Meinung | Union-Spiele im Olympiastadion?
Union Berlin scheint für die Heimspiele in der kommenden Champions-League-Saison ins Olympiastadion ziehen zu wollen. Dafür lassen sich gute Argumente finden. Die Frage ist nur, ob es die richtigen sind. Von Ilja Behnisch
"Die Wahrheit liegt auf dem Platz", hat Trainer-Guru Otto Rehhagel einst gesagt. Im Fall des Fußball-Bundesligisten Union Berlin allerdings stellt sich neuerdings die Frage: auf welchem eigentlich?
Denn wenn der 1. FC Union ab dem 19. September 2023 erstmals in der Gruppenphase der Champions League antritt, könnte er tatsächlich im heimischen Stadion An der Alten Försterei auflaufen. Für Menschen, die den Fußball nur beiläufig verfolgen, mag das nach einer Binse klingen. Tatsächlich aber waren die Wettbewerbe der Uefa lange Zeit ausschließlich Sitzplatz-Angelegenheiten. Von denen hat Union aktuell lediglich 3.617 Stück, weshalb der Verein etwa für die Conference-League-Saison 2021/22 ins Olympia-Stadion umgezogen war, Heimspielstätte von Lokalrivale Hertha BSC.
Erst in der vergangenen Spielzeit war es den teilnehmenden Klubs dank eines Pilot-Projekts erlaubt, für Europapokal-Partien auch Stehplatz-Tickets zu verkaufen. Die gesammelten Erfahrungen scheinen gut gewesen zu sein, denn die Genehmigung erstreckt sich nun auch auf die kommende Saison.
Unions Präsident Dirk Zingler hatte allerdings bereits Anfang Juni und also vor dieser Entscheidung in einem vereinseigenen Video-Interview erklärt: "Zurzeit verdichten sich die Themen, dass wir die Champions League nicht in unserem Stadion spielen." Vor der Europa-League-Saison 2022/23, die Union dank des Uefa-Pilot-Projektes An der Alten Försterei erleben durfte, schwärmte eben jener Dirk Zingler noch: "Die historische Chance, Europapokal-Abende an der Alten Försterei zu erleben, wollen wir unbedingt nutzen. Die infrastrukturellen Anpassungen, die dafür notwendig sind, werden wir schnellstmöglich mit der Stadionkommission der UEFA diskutieren und umsetzen." Auch nach dem Erreichen der Champions League Ende Mai hatte Zingler noch gesagt: "Wenn es irgendwie geht, spielen wir in der Alten Försterei."
Woher also der (mögliche) Sinneswandel? "Wir können für die Alte Försterei noch nicht mal ein theoretisches Angebot machen, dass jedes Mitglied ein Spiel besuchen kann", so Zingler Anfang Juni mit Hinblick auf die Heimspiele der Champions League.
53.115 Vereinsmitglieder hat Union (Stichtag 31. März 2023). 22.012 Zuschauer haben An der Alten Försterei in der Bundesliga Platz. Für die Champions League rechnet man rund um den Klub angesichts diverser Auflagen und Umbaumaßnahmen für Medien und Sponsoren mit einer Kapazität von 15.000 Zuschauern.
Allerdings hatte der Klub auch schon inmitten der Europa-League-Saison 2022/23 mehr Mitglieder als Plätze im Stadion. Stehplätze hin oder her. 48.364 Mitglieder präsentierte Zingler auf der Mitgliederversammlung im November 2022. Zweieinhalb Monate später siegte Union in den Europa-League-Playoffs vor 21.800 Zuschauern im Stadion An der Alten Försterei sensationell über Ajax Amsterdam (3:1). Auch dank der ganz besonderen Stimmung in Köpenick.
Unions Heimspiele und damit das eigene Stadion waren ein maßgeblicher Faktor beim Aufstieg von der zweiten Liga bis in die sogenannte Königsklasse des europäischen Fußballs. In der abgelaufenen Saison 2022/23 belegte die Mannschaft in der Auswärtstabelle einen respektablen siebten Platz.
In der Heimtabelle jedoch rangierte Union ungeschlagen auf Rang drei, noch vor Bayern München. Und auch der Blick auf Unions Besuche im Olympiastadion während der Conference-League-Saison 2021/22 sprechen eher für das Stadion An der Alten Försterei. Zwar gab es gegen Maccabi Haifa (3:0) einen Sieg. Gegen Feyenoord Rotterdam hingegen setzte es eine 1:2-Niederlage, gegen Slavia Prag reichte es lediglich zu einem Unentschieden (1:1). Aus sportlicher Sicht, daran kann kein Zweifel bestehen, wäre der erneute Umzug nach Charlottenburg ein Nachteil.
Es bleibt also der finanzielle Aspekt. Statt etwa 500.000 Euro Heimspiel-Einnahmen im Stadion An der Alten Försterei winken im ausverkauften Olympia-Stadion kolportierte zwei Millionen Euro pro Champions-League-Partie. Bleibt es bei den drei Heimspielen der Gruppenphase, würde das insgesamt eine Mehreinnahme von 4,5 Millionen Euro bedeuten.
Wenn aber Geld die treibende Kraft hinter einer Entscheidung pro Olympiastadion ist, warum zieht Union dann nicht auch für die Bundesliga-Heimspiele gegen Bayern München oder Borussia Dortmund nach Charlottenburg? Oder gleich ins Stadion Erster Mai von Pjöngjang, welches nochmals 39.625 Plätze mehr fasst als das Berliner Olympiastadion. Dass in der nordkoreanischen Hauptstadt ausrangierte U-Bahn-Züge der BVG unterwegs sind, ließe vor Ort immerhin Berlin-Flair aufkommen.
Es ist verständlich, dass Unions Führungsriege aus der womöglich einmaligen Teilnahme an der Champions League das finanzielle Maximum herausholen möchte, um die Zukunft des Vereins auf möglichst sichere Füße zu stellen. Und die Wahrheit liegt auch dann noch auf dem Platz. Für Union Berlins Abenteuer Champions League allerdings sechs Mal auswärts.
Sendung: rbb24 Inforadio, 30.06.2023, 22:15
Beitrag von Ilja Behnisch
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