Trainingsauftakt bei Hertha
Hertha BSC hat am Montag die Vorbereitung für die neue Saison gestartet. Trainer Pal Dardai hat nun einen Monat, um eine konkurrenzfähige Mannschaft mit klarer Spielidee zu entwickeln. Von Marc Schwitzky
"Erst mal werde ich eine schriftliche Analyse abgeben – wie ich das hier sehe", kündigte Pal Dardai vor einem Monat nach dem feststehenden Abstieg aus der Bundesliga an. "Ich kenne mich, ich bin ehrlich. Mal sehen, wie der ganze Klub das dann sieht." Der Klub, Hertha BSC, sieht vor, dass Dardai nun selbst die Handlungsempfehlungen seiner Analyse in die Tat umsetzen darf – auch in Liga zwei wird es mit dem Ungarn weiter gehen.
Angesichts der kurzen Saisonvorbereitung war das wohl die einzig richtige Entscheidung der Verantwortlichen. Nachdem Hertha die DFL-Lizenz erhalten und die Rückzahlung der Nordic-Bond-Anleihe erfolgreich in den November 2025 verschoben hat, kann der Verein erstmals seit längerer Zeit ins Tagesgeschäft übergehen, das ebenfalls große Herausforderungen bereit hält.
Dardai und seinem Trainerteam bleibt nach dem Trainingsstart am Montag ein Monat, um einem derzeit aufgeblähten Kader, der sich noch stark verändern wird, das Rüstzeug für die zweite Liga an die Hand zu geben. Eine Mammutaufgabe.
Bei seinem letztmaligen Amtsantritt im Januar 2021 sagte Dardai, dass man als neuer Trainer sechs Wochen Vorbereitung bräuchte, um die Mannschaft kennenzulernen und auf die eigenen Ideen einzustellen. So viel Zeit hat der 47-Jährige dieses Mal nicht, die neue Zweitliga-Saison beginnt bereits am 28. Juli. Nun wird Dardai jedoch zugutekommen, dass er Herthas Kader bereits sechs Wochen kennt – die sechs Wochen, in denen er die Mannschaft in der abgelaufenen Saison als Nachfolger von Sandro Schwarz betreut hat.
Und doch sind die vier, fünf bevorstehenden Wochen keine lange Zeit, um eine noch gänzlich zusammengewürfelte Mannschaft auf die neue Aufgabe in der zweiten Liga einzustellen. Neben allen inhaltlichen Aufgaben wird auch das Wie entscheidend sein – Dardai und sein Trainerteam müssen in der Trainingsarbeit sehr klar und effizient arbeiten, um ihre Vorstellungen möglichst schnell implementieren zu können. Will Hertha um den Aufstieg mitspielen, sollte der Saisonstart – auch um öffentlichen Druck zu vermeiden – zumindest nicht verpatzt werden. Die Berliner müssen also auf den Punkt da sein.
Zwar werden für Hertha als Zweitliga-Riese auch offensive Fragen auf der Tagesordnung stehen, doch alles beginnt stets in der Defensive. In der abgelaufenen Saison kassierten die Blau-Weißen die drittmeisten Gegentreffer der Liga, in den letzten Jahren hatte Hertha immerwährende Abwehrprobleme: fehlende Abstimmung zwischen den Spielern, individuelle Fehler und ein miserables Abwehrverhalten bei Standardsituationen.
Einer der Hauptaufgaben von Dardai wird also sein, seine Taktik von hinten heraus aufzubauen und zunächst die Defensive zu stärken. Hierfür wird es vor allem auf die personelle Zusammenstellung ankommen. Dardai wird ein gutes Händchen für seine Spieler beweisen müssen, gleichzeitig aber auch davon abhängig sein, was auf dem Transfermarkt passiert und wer von seinen Verteidigern noch geht. Mit Marton Dardai, Linus Gechter oder auch Pascal Klemens hat der Trainer in jedem Fall talentierte Nachwuchskräfte, um der Abwehr ein neues Gesicht zu verleihen.
Auf dem Berliner Schenckendorffplatz im Olympiapark hat Dardai zum Trainingsauftakt am Montag knapp 40 Spieler begrüßen dürfen. Spieler, die bleiben; Spieler, die gehen werden; Spieler, die von ihren Leihen zurückgekehrt sind; Talente, die zu den Profis hochrücken – es ist ein bunter Haufen. Zu bunt. Vieles im Kader wird sich noch tiefgehend verändern. Eine Kernaufgabe von Dardai wird es sein, mit diesem Monstrum von Mannschaft umzugehen.
Als es vor ein paar Wochen noch darum ging, die Erstliga-Saison zu retten, konnte Dardai es sich leisten, öffentlichkeitswirksam schroff mit Herthas Profis umzugehen – schließlich musste alles dem Ziel Klassenerhalt untergeordnet und der Kreis klein gehalten werden. Nun aber wird Dardai zunächst alle vorhandenen Spieler glaubhaft einbinden müssen - auch mit Blick auf das Transferfenster, das erst Anfang September schließt. Zum einen, um mögliche Potenziale, die in Liga eins verborgen blieben, zu entdecken. Zum anderen, um die Marktwerte der Spieler für einen etwaigen Abgang nicht weiter zu schmälern. Es ist ein Poker und damit ein Drahtseilakt für Dardai, der sich auch immer wieder öffentlich für seine Personalentscheidungen erklären werden muss.
Er ist also auch als Moderator gefragt, der alle Spieler mitnimmt und Chancen aufzeigt. Trotz der zahlreichen Kaderbewegungen wird er ein Wir-Gefühl entstehen lassen müssen. Hierfür wird eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Sportdirektor Benjamin Weber der Schlüssel sein, um Personalien stets gemeinsam abwägen zu können.
Das Aufzeigen von Chancen gilt vor allem für Herthas Eigengewächse. Will Hertha den neu eingeschlagenen "Hertha-Weg" glaubhaft leben, müssen die Talente von Anfang an gefördert werden. Dardai begann bereits in der abgelaufenen Saison, Akademiespieler wie Ibrahim Maza, Pascal Klemens, Derry Scherhant oder Veit Stange aktiv einzubinden. "Die jungen Spieler sind gut bei Hertha BSC. Man muss ihnen eine Chance geben und ein bisschen Geduld haben. Das ist der Hertha-Weg", sagte Dardai nach dem letzten Saisonspiel in Wolfsburg, als er mit einigen Eigengewächsen im Aufgebot einen 2:1-Sieg einfahren konnte.
Aufgrund finanzieller Probleme und einer dringend benötigten Nachhaltigkeit im Kader werden die Talente in Liga zwei noch mehr in den Fokus rücken. Hierfür muss Dardai bereits in der Vorbereitung den Grundstein legen, um deren Eingewöhnung und den Sprung in die 2. Bundesliga möglichst reibungslos zu gestalten. Maza, Klemens und Co. müssen Vertrauen spüren und in den Wochen vor Saisonstart viel Trainings- und Spielpraxis erhalten. Will Hertha ein anderes Gesicht zeigen, das für einen echten Neuanfang steht, wird jenes Gesicht maßgeblich vom Umgang mit den eigenen Talenten geprägt sein.
"Es ist eine Riesenchance für Hertha BSC, Mentalität und Spielkultur aufzubauen", ringt Dardai dem Bundesliga-Abstieg etwas Positives ab. Für jene Chance werden die kommenden vier Wochen entscheidend sein.
Sendung: rbb24 Inforadio, 26.06.2023, 15:17 Uhr
Beitrag von Marc Schwitzky
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