig und kann laut Ruhnert sowohl als Zielspieler als auch neben einer "Keilspitze" agieren. Ob er auch sofort die Qualität im Angriff erhöht, bleibt abzuwarten.
Nicht nur deshalb und weil Sven Michel vor einem Abgang steht, wird Union in der Sturmspitze noch nachlegen. Kevin Behrens konnte zwar anders als Jordan Siebatcheu voll überzeugen, ein weiterer Stürmer soll trotzdem auf der Liste stehen. Außerdem ist weiter unklar, was mit Starspieler Sheraldo Becker passiert. Er geht in sein letztes Vertragsjahr, hat kürzlich den Berater gewechselt und ist offen für eine neue Herausforderung in England: West Ham United soll interessiert sein. Zwar steht mit Jamie Leweling bereits ein ähnlicher Spieler im Kader, aber im Falle eines Verkaufs von Becker wäre sicher Union bereit, eine ordentliche Summe in einen neuen Star zu investieren.
Sendung: rbb24 Inforadio, 16.06.23, 10:15 Uhr
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