Über die Flamme der Special Olympics
Die Wege des Feuers sind unergründlich. Manchmal entzünden sportbegeisterte Menschen damit eine Fackel und laufen glücklich durch die Gegend – so auch für die Special Olympics World Games in Berlin. Eine Glosse von Fabian Friedmann
Die Welt des Sports ist eine Welt voller Fallen. Es gibt Stolpersteine, über die jeder "sogenannte Sportjournalist“ Bescheid wissen sollte, will er sich nicht der öffentlichen Lächerlichkeit preisgeben. Beispiele gefällig?
Tordifferenz und Torverhältnis sind zwei absolut unterschiedliche Dinge. Es gibt keine zwei Halbzeiten, sondern nur eine erste und eine zweite Hälfte, die durch eine Halbzeit unterbrochen wird. Und Olympia ist ein Ort in Griechenland, während Medaillen nur bei den Olympischen Spielen vergeben werden. Eine Olympiade hingegen bezeichnet gemeinhin den vierjährigen Zeitraum zwischen zwei Olympischen Spielen.
Wenn Sie nun finden, der Autor sei an dieser Stelle bereits sehr rechthaberisch und kleinkariert, dann warten sie nur ab. Es kommt noch schlimmer. Denn: Apropos Olympia. Dort, im Nordwesten der Halbinsel Peloponnes, wird einige Monate vor den Olympischen Spielen(!) mit großem Tamtam und mit Hilfe eines Parabolspiegels das Olympische Feuer entzündet. Der anschließende Fackellauf geht allerdings – so leid es dem Autor tut – auf die Nazis zurück, die ihn 1936 für die Spiele in Berlin erstmals als Lauf durch Europa zelebrierten.
Ironie der Geschichte: Die Fackelstafette basiert ursprünglich auf der Idee des jüdischen Archäologen Alfred Schiff aus Berlin. Heißt: Falls Sie jemals die Möglichkeit haben, an einem Olympischen Fackellauf teilnehmen zu dürfen, können Sie das ohne Bedenken tun, ohne gleich als Nazi abgestempelt zu werden. Außer jemand mit kurzen Haaren und Runen-Tattoos hält ihnen, sagen wir mal in ländlichen Gebieten von Sachsen und Thüringen, plötzlich eine Fackel unter die Nase und fordert Sie auf, munter mitzumarschieren. Dann sollte Vorsicht geboten sein!
Nun ist es so, dass nicht nur die großen Olympischen Spiele einen Fackellauf veranstalten, sondern auch die ebenso wichtigen Special Olympics, die vom 17. bis 25. Juni in Berlin stattfinden. Die, das muss man an dieser Stelle lobend anerkennen, das Event des Fackellaufs auf ein zeitgemäßes, ein besseres Level gehoben haben. Entzündet in Athen, besitzt es sogar einen eigenen Namen: "The Flame of Hope".
Jene Flamme der Hoffnung gilt als Symbol der Special Olympics. Sie wird nicht, im Gegensatz zu ihre großen Olympia-Schwester, durch die ganze Welt geflogen, so dass sich Staaten, Diktatoren und Wirtschaftsbosse oder jeder, der genug Kohle hinblättert, mit ihr schmücken darf. Nein, diese Flamme kommt zu den Menschen und den Sportlerinnen und Sportlern, und das per Linienflug in der Business-Class (Ehre, wem Ehre gebührt!). Flankiert wird sie dabei von zwei sogenannten "Guardians of the Flame".
Was wie der Titel eines Marvel-Comics klingt, sind in Wahrheit zwei Wächter, die die kleine Laterne mit der Flamme während des Flugs bewachen und somit sicher zum BER geleiten. Die ungläubigen Gesichtsausdrücke anderer Passagiere gibt es gratis dazu.
Nicht zu vergessen in Zeiten des Klimawandels: der viel günstigere CO2-Abdruck der Special-Olympics-Flamme. Darum, liebe Letzte Generation: Straßenblockaden während des Fackellaufs sind nicht erforderlich! Sie nimmt zwar das Flugzeug, aber wird eben nicht per Privatjet um die ganze Welt geschickt. Das ist auch gar nicht nötig, wollen die Organisatoren doch das Feuer für die Spiele in den Herzen der jeweiligen Gastgeberregion entflammen.
Ist die "Flame of Hope" erst einmal am 8. Juni am BER gelandet, steuert sie die 16 Host-Towns der Special Olympics in Berlin und Brandenburg an. Der eigentliche Fackellauf findet dann vom 14. bis 17. Juni statt. Fackelläufer sind größtenteils – und das hat Tradition – lokale Polizisten. Beim so genannten "Law Enforcement Torch-Run" (LETR) tragen 90 Beamte zusammen mit 10 internationalen Sportlern die Fackel durch die Region.
Zum Hintergrund: Bereits seit 1981 ist in den USA, dem Herkunftsland der Special-Olympics-Bewegung, diese Tradition gewachsen. Der LETR wurde dort von sechs Polizisten und Polizistinnen ins Leben gerufen, weshalb bis heute eine starke Verbindung zur Bewegung besteht und Mitarbeitende der lokalen Polizeibehörden zum Fackellauf beitragen sowie Spenden sammeln.
Dazu haben alle Host Towns am 13. Juni die Möglichkeit, ihre eigenen Fackelläufe gemeinsam mit einer internationalen Delegation zu feiern. Wer dann im Rahmen der Eröffnungsfeier am 17. Juni im Berliner Olympiastadion die Flamme schließlich entzünden wird, ist noch geheim. Aber das ist vielleicht auch gar nicht so wichtig.
Wichtig ist, die Special Olympics bringen die Flamme zu den Menschen, die sie verdient haben, und sie wird zu keiner Zeit für politische oder wirtschaftliche Anliegen instrumentalisiert. Unvergessen in diesem Zusammenhang die von der chinesischen Staatsführung ausgerufene "Reise der Harmonie", die die olympische Fackel 2008 auch durch das annektierte Tibet führte. Es gab Proteste, der Fackellauf musste militärisch abgesichert werden, während des Laufs war sogar verboten worden, den Mount Everst zu besteigen – all das mit exklusivem Sponsoring einer deutschen Automarke. Keine Pointe!
Solche Manöver hat die Flamme der Special Olympics glücklicherweise nicht nötig, und darum hat sie auch einen moralischen Vorsprung gegenüber ihrer großen Olympia-Schwester. Die "Flame of Hope" ist für alle da, niemand wird ausgeschlossen. Sie trägt zu mehr Anerkennung, Selbstbewusstsein und mehr Teilhabe an der Gesellschaft bei. Ohne Stolperstein. Und genauso sollte es sein.
Sendung: rbb24, 08.06.2023, 18 Uhr
Beitrag von Fabian Friedmann
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