Nach dem Leistner-Wechsel
Die Verpflichtung des Ex-Unioners Toni Leistner wird unter Hertha-Fans heiß diskutiert. Damit steht der Abwehrspieler in einer Tradition mit namhaften Vorgängern. Andere Wechsel innerhalb Berlins gingen dagegen ohne Aufruhr vonstatten. Von Shea Westhoff
Oft ist der Sprachstil derb, wenn Fangruppen neue Spieler begrüßen, die eine Vergangenheit bei einem rivalisierenden Klub haben. Hier nicht näher erläuterte und in kindischen Trotz abgleitende Ausdrucksformen werden bemüht, um dem Ärger über den Neuzugang Ausdruck zu verleihen.
Nun fügt sich auch Herthas Neuverpflichtung Toni Leistner unfreiwillig in die Reihe ein: In den sozialen Medien kursiert das Foto eines Schmähplakats gegen den Innenverteidiger. Angebracht wurde das Banner an der Zufahrt zum Trainingsgelände. Leistner, so ist darauf zu lesen, dürfe die Hertha gerne wieder verlassen. Nur eben etwas derber formuliert.
Zwischen 2014 und 2018 hatte Leistner beim Stadtrivalen Union gekickt. Stein des Anstoßes war für manche Hertha-Fans unter anderem ein aus den Untiefen der sozialen Medien gehobener Fund: "Berlin ist und bleibt rot-weiß", lautete ein Beitrag Leistners auf Instagram vor rund drei Jahren. Rot und weiß, die Farben der Köpenicker.
Auch schon bei anderen Spielern war sowohl "Hertha" als auch "Union" in der Vita zu lesen. Trotzdem gingen die Verpflichtungen von Spielern wie Robert Andrich, Benjamin Köhler oder Marko Rehmer auf beiden Seiten weitgehend geräuschlos über die Bühne.
Oder ist der unrühmliche Schmäh-Fall am Ende gar ein gutes Omen für Leistner? Ein Blick auf verwandte Fälle zeigt: Je stärker die Richterskala nach einer Neuverpflichtung ausschlug, umso eindrucksvoller konnte der Geschmähte letztlich oft die (nicht vorhandenen) Erwartungen übertreffen.
Im Jahr 2000 ereignete sich einer der meistdiskutierten Transfers der Bundesliga-Geschichte. Andreas Möller, schwarz-gelbe Ikone, erlag Rudi Assauers Lockrufen und wechselte zum königsblauen Erzfeind, der damals tatsächlich im Begriff war, Borussia Dortmund zu überflügeln.
"Ob Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien", soll er einmal in kuschelig-möllereskem Hessisch formuliert haben. Aber nun: Gelsenkirchen! Obwohl Möller als genialer Offensivstratege galt, war der Schalker Anhang not amused. "Zecke Möller", hieß es in Großbuchstaben auf einem Plakat in der Schalker Kurve, und darunter: "Willkommen in der blau-weißen Hölle".
Doch der streitbare Routinier wusste sich noch einmal neu zu erfinden: Statt streichelnd und lupfend sah man ihn nun grätschen und sprinten. Möllers Leistungen beschwichtigten Schalker Fans, die seinen despektierlichen Spitznamen "Heulsuse" in "Kampfsuse" umdichteten.
Einen vergleichbaren Gegenwind wie Möller erntete auch Torhüter Manuel Neuer - Schalker Eigengewächs und Mitglied der Fangruppierung "Buerschenschaft", deren Name eine Anspielung auf den Gelsenkirchener Stadtteils Buer ist.
Als der Wechsel zum FC Bayern München bekannt wurde, machte der Imperativ "Koan Neuer!" in der FCB-Fanszene die Runde. Einen königsblauen Keeper im Kasten wollten sich viele Fans nicht vorstellen – auch wenn er schon damals einen der besten der Welt war.
Neuer lieferte allerdings sofort, war in seiner ersten Saison mit seinen Paraden maßgeblich für den Einzug ins Champions-League-Finale in der heimischen Allianz-Arena verantwortlich (das Bayern gegen Chelsea verlor). Die "Koan Neuer"-Plakate verschwanden.
Auch Torhüterkollege Martin Pieckenhagen musste sich einiger Kritik erwehren. Anfang der 1990er Jahre verfehlte das damals junge Torwarttalent mit Union Berlin den Aufstieg in die zweite Liga - wegen einer gefälschten Bürgschaft für die Lizenz. Obwohl Union in der Aufstiegsrunde sportlich erfolgreich war und etwa den Westberliner Rivalen TeBe hinter sich ließ, annullierte der DFB den Sprung in die 2. Bundesliga.
Als sich TeBe dann auch noch die Dienste von Pieckenhagen sicherte, außerdem die von Stürmer Jens Henschel, saß der Frust der Rot-Weißen tief. "Im Nachhinein hätte ich vielleicht noch mal ein Jahr oder zwei Jahre warten und bei Union bleiben sollen", sagte der Ex-Keeper kürzlich der "B.Z.". Bei TeBe kam der Torwart nicht zum Zug - sollte aber danach eine erfolgreiche Bundesliga-Karriere unter anderem bei Hansa Rostock und dem Hamburger SV begründen.
Der kroatische Torjäger Ilija Aracic knipste zu einer Zeit für Tennis Borussia Berlin, als die Veilchen durchaus eine Nummer in der Hauptstadt waren. Mit Trainer Hermann Gerland klopften die Charlottenburger Ende der 1990er Jahre an die Tür zur Bundesliga. Im DFB-Pokal 1998 traf Aracic im Achtelfinale gegen Hertha doppelt und war Hauptakteur einer Berliner Sensation: Letztlich mit 4:2 warf TeBe den damals mit Stars gespickten Erstligisten aus dem Pokal.
Geradezu in Topklub-Manier reagierte Hertha im darauffolgenden Winter. Manager Dieter Hoeneß überzeugte Aracic von einem Wechsel zum Ortsrivalen, was Teile der ansonsten als gut gelaunt und entspannt bekannten TeBe-Anhängerschaft verdrießlich stimmte.
Gleich im ersten Bundesliga-Spiel für die Alte Dame traf Aracic erneut doppelt (gegen Borussia Dortmund). Und obwohl er sich bei Hertha langfristig nicht durchsetzen konnte, hatte Aracic noch eine besondere Pointe parat. Ein Jahr nach seinem Glanzauftritt im Pokal im Trikot von TeBe schoss Aracic im Pokal ein entscheidendes Tor im Hertha-Trikot – gegen TeBe.
Sendung: rbb24 Inforadio, 12.07.2023, 16:15 Uhr
Beitrag von Shea Westhoff
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